Mittwoch, 19. August 2020

Corona-Maßnahmen vor Gericht

Rechtsanwältin Jessica Hamed informiert über den aktuellen Stand in den von ihr geführten „Corona-Verfahren“, insbesondere zum Eilantrag eines Richters in Thüringen, dem bayerischen Offenbarungseid in Sachen Rechtstaatlichkeit sowie dem Antrag auf Vernehmung des Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder.

Am 7. August 2020 habe ich für meinen Mandanten, einen Thüringer Richter, einen Eilantrag beim Thüringer Oberverwaltungsgericht gegen die immer noch fortgeltende Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (im Folgenden: Maskenpflicht) und das Abstandsgebot gestellt. [1] Es handelt sich hierbei um den zweiten Eilantrag dieser Art meines Mandanten. Den ersten Antrag reichte er am 15. Juni 2020 ein, am 3. Juli 2020 wurde sein Antrag abschlägig beschieden. [2]

In Kürze unsere Argumente:

1. Es gibt unseres Erachtens – soweit ersichtlich im Einklang mit sämtlichen Vertreter/innen der Rechtslehre – für die unspezifischen, gegen sogenannte Nichtstörer gerichtete Maßnahmen wie die hier beanstandete Maskenpflicht und dem Abstandsgebot bereits keine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage. Wesentliches muss das Parlament selbst regeln und kann derartige Entscheidungen – schon gar nicht für mehrere Monate – nicht der Exekutive überlassen. Warum der gewählte Gesetzgeber unter dem Eindruck dessen, dass es aus der Rechtslehre von Beginn an tiefgreifende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage der Verordnungen gab und auch die Rechtsprechung in inzwischen zahlreichen Entscheidungen deutlich zum Ausdruck brachte, dass wenigstens Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestehen und dies in den Hauptsacheverfahren zu klären sei [3], nicht inzwischen Regelungen in Form von förmlichen Gesetzen getroffen hat, ist nicht nachvollziehbar. Die Vermutung, dass der Hintergrund möglicherweise darin zu sehen ist, dass man seitens der politischen Verantwortlichen nach wie vor den Anschein erwecken möchte, die bisherigen Maßnahmen beruhten auf einer verfassungsmäßigen Rechtsgrundlage, sodass keine Nachbesserung notwendig ist, habe ich bereits am 10. April 2020 geäußert. [4]

2. Das Abstandsgebot verstößt unseres Erachtens gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Für die Bürger/innen muss klar erkennbar sein, was erlaubt und was verboten ist. Das ist hier evident nicht der Fall. Wann die Einhaltung des Mindestabstands nicht möglich oder nicht zumutbar ist, ist anhand objektiver Kriterien nicht bestimmbar. Rechtstatsächlich wird das Abstandsgebot ersichtlich nur im Rahmen organisierter und institutionalisierter Zusammenkünfte beachtet – und stellt die Betreiber/innen von Restaurants, Cafés, Läden, Kinos, Theater usw. vor beträchtliche Probleme, während zu beobachten ist, dass die Menschen im Alltag das Gebot, 1,5 m Abstand zu halten, nach hiesiger Wahrnehmung, überwiegend nicht beachten.

3. Die beanstandeten Maßnahmen sind zudem unserer Auffassung nach unverhältnismäßig. Zu Beginn war die Verhinderung der Überlastung des Gesundheitssystems als primäres Ziel der Corona-Bekämpfungsmaßnahmen ausgegeben worden. Inzwischen wird ausweislich des ablehnenden Beschlusses im ersten Verfahren meines Mandanten die „Infektionsvermeidung in der Bevölkerung“ als neuer Zweck ausgegeben. Wie im letzten Update dargelegt, besteht und bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems – ganz offensichtlich besteht diese jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. [5] Diese Meinung teilt offenbar auch das Bundesverfassungsgericht, das mit Beschluss vom 16. Juli 2020 einen Eilantrag ablehnte, der zum Ziel hatte, die Bundesregierung zu verpflichten, vorläufig die Triage zu regeln. In der Entscheidung [6] ist u.a. zu lesen:

„Das zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt erkennbare Infektionsgeschehen und die intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten lassen es in Deutschland nicht als wahrscheinlich erscheinen, dass hier die gefürchtete Situation der Triage eintritt.“

Stichpunktartig soll im Folgenden unsere Argumentationslinie nur angerissen – ohne alle Argumente anzuführen – werden, die tiefergehende Argumentation kann in dem hiesigen Eilantrag [7], aber auch in anderen Anträgen [8] nachgelesen werden.

mehr:
- Corona-Maßnahmen vor Gericht (Jessica Hamed, multipolar, 19.08.2020)
siehe auch:
- xxx (Post, )
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Prof. Dr. Hendrik Streeck über emotionale und rationale Beurteilung von Risiken | Rede im Dom zu Münster | 19.08.2020

Prof. Dr. Hendrik Streeck | Rede im Dom zu Münster | 19.08.2020 {13:46}

Corona Aktuell 
Am 22.08.2020 veröffentlicht 
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Covid-19 – undramatische Daten – dramatischen Eingriffe

Womit lassen sich eigentlich die Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern begründen? Im März hieß es, man müsse das Gesundheitssystem vor dem drohenden Kollaps bewahren. Im April rückte der R-Wert als vermeintlich belastbarer Indikator in den politischen Fokus und im Mai verabschiedeten Bund und Länder einen „Notfallmechanismus“, der strengere Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus von der Infektionslage auf Kreisebene abhängig machen sollte. Heute, im August, sind die Krankenhäuser so leer wie selten zuvor, von einer exponentiellen Ausbreitung der Infektionen kann keine Rede sein und kein einziger Landkreis reißt die vereinbarte Obergrenze. Die wichtigen Zahlen und Indikatoren unterscheiden sich diametral von der Situation Ende März. Dennoch malen Teile der Politik das Schreckensszenario eines zweiten Lockdowns an die Wand. Von Jens Berger

Als Bund und Länder im März und April ihre unterschiedlichen „Maßnahmen“ verhängten, sah die Datenbasis zur Covid-19-Pandemie noch anders aus.

Neuinfektionen
  • Anfang April meldete das RKI jeden Tag mehr als 6.000 Neuinfizierte.
  • Im August war laut RKI die Zunahme der aktiven Fälle (5.425) in den ersten 18 Tagen zusammen niedriger als im April an einem einzigen Tag.
Verstorbene
  • Für den 16. April verzeichnete das RKI 315 an oder mit Covid-19 Verstorbene.
  • Das ist mehr, als wir in den letzten 50 Tagen in Summe hatten (279). Im August verstarben im Schnitt 5,2 Patienten pro Tag an oder mit Covid-19. 
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