Sonntag, 5. März 2017

Glücksfall Martin Schulz?

Stell Dir vor, es ist Bundestagswahl – und wir haben tatsächlich eine Wahl, sprich: die Chance einer Abwahl. Was wie eine demokratische Selbstverständlichkeit klingt, ist – Martin Schulz sei Dank – in dieser Republik endlich wieder möglich geworden. Nur zur Erinnerung: Bei den letzten beiden Urnengängen stand die Siegerin zu diesem frühen Zeitpunkt längst fest, waren die weithin überschätzten Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück quasi von Beginn an geschlagen.[1] Und bis vor kurzem ging es den Meisten mit Blick auf die SPD nur um die halb bange, halb zynische Frage, wer diesmal gegen die Kanzlerin verlieren muss – und wie hoch.
Doch mit dem Rückzug Sigmar Gabriels vom Posten des Parteivorsitzenden und seinem Verzicht auf die Kanzlerkandidatur hat sich die Lage in erstaunlicher Weise geändert. Die SPD ist als relevante Herausforderin der Union wieder zurück auf dem politischen Parkett. Selbst ein Sieg gegen die vor kurzem noch für unschlagbar gehaltene Kanzlerin erscheint nicht mehr unmöglich.
Wer auch immer am 24. September gewinnen wird, Martin Schulz entpuppt sich damit bereits heute als eine dreifache Chance, um nicht zu sagen als potentieller Glücksfall: erstens für unsere Demokratie, zweitens für die SPD (und damit die gesamte deutsche Linke), und drittens – pünktlich zu ihrem Schicksalsjahr – für die Europäische Union. Mit Schulz als SPD-Kanzlerkandidaten ist der funktionale Kern der Demokratie – die Option eines Wechsels an der Spitze – in das System zurückgekehrt. Das ist gleichzeitig ein wichtiger Schlag gegen die AfD, denn deren Erfolg basierte maßgeblich auf der Unfähigkeit der Linken zu einem echten Angriff auf Merkel – und damit zu einer Regierungsalternative unter Führung der SPD. Daher der vermessene, aber durchaus erfolgreiche Anspruch der AfD, die „Alternative für Deutschland“ zu sein.

mehr:
- Glücksfall Martin Schulz? (Albrecht von Lucke, Blätter für deutsche und internationale Politik, März 2017)

"Klartext"-Best Of von Martin Schulz (dbate) {6:29}

dbate
Veröffentlicht am 30.01.2017
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist ein Mann klarer Worte. Ob im EU-Parlament, in Talkshows oder in Einzel-Interviews: Schulz sagt, was er denkt. Er übt deutliche Kritik an der Politik von Recep Tayyip Erdogan, konfrontiert Silvio Berlusconi mit seiner schwierigen Doppelrolle als Politiker und Medienmogul oder schmeißt auch mal einen "Goldene Morgenröte"-Politiker aus dem EU-Parlament: hier ist unser Best Of der "Klartext-Momente" von Martin Schulz. Mehr Videos und News findest Du hier: http://dbate.de http://facebook.com/dbate.de http://twitter.com/dbateonline

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„Die Massen flüchten in die Fiktion“

Hannah Arendt veröffentlichte 1951 ihr Buch „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“. Heute liest es sich wie eine unheimliche Analyse des Aufstiegs von Donald Trump. Ein fiktives Gespräch über die Atomisierung der Gesellschaft, den Niedergang der Parteien und das Spiel mit der Wahrheit

Frau Arendt, wenn man Donald Trump agieren sieht, fragt man sich immer noch, wie er in einem aufgeklärten Land wie den USA Präsident werden konnte. Ohne die beiden gleichsetzen zu wollen, gibt es in Deutschland unzählige Bücher darüber, wie Hitler hier an die Macht gelangte. Sie haben einige davon geschrieben. Klären Sie uns auf!
Totalitäre Bewegungen sind überall da möglich, wo Massen existieren, die aus gleich welchen Gründen nach politischer Organisation verlangen. Massen werden nicht von gemeinsamen Interessen zusammengehalten, und ihnen fehlt jedes spezifische Klassenbewusstsein, das sich bestimmte, begrenzte und erreichbare Ziele setzt. Der Ausdruck „Masse“ ist überall da zutreffend, und nur da, wo wir es mit Gruppen zu tun haben, die sich, entweder weil sie zu zahlreich sind, oder weil sie zu gleichgültig für öffentliche Angelegenheiten sind, in keiner Organisation strukturieren lassen, die auf gemeinsamen Interessen an einer gemeinsam erfahrenen und verwalteten Welt beruht, also in keinen Parteien, keinen Interessenverbänden, keinen lokalen Selbstverwaltungen, keinen Gewerkschaften, keinen Berufsvereinen. Potenziell existieren sie in jedem Lande und zu jeder Zeit; sie bilden sogar meist die Mehrheit der Bevölkerung auch sehr zivilisierter Länder, nur dass sie eben in normalen Zeiten politisch neutral bleiben und sich damit begnügen, ihre Stimmen nicht abzugeben und den Parteien nicht beizutreten.

mehr:
- Lektionen von Hannah Arendt zu Trump: „Die Massen flüchten in die Fiktion“ (Constantin Weißmann, Cicero, 25.02.2017)

siehe auch:

- Philosoph Marcus: Kafka und der Drehtür-Effekt (Joachim Scholl im Gespräch mit dem Philosophen Marcus Steinweg, Deutschlandradio Kultur, 16.01.2017)
- Hans-Peter Dürr über Hannah Arendt (Post, 01.03.2013)
- Die Demokratiekonzeption von Hannah Arendt (Monika Roth, in: Sebastian Lamm, Monika Roth, Hrsg., Macht – Überlegungen zu Theorien der Macht, Mensch und Buch Verlag, Berlin, 2010, PDF)
- Hannah Arendt. Vertrauen in das Menschliche (Ausstellungsbroschüre, literaturHausBerlin, PDF)
- Heute vor 100 Jahren – 14.10.2006: Hannah Arendt wird in Linden geboren (Post, 14.10.2006)
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Die griechische Odyssee nimmt kein Ende

Was Angela Merkel mit IWF-Chefin Christine Lagarde über Griechenland besprochen hat, soll vertraulich bleiben. Klar aber ist: Die griechische Odyssee nimmt kein Ende. Es ist eine politische Illusionsschau auf Kosten der Steuerzahler

Illusionisten sind Zauberkünstler, die mit besonders großen Requisiten arbeiten. So gesehen sind in Brüssel, Athen, Frankfurt und den übrigen Euro-Hauptstädten die Meister-Illusionisten am Werk, wenn es um das Thema Griechenland geht. Nicht nur wird mit großen Requisiten gearbeitet (Rettungsschirme, Garantien, Reformversprechen), sondern es werden verschiedene Bühnen bespielt. Publikum: die Öffentlichkeit in den Geberländern, in Griechenland und den anderen Krisenländern des Euroraums. Die weltweiten Finanzmärkte sind weitere Adressaten der Vorstellung. Jeder Zielgruppe wird das passende Schauspiel geboten. Ziel ist, die Macht der Illusionisten zu erhalten – die Rechnung bezahlt das Publikum, also wir alle.

mehr:
- Schauspiel der Illusionisten (Daniel Stellten, Cicero, 23.02.2017)

Notaufnahme: Was zum Teufel wollen Sie denn hier?

Bei Fachärzten muss man oft ewig auf einen Termin warten. Notaufnahmen gelten auch deswegen als chronisch überlastet. Darf deshalb der, dem seit drei Wochen schwindelig ist, nicht kommen?

Stellen wir uns für einen Moment vor, wir wären Ärzte und würden in einer Notaufnahme arbeiten. Zum Beispiel in der im Universitätsklinikum Leipzig, an einem Mittwoch, es ist kurz vor 15 Uhr. Drinnen sind alle Pritschen belegt, Betten stehen im Flur. Draußen im Wartebereich sind noch Stühle frei. Der Herr mit der Platzwunde am Kopf (an der Betonmischmaschine gestoßen) wartet seit anderthalb Stunden. Die Frau mit trockenem Blut an der Hand (mit dem Fahrrad gestürzt) ist länger da und fragt jetzt am Aufnahmeschalter, ob sie vielleicht schon aufgerufen worden sei und es verpasst habe. Hat sie nicht.

Außerdem sind gekommen:

Herr B. Er ist 67 Jahre alt und ihm ist seit drei Wochen schwindelig. Gegen Mittag ist er in die Notaufnahme gelaufen und hat gesagt: „Ich kann kaum noch laufen.“

Frau D., 53, hat seit vier Tagen Bauchschmerzen und Angst, dass das von der Galle kommt.

Und: Frau H., die 82 Jahre alt ist, seit zwei Jahren bei keinem Arzt mehr war und die sich heute Morgen plötzlich „schwach auf den Beinen“ gefühlt hat.

Was würden wir tun? Um wen kümmern wir uns zuerst? Und bei wem denken wir, heimlich (und an noch stressigeren Tagen als heute vielleicht sogar laut): Was zum Teufel wollen Sie denn hier?

mehr:
- Patienten in der Notaufnahme: Was zum Teufel wollen Sie denn hier? (Denise Speichert, FAZ, 13.12.2016)

siehe auch:
- Wiesbadener Klinik: Chefärzte verlassen HSK im Streit (Ewald Hetrodt, FAZ, 15.02.2017)
- „Patienten in Gefahr“: Notaufnahme-Ärzte rügen neue Vorschriften (FAZ, 01.03.2017)

Leben vor vier Milliarden Jahren

Halb so breit wie ein menschliches Haar: Durch die Entdeckung neuer Mikrofossilien muss die Geschichte über Entstehung des Lebens womöglich neu geschrieben werden.
Die Geschichte von der Entstehung des Lebens auf der Erde muss womöglich neu geschrieben werden: Ein Forscherteam verkündete am Mittwoch im Fachblatt „Nature“ den Fund der bislang ältesten Mikrofossilien der Erde, die es als „direkten Beweis“ für Leben auf unserem Planeten vor bereits rund vier Milliarden Jahren wertet. Diese Entdeckung könnte auch die Theorien über mögliches Leben auf anderen Planeten verändern.

Die in Kanada entdeckten Mikrofossilien seien rund 300 Millionen Jahre älter als die bislang ältesten bekannten Fossilien, schrieb Dominic Papineau vom University College London in „Nature“. Das Alter der Funde datierten er und seine Kollegen von den Bodenforschungsinstituten der Vereinigten Staaten und Norwegens sowie von der University of Ottawa auf zwischen 3,77 und 4,29 Milliarden Jahre.

mehr:
- Fossilienfund deutet auf Leben vor vier Milliarden Jahren hin (FAZ online, 01.03.2017)