Dienstag, 6. Dezember 2016

Ein adretter Psychologe und BigData

Am 9. November gegen 8.30 Uhr erwacht Michal Kosinski in Zürich im Hotel Sunnehus. Der 34-jährige Forscher ist für einen Vortrag am Risikocenter der ETH angereist, zu einer Tagung über die Gefahren von Big Data und des sogenannten digitalen Umsturzes. Solche Vorträge hält Kosinski ständig, überall auf der Welt. Er ist ein führender Experte für Psychometrik, einen datengetriebenen Nebenzweig der Psychologie. Als er an diesem Morgen den Fernseher einschaltet, sieht er, dass die Bombe geplatzt ist: Entgegen den Hochrechnungen aller führenden Statistiker ist Donald J. Trump gewählt worden.

Lange betrachtet Kosinski Trumps Jubelfeier und die Wahlergebnisse der einzelnen Bundesstaaten. Er ahnt, dass das Ergebnis etwas mit seiner Forschung zu tun haben könnte. Dann atmet er tief durch und schaltet den Fernseher aus.

Am gleichen Tag versendet eine bis dahin kaum bekannte britische Firma mit Sitz in London eine Pressemitteilung: «Wir sind begeistert, dass unser revolutionärer Ansatz der datengetriebenen Kommunikation einen derart grundlegenden Beitrag zum Sieg für Donald Trump leistet», wird ein Alexander James Ashburner Nix zitiert. Nix ist Brite, 41 Jahre alt und CEO von Cambridge Analytica. Er tritt stets im Massanzug und mit Designerbrille auf, die leicht gewellten blonden Haare nach hinten gekämmt.

Der nachdenkliche Kosinski, der gestriegelte Nix, der breit grinsende Trump – einer hat den digitalen Umsturz ermöglicht, einer hat ihn vollführt, einer davon profitiert.

mehr:
Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt ( Mikael Krogerus und Hannes Grassegger, Das Magazin, 03.12.2016 )

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"Today in the United States we have somewhere close to four or five thousand data points on every individual. ... So we model the personality of every adult across the United States, some 230 million people."
— Alexander Nix (Chief Executive, Cambridge Analytica), October 2016.[9] [Cambridge Analytica, Background and methods, engl. Wikipedia, abgerufen am 07.12.2016]
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siehe auch:
- Warum schweigen die Lämmer? – Der Mensch im Geflecht von Medien, Manipulation und Macht (Post, 16.07.2016, mit ausführlicher Linkliste)

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Das Stück stellt die Frage nach der Ethik in der Wissenschaft und geht von der Erkenntnis aus, dass einmal Gedachtes oder Entdecktes nicht rückgängig gemacht werden könne. Newton (bzw. Beutler) und Einstein (bzw. Ernesti) vertreten zwei unterschiedliche Formen der Wissenschaft: Der eine repräsentiert die um ihrer selbst Willen betriebene „reine Wissenschaft“, der andere die pragmatische, angewandte Wissenschaft. Aus beiden resultiert Wissen, das letztlich tötet. Beide scheitern. Möbius wählt als Lösung dieses Dilemmas den Weg des Rückzugs und der Isolation. Dass auch er letztlich scheitert, lässt die Schlussfolgerung zu, dass Wissenschaft zwangsläufig zum Negativen führt.
Man hat vermutet, dass Fräulein Doktor von Zahnd ebenfalls bloß eine Insassin des Irrenhauses sei und die Rolle der Ärztin nur spiele. Dem widerspricht allerdings die Tatsache, dass sie das Irrenhaus von ihrer Familie geerbt und ihr Geld in das Sanatorium investiert hat. Sie ist also tatsächlich die Besitzerin und Leiterin. Trotzdem ist ihr Wahnsinn offenkundig. Schließlich ist sie davon überzeugt, dass ihr der König Salomo erscheine und sie die Weltherrschaft übernehmen müsse.
Auch ob Newton und Einstein nur verrückt oder Agenten oder verrückte Agenten sind, ist von sekundärer Bedeutung. Primär ist die Erkenntnis, dass Wissenschaft immer auch in die falschen Hände gerät. Außerdem zeigt die Komödie, dass gemeinsame Probleme nur gemeinsam gelöst werden können. Die von Möbius gedachte Lösung, sich zu isolieren, ist zwecklos, da er durch Fräulein von Zahnd überlistet wird. Die drei Physiker bleiben zur Passivität verurteilt und können ihrem Dilemma nicht entkommen.
Als Möbius seiner Familie den (angeblich ebenfalls von Salomo suggerierten) Weltraumfahrerpsalm verkündet, betont er mit diesem leidenschaftlichen Credo, dass die Erde der einzige dem Menschen zur Verfügung stehende Lebensraum sei. Die Wissenschaft solle sich daher hüten, diesen einzigartigen Planeten zu gefährden, denn sonst werde die Menschheit in „den Wüsten des Mondes … im Staub versinken“, „in den Bleidämpfen des Merkurs verkochen“ oder „sich in den Ölpfützen der Venus auflösen“.[17] [Die Physiker, Gesamtinterpretation, Wikipedia, abgerufen am 06.12.2016]

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Im zweiten Akt wendet Dürrenmatt seine Dramentheorie an: „Die schlimmstmögliche Wendung, die eine Geschichte nehmen kann, ist die Wendung in die Komödie“. Über die Probleme der modernen Gesellschaft könne man sich seiner Meinung nach nur noch lustig machen – da das Sterben zur Massenerscheinung geworden sei, wäre die Tragödie nicht mehr interessant. Komisch sind dabei nicht die Dialoge, sondern die groteske Situation. Diese grotesken Ereignisse legt er an den wichtigsten Stellen im Buch dar (Irrenärztin ist die einzige Irre im Alten Bau; eine gepflegte kleinbürgerliche Stadt neben einer Strafanstalt im Sumpf).
Im Anhang der Komödie finden sich die „21 Punkte zu den Physikern“, welche wie folgt lauten:
  1. Ich gehe nicht von einer These, sondern von einer Geschichte aus.
  2. Geht man von einer Geschichte aus, muss sie zu Ende gedacht werden.
  3. Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmst mögliche Wendung genommen hat.
  4. Die schlimmst mögliche Wendung ist nicht voraussehbar. Sie tritt durch Zufall ein.
  5. Die Kunst des Dramatikers besteht darin, in einer Handlung den Zufall möglichst wirksam einzusetzen.
  6. Träger einer dramatischen Handlung sind Menschen.
  7. Der Zufall in einer dramatischen Handlung besteht darin, wann und wo wer zufällig wem begegnet.
  8. Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.
  9. Planmäßig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. Der Zufall trifft sie immer dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: Das, was sie befürchteten, was sie zu vermeiden suchten (z.B. Ödipus).
  10. Eine solche Geschichte ist zwar grotesk, aber nicht absurd (sinnwidrig).
  11. Sie ist paradox.
  12. Ebenso wenig wie die Logiker können die Dramatiker das Paradoxe vermeiden.
  13. Ebenso wenig wie die Logiker können die Physiker das Paradoxe vermeiden.
  14. Ein Drama über die Physiker muss paradox sein.
  15. Es kann nicht den Inhalt der Physik zum Ziel haben, sondern nur ihre Auswirkungen.
  16. Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkungen alle Menschen.
  17. Was alle angeht, können nur alle lösen.
  18. Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern.
  19. Im paradoxen erscheint die Wirklichkeit.
  20. Wer dem Paradoxen gegenübersteht, setzt sich der Wirklichkeit aus.
  21. Die Dramatik kann den Zuschauer überlisten, sich der Wirklichkeit auszusetzen, aber nicht zwingen, ihr standzuhalten oder sie gar zu überwältigen. [Die Physiker, Anwendung von Dürrenmatts Dramentheorie, Wikipedia, abgerufen am 06.12.2016]
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Auch im nicht-deutschsprachigen Ausland wurde das Stück zum Publikumserfolg. In London feierte die Übersetzung The Physicists von James Kirkup in einer Inszenierung von Peter Brook im Aldrych Theatre der Royal Shakespeare Company am 9. Januar 1963 Premiere und wurde ein großer Bühnenerfolg.[19] Am New Yorker Broadway wurde das Stück am 13. Oktober 1964 erstmals aufgeführt. Zwar empfahl die amerikanische Theaterkritik den Besuch des „zu komplexen“ Stückes lediglich „dem intellektuellen Publikum“, doch wurden The Physicists auch in New York zum Publikumserfolg der Saison.[27] 
[…]
In der Rezeption der Literaturwissenschaft wurden Die Physiker oft mit Bertolt Brechts Leben des Galilei verglichen. Manfred Durzak sah Dürrenmatts Stück als eine „Zurücknahme von Brechts Galilei“: „Die Zukunftsperspektive, die in Brechts Galilei dadurch hineinkommt, daß die objektive Weiterentwicklung der Wissenschaft garantiert ist, weicht bei Dürrenmatt völliger Hoffnungslosigkeit.“[29] Auch Franz Norbert Mennemeier zog diesen Vergleich, und er sah in Dürrenmatts Stück „[d]as Ende einer Epoche. […] Was der Stolz des 19. Jahrhunderts war: die Naturwissenschaft mitsamt dem Fortschrittsglauben, das dankt hier in aller Form ab.“[30] Für Urs Jenny hat Dürrenmatt in Die Physiker „jenen Dramentypus gefunden, der der ausweglosen Situation der Physik adäquat ist, weil er erlaubt, diese Ausweglosigkeit spannungsvoll zu enthüllen: die Situations-Komödie.“[31]  [Die Physiker, Rezeption, Wikipedia, abgerufen am 07.12.2016]
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gefunden auf Formula

mein Kommenta zur Rezeption durch die amerikanische Theaterkritik: 
»zu komplexes Stück«, »lediglich für das intellektuelle Publikum« 
Ts, ts ts… dieses alte Europa aber auch…
Vielleicht ist das nicht das Problem des Stückes, vielleicht ist das das Problem der Amerikaner…
Ich wandle ein Osho-Zitat ein klein wenig um:
»There’s nothing wrong with ›The Physicists‹,
there must be something wrong with the Americans.«


gefunden auf TubeDupe


Ein Gerichtsgutachter am Pranger

Ein renommierter Gerichtsgutachter soll klären, warum ein Baby starb – und steht am Ende selbst am Pranger. 

Hans Christoph Ludwig erinnert sich genau an den Anruf. Am Telefon war der äußerst freundliche Vorsitzende Richter einer Schwurgerichtskammer. Ob Ludwig für das Gericht ein Gutachten anfertigen könne? Es gehe um eine Frau, die angeklagt sei, ihr Baby zu Tode geschüttelt zu haben. Es klang nach einer einfachen Sache. Allerdings hatte der Anrufer es ein wenig eilig, in drei, vier Wochen schon sollte das Gutachten fertig sein. 

An der Uni-Klinik Göttingen ist Hans Christoph Ludwig, 62, Professor für Kinder-Neurochirurgie. Er operiert Kinder, die Hirntumoren haben oder einen Wasserkopf. Immer wieder behandelt er auch Babys, die von einem überforderten Vater, einer genervten Mutter geschüttelt wurden und dabei zum Teil schlimmste Gehirnverletzungen erlitten. Das sogenannte Schütteltrauma ist ihm also vertraut. Auch mit dem Verfassen von Gutachten hat er Erfahrung. Im Büro stapeln sich Gerichtsakten. Meist wird er bei Privatklagen wegen möglicher Behandlungsfehler hinzugezogen, dann soll er vor einem Zivilgericht klären, ob ein Arztkollege etwas falsch gemacht hat oder nicht. Diesmal also ein Strafverfahren. Diesmal geht es nicht um Schmerzensgeld, sondern um die Frage, ob eine Frau im Juni 2010 ihren Säugling getötet hat und ob sie, inzwischen Mutter eines weiteren Kindes, für Jahre ins Gefängnis muss (siehe auch das Dossier Wie starb Baby Nils?, ZEIT  Nr. 42/15). Ludwig überlegt kurz am Telefon, dann sagt er zu. Ein paar Tage später kommen die Unterlagen. Ein Stapel Papier, nicht sonderlich dick. Das kann man bewältigen. Die Abgabefrist – kein Problem. 


Erst viel später geht Ludwig auf, dass diese Unterlagen ein Bruchteil dessen sind, was sich im Fall des toten Babys an Akten angesammelt hat. Denn was der freundliche Richter nicht gesagt hat: Um den Fall Nils tobt bereits ein heftiger Streit unter Experten. Die Hauptverhandlung gegen die Mutter läuft seit neun Monaten. Und Ludwig, der davon ausgeht, er solle helfen, die Frage zu beantworten, ob eine Angeklagte schuldig ist oder nicht, sieht die Falle nicht. Erst als es zu spät ist, wird er verstehen. Er wird sich in einem Verfahren wiederfinden, in dem es auch um ihn selbst geht, um seine Reputation – und um den Vorwurf, ein Lügner zu sein.

mehr:
- Gerichtsgutachten: Unerwünschte Wahrheit (Tanja Stelzer, ZON, 01.12.2016)

Adventsrätsel, das sechste von vierundzwanzig

Die erste Silbe ein Fräulein ist,
die zweite meint, was üblich ist.
Doch wenn in die Zweite der Teufel sich mengt,
dann kann aus Gutem Böses entstehen.
So könnt Ihr’s an dem Ganzen sehn.