Samstag, 8. März 2008

Hungrige Kinder

Hartz IV deckt nicht einmal die Grundbedürfnisse

Die Konjunktur boomt. Doch: Ein Viertel aller Kinder unter fünfzehn Jahren lebt in Armut: 2,8 Millionen. In Großstädten ist etwa ein Drittel der Kinder in West- und über die Hälfte der Kinder in Ostdeutschland von Armut betroffen.

Bedarf von Schulkindern gekürzt
»Die Bundesregierung stellt die Förderung von Kindern und deren Familien in den Mittelpunkt ihres Handelns. Alle Kinder und Jugendlichen sollen von Anfang an gleiche Chancen haben, ihre vielfältigen Fähigkeiten und Talente zu entwickeln«, schreibt das Bundesfamilienministerium. Die Realität sieht anders aus. Mit Einführung von Hartz IV wurde der Regelsatz für die Sieben- bis Vierzehnjährigen von 65 Prozent auf 60 Prozent des Eckregelsatzes – 347 Euro gesenkt. Ferner ist das Niveau der früheren einmaligen Beihilfen nur in gekürzter Form in den neuen Regelsatz übernommen worden. Der Regelsatz der Vierzehn- bis Achtzehnjährigen, der bis dahin immer neunzig Prozent des Eckregelsatzes betragen hatte, ist mit Hartz IV auf das Niveau von erwachsenen Haushaltsangehörigen – achtzig Prozent des Eckregelsatzes – gesenkt worden. Der Wachstumsbedarf von Kindern wird nicht mehr anerkannt.

Mangelernährung
Ist für Vorschulkinder aus Armutsfamilien noch eine gesunde Ernährung möglich, trifft das auf Schulkinder nicht mehr zu. Für Kinder zwischen sieben und vierzehn sind inklusive Genussmitteln nur 2,57 Euro pro Tag im Regelsatz enthalten, obwohl sie für ihren durchschnittlichen Energiebedarf von 2042 Kilokalorien 4,76 Euro bräuchten. Bet den Vierzehn- bis Achtzehnjährigen ist die Lage ähnlich. Im Regelsatz von Schulkindern aus armen Elternhäusern ist zudem kein Geld für ein Mittagessen in Schulen und Horten vorgesehen. Fünf von sechzehn Bundesländern (Rheinland-Pfalz, Saarland, NRW, seit 1. Januar 2008 Berlin und Hessen) zahlen die Differenz zwischen einem Eigenanteil von einem Euro und den tatsächlichen Essenskosten in Ganztagsschulen. Hungrige Kinder im Unterricht scheinen die restlichen Bundesländer nicht zu stören.

Kosten für Lehr- und Lernmittel
Vor Hartz IV bekamen Sieben- bis Vierzehnjährige inklusive einmaliger Beihilfen 232 Euro, heute gesteht man ihnen lediglich 208 Euro zu. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz tritt inzwischen für eine Schulmaterialienpauschale von zwanzig Prozent des Regelsatzes pro Schulhalbjahr ein. Kosten für Schulbücher, die in immer stärkerem Maße anfallen, werden dabei allerdings ebenso wenig berücksichtigt wie Kosten, die diese Pauschale übersteigen.

Was tun?
Alle mit dem Schulbesuch anfallenden notwendigen Kosten müssen wieder über einmalige Beihilfen beantragt werden können. Solange es keine bundesweite Regelung gibt, sollten Kommunen und Landkreise zumindest Schulfonds einführen. Von den rund 450 Städten und Landkreisen und über 12.000 Gemeinden haben erst auf öffentlichen Druck hin rund dreißig Maßnahmen in diese Richtung beschlossen. Ferner muss wieder anerkannt werden, dass der Regelsatz von Schulkindern unter vierzehn zwanzig Prozent höher ist als der von Säuglingen und dass der von Heranwachsenden höher ist als der von Erwachsenen. Das wäre das Mindeste, solange die notwendige deutliche Erhöhung des Eckregelsatzes verweigert wird. • Rainer Roth

Der Autor ist Professor für Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Seine Broschüre »Ein Hartz für Kinder« ist für einen Euro plus Versandkosten über info@klartext-info.de erhältlich.

aus Publik-Forum Nr. 1 • 2008