Dienstag, 21. Juni 2011

Vor 51 Jahren: der letzte weiße 100-m-Weltrekordler

Nachdem seine Zeit von 10,0 Sekunden über 100 Meter bei einem Sportfest 1958 in Friedrichshafen wegen eines um einen Zentimeter zu hohen Bahngefälles nicht anerkannt worden war, lief Armin Hary bei einem Leichtathletik-Meeting im Züricher Letzigrund-Stadion endlich einen offiziell anerkannten Weltrekord.

Die Vorgeschichte zu seinem Rekord liest sich wie ein Krimi:
Die Funktionäre des DLV hatten seine Teilnahme zu verhindern versucht, angeblich wollte man Hary für die bevorstehende Olympiade in Rom (25. August bis 11. September!) schonen. Seine Teilnahmebestätigung für Zürich bekam er erst am Wettkampftag telefonisch durch die schweizerischen Veranstalter (11:30 Uhr). Da alle offiziellen Flüge ausgebucht waren, erreichte Hary Zürich erst wenige Stunden vor Wettkampfbeginn mit einem Transportflugzeug. Den ersten Lauf, der im folgenden Video zu sehen ist, gewinnt Armin Hary um 19:45 Uhr mit offziell gestoppten 10,0 Sekunden.

Nachträglich wird er wegen Fehlstarts disqualifiziert.
»Im Jahre 2004 erleichterte ein altgewordenen Kampfrichter sein Gewissen Armin Hary gegenüber. Er hatte damals sogar 9,8 Sekunden auf seiner Stoppuhr, traute sich aber schon mal gar nicht, sich zu dieser Zeit laut zu bekennen.« (freiewelt.net)
Hary ist aufgebracht und fordert mit Unterstützung des Sportjournalisten Gustav Schwenk einen zweiten Lauf.
»Und dann kam ein Journalist, der Gustav Schwenk, und sagt zu mir: Du, da gibt es einen Paragrafen in der Satzung vom Leichtathletikverband, da kannst du einen Lauf wiederholen, ohne dass der Lauf vorher angemeldet ist.« (dradio)
»Es war natürlich eine kolossale Nervenbelastung, da ich in 20 Minuten alles selbst machen musste und mich mit dem Kampfgericht rumschlagen musste, um überhaupt zu einem Ziel zu kommen.« (kalenderblatt.de)

In seinem Buch enthüllt Teske, dass die Zeitmessungs-Firmen Longines und Omega die TV-Aufnahmen von Harys Frühstart-Lauf untersucht haben. Ergebnis: Es war gar kein Frühstart!
Und: Elektronisch mitgestoppt (1960 wurde per Hand gestoppt) lief Hary in diesem Lauf 10,16 Sekunden.
Wie kommt jetzt die Zeit 9,9 Sekunden zustande?
Eine handgestoppte Zeit ist rund 0,24 Sekunden schneller als eine elektronische Messung. Teske: „Das bedeutet, die elektronisch gestoppten 10,16 Sekunden vom ersten Lauf minus der 0,24 Sekunden für die Handzeitnahme ergeben abgerundet 9,9 Sekunden.“
Teskes Urteil: „Wenn, wofür die von Longines und Omega erschaffenen Indizien sprechen, der erste Lauf kein Fehlstart war, hat das Kampfgericht Hary nicht nur um seinen ersten Weltrekord gebracht, sondern zugleich um den ersten Unter-10-Sekunden-Lauf.“
Hary sagt: „45 Jahre später kam beim Jubiläumssportfest in Zürich ein älterer Herr auf mich zu und erleichterte sein Gewissen mir gegenüber mit den Worten: Er habe sich damals geweigert, seine Uhr zum Ablesen den Kollegen hinzuhalten. Aus Scham über seine Zeitnahme. Der Unbekannte: ‚Ich hatte für Sie 9,8 Sekunden gestoppt...“ (aus bild.de)

Hary überredet zwei Teilnehmer aus dem ersten Lauf, noch einmal mit ihm zu laufen. Drei Männer starten also um 20:20 Uhr noch einmal. Und wieder gewinnt Hary, wieder in 10,0 Sekunden, und diesmal haben die Kampfrichter ein Einsehen: Weltrekord. Dieser wird erst – fast auf den Tag genau – acht Jahre später durch Jim Hines unterboten (9,95 Sekunden elektronisch gestoppt), der ihn seinerseits fast 15 Jahr innehat. (Am 3. Juli 1983 verbessert der US-Amerikaner Calvin Smith die Marke auf 9,93 Sekunden.)

Eine Zeitungsartikel:
Berliner Zeitung
Es ist viel gelogen worden, ein SPIEGEL-Interview mit Armin Hary
Armin Hary: Der endlos lange Sprint beim Tagesspiegel
Das AHA-Erlebnis bei der Frankfurter Rundschau

Hary wurde oft vorgeworfen, in den Startschuß »hineinzufallen«. Nach einem Artikel bei speedendurance.com bewertet die IAAF eine Reaktionszeit von weniger als 0,100 Sekunden als Fehlstart, weil mit der menschlichen Physiologie nicht vereinbar. Bei Hary wurde jedoch eine Reaktionszeit von 0,04 Sekunden nachgewiesen. Normal sind 0,132 Sekunden.

Bei den Olympischen Spielen in Rom 1960 holte er zweimal Gold: über 100 Meter und in der 4x100m-Staffel.

Ein Jahr nach dem Olympiasieg war Armin Harys Karriere bereits zu Ende. Nach einer Sperre durch den Deutschen Leichtathletik-Verband wegen unkorrekter Spesenabrechnungen (Bahnfahrt statt PKW, es ging um 70 DM) und einer Knieverletzung durch einen Autounfall beendete er, frustriert durch das Verhalten der Funktionäre, 1961 seine Laufbahn und stieg ins Immobiliengeschäft ein.

SPIEGEL-Artikel aus dem Jahr 1960 über unsaubere Spesenabrechnungen im DLV. Da kann man heute nur den Kopf schütteln…

1980 verkauften der 53jährige Liegenschaftsreferent Karl Heinz Bald und der neun Jahre jüngere Armin Hary einige Grundstücke an die bayerische katholische Kirche. Dabei brachte Bald seinen ehemaligen Arbeitgeber nach Ansicht der Richter um 3 Millionen Mark. Hary wurde wegen Beihilfe zur Untreue in zwei Fällen in erster Instanz zu zwei Jahren Gefängnis, in zweiter zu eineinhalb Jahren mit Bewährung und 20.000 DM Geldstrafe verurteilt.

Zeitungsartikel:
Unheilige Geschäfte bei ZEIT-Online
Was macht eigentlich... Armin Hary? bei ARD Peking
Der FSV Frankfurt gratuliert Armin Hary zu seinem 70. Geburtstag bei FSV-Frankfurt.de
Armin Hary bei SZ-Online.de
Hary-Spurt, Hary-Sieg ein kritisches Interview mit Adi Dassler bei ZEIT-Online
Armin Hary - ebenso groß wie verkannt bei xing.com

1990 gründete Hary die Jugendsport-Förderagentur AHA-F, für Kinder aus sozial schwachen Familien, um sie während ihrer sportlichen Karriere zu begleiten. »Die meisten Kämpfer und Siegertypen kommen aus den hungrigen Bevölkerungsschichten, nicht aus den satten«, meint der Bergmannssohn Armin Hary. Er weiß, wovon er spricht.