Sonntag, 26. August 2018

Schwarze Löcher: Die Singularität des vorigen Tages

Schwarze Löcher sind Singularitäten der allgemeinen Relativitätstheorie. Sie sind durch einen Ereignishorizont von der Außenwelt abgeschirmt. Gut so, weil dahinter die Zeit womöglich sowohl in Richtung Zukunft aber auch in Richtung Vergangenheit ticken könnte

Lange bevor Chemiker und Physiker mit Röntgenstrahlen bzw. Rastertunnelmikroskopen einzelne Moleküle oder Atome abbilden konnten, haben sie die atomistische Theorie der Materie entwickelt. Dass alle Stoffe aus Atomen bestehen, war bis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts eine ziemlich einleuchtende Annahme: Alle Experimente deuteten in diese Richtung. So konnte z.B. Albert Einstein im Jahr 1905, sein annus mirabilis, die chaotische brownsche Bewegung von mikroskopischen Partikeln in Flüssigkeiten als Folge des zufälligen Abstoßens von unsichtbaren Atomen deuten. Das war allerdings eine indirekte Überprüfung der atomistischen Theorie.

Mit den Schwarzen Löchern im Weltraum verhält es sich ähnlich. Ein Schwarzes Loch ist ein Gravitationsriese, der alles unweigerlich verschlingt, d.h. sowohl Materie als auch Strahlung, so dass wir von außen nicht in sein Inneres hineinblicken können. Photonen, die die Ereignishorizontbarriere überqueren, können sich der Anziehung des Schwarzen Loches nicht mehr entziehen, d.h. die Physiker können nur anhand der Formelmaschinerie der Allgemeinen Relativitätstheorie berechnen, was vermutlich im Bauch der Schwarzen Löcher geschieht. So versucht man zu verstehen, wieder indirekt, was sich dort im Inneren tut.

So arbeitet die Wissenschaft: Wir untersuchen das Kleinste und das Größte einfach "because it’s there" (wie der Mount Everest), weil wir unsere Ignoranz über die Welt Schritt für Schritt abbauen möchten. Hätten Chemiker und Physiker des neunzehnten Jahrhunderts nicht so gehandelt, hätten sie Atome nie zu erforschen gewagt, weil diese damals jenseits des menschlichen Augenscheins lagen. Die Vorstellungskraft, gepaart mit entsprechenden mathematischen Formulierungen, ist allerdings das beste Mikroskop der Wissenschaft. Es werden Hypothesen aufgestellt, die dann experimentell überprüft werden. Bei vielen Vermutungen der Physik wissen wir nicht sofort, wie wir sie experimentell überprüfen könnten, es ist aber fast immer nur eine Frage der Zeit, bis jemand ein passendes Experiment vorschlägt und dieses auch durchgeführt wird.

Schwarze Löcher sind freilich ein theoretisches Konstrukt der modernen Physik, die unsere Vorstellungskraft und die heutige Gravitationstheorie an ihre Grenzen bringt. Was im Inneren von Schwarzen Löchern geschieht, strapaziert die "gesunde" Intuition, wie übrigens auch die Paradoxien der Quantenmechanik.

Es überrascht deswegen, dass die Möglichkeit von so etwas wie Schwarzen Löchern bereits im 18. Jahrhundert besprochen wurde (unter der Bezeichnung "dunkle Sterne"). John Michell in England und Pierre-Simon de Laplace in Frankreich haben sich fast gleichzeitig Gedanken über massive Gestirne gemacht. Da die Fluchtgeschwindigkeit eines Objekts aus der Gravitation eines Himmelkörpers direkt proportional zu seinem Radius ansteigt (bei gleichbleibender Massendichte), war es vorstellbar, dass für sehr große Sterne nicht einmal Licht die notwendige Fluchtgeschwindigkeit erreichen könnte und so im Stern "gefangen" bleiben könnte.

Michell dachte, man könnte solche "dunklen Sterne" nachweisen, falls ein heller und ein dunkler Stern sich als Paar um dem gemeinsamen Schwerpunkt drehen würden. Astronomen könnten die Umlaufbahn des hellen Sterns beobachten und auf diese Weise auf die Existenz des dunklen Kompagnons schließen.1️⃣ Denselben Grundgedanken kann man aber auch in eine andere Richtung verfolgen, die weder Michell noch Laplace berücksichtigt haben: Wenn eine sphärische Masse so stark komprimiert wird, dass ein kritisches Verhältnis von Masse zu Radius erreicht wird, kann die Fluchtgeschwindigkeit die Geschwindigkeit des Lichtes übersteigen. Wir erhalten auch so ein Schwarzes Loch, und deswegen sollte es Schwarze Löcher in allen Variationen geben: kleiner als Atome, aber auch größer als unser Sonnensystem.

mehr:
- Schwarze Löcher: Die Singularität des vorigen Tages (Raúl Rojas, Telepolis, 26.08.2018)

Universum Doku 2018 HD Schwarze Löcher {43:51}

xXAeroXx
Am 07.01.2018 veröffentlicht 
Das uns umgebende Universum ist skurril: kreativ und zerstörerisch zugleich. Schwarze Löcher sind nur eines dieser ungelösten Rätsel, faszinierend und sonderbar. Ihre unbändige Anziehungskraft lässt sie sich zu alles verschlingenden Schlunden im All öffnen. Und dennoch scheint ihre Erkundung der nächste Schritt in der Raumfahrttechnik zu sein - und vielleicht der erste Schritt zu bemannten Reisen durch Raum und Zeit
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