Staatliche Wirtschaftsprogramme werden wieder hoffähig – und damit auch ihr Urheber, der Brite John Maynard KeynesEs geschah auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Dominique Strauss-Kahn, der Chef des
Internationalen Währungsfonds, schritt zum Rednerpult und leitete die Sensation ein: »Ich glaube nicht, dass wir die Kreditkrise allein mithilfe der Geldpolitik loswerden, wir brauchen den Staat.« Manche Zuhörer wussten nicht, was sie gehört hatten, andere glaubten es nicht. Ausgerechnet der Chef jener Institution, die den Markt vergöttert wie kaum eine andere, erwähnte nun das Wort Staat. Und machte damit eine Theorie hoffähig, deren Anhänger seit 25 Jahren in der Wirtschaftswissenschaft als Außenseiter gelten: den
Keynesianismus.
Hoffähig wird damit auch der britische Mathematiker und Ökonom
John Maynard Keynes (1883-1946), der vor 72 Jahren als Erster mit dem Tabu des alles regelnden Marktes brach. Keynes war immer ein Außenseiter mit eigener Meinung gewesen – und gehörte dennoch immer zur großen Gesellschaft Großbritanniens. Obwohl selbst Mathematiker, war er am Kings College in Cambridge schockiert darüber, dass die Ökonomen immer nur mathematisch dachten und nie sozial. Dann wagte er es, die Effizienz des Marktes infrage zu stellen, kritisierte das Dogma, dass jede Krise in der Marktwirtschaft automatisch zum Aufschwung führt – ohne jeden Eingriff.
Aus dieser Kritik heraus entwickelte er seine Wirtschaftstheorie, die er 1936 in seinem Hauptwerk »Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes« veröffentlichte. Seine wichtigste These: Da konjunkturelle Arbeitslosigkeit vor allem durch einen Mangel an Nachfrage verursacht wird, muss der Staat auf Krisen mit Maßnahmen zur, Steigerung der Nachfrage reagieren – auch wenn er dazu Kredite aufnehmen muss.
Obwohl mit dieser Theorie reiner Außenseiter, machte er eine steile Karriere und blieb doch immer Außenseiter: Er handelte als britischer Delegierter den
Versailler Vertrag aus und trat kurz vor dessen Abschluss zurück, weil er die
Reparationszahlungen für Deutschland als »ökonomisch widersinnig« kritisierte. Noch während des Zweiten Weltkrieges trat er auf der
Weltwährungskonferenz in Bretton Woods der US-Delegation mit der ketzerischen Forderung gegenüber, die Welt brauche keinen Dollar als Leitwährung, sondern eine umlaufgesicherte Weltwährung namens
Bancor. Die US-Amerikaner setzten sich durch, doch Keynes behielt sein Ansehen. Und dies auch, nachdem er als bekennender Homosexueller mit großem Pomp eine Balletttänzerin geheiratet hatte.
So mancher Politiker, vor allem unter den Linken, wird die Rückkehr des
Keynesianismus bejubeln. Grund zum Jubel haben allerdings nur jene, die Keynes insgesamt ernst nehmen: Er fordert zwar schuldenfinanzierte Investitionen gegen die Krise. Allerdings verlangte er auch die Rückzahlung der Schulden nach der Krise. Damit haben so manche Keynesianer ihre Probleme.
• Wolfgang Kessler
aus Publik-Forum Nr. 3•2008