Samstag, 7. März 2009

Faschismus und Spiritualität

Damals, als ich in Gießen studierte, gab es da eine recht eindrucksvolle Sannyas-Szene. Viele Lehramts-Studenten, viele im Referendariat. Und – wie das bei uns Menschen nun mal so ist – es gab auch den sogenannten Gruppendruck. Gruppendruck halt auf rot mit Mala und auf dem Weg zur Erleuchtung. Der Weg ist halt das Ziel. Auch wenn es rot ist. Und das Referendariat war kein Zuckerschlecken. Lehrjahre sind halt keine Herrenjahre, waren sie noch nie. Auch zur Zeit, als es noch keine Globalisierung und keine Bankenkrise gab. Und, um es in dem damaligen Sannyas-Slang auszudrücken: die auf dem Weg zur Erleuchtung befindlichen roten Referendare »dropten« reihenweise. Der Weg in die Bürgerlichkeit stand halt im Widerspruch zum Weg zur Erleuchtung, jedenfalls sah das damals ganz so aus. Damals gab es auch Stempel auf den Briefen aus Poona. (Ganz so, wie ich keine Lust habe, die Rechtschreibreform mitzumachen, habe ich auch keine Lust, die neue Schreibweise »Pune« mitzumachen. Aufs mitmachen hatte ich noch nie viel Lust. Wahrscheinlich bin ich da nicht besser als viele andere, die versuchen irgendwelchen Bildern, die sie im Kopf haben, zu entkommen.) Simmt: Die Briefe kamen inzwischen aus Oregon, von der Ranch. Und diese Stempel auf den Briefen sagten »Let Go«, und waren so, daß man es auch als »Let Go Ego« lesen konnte. Und wie man das Ego loslassen konnte, jedenfalls in der Ansicht der vielen Roten, die keine Ahnung aber umso mehr Meinungen davon hatten, was sie sich unter Erleuchtung vorzustellen hatten (zur Rechten eines nicht existierenden Gottes zu sitzen, der der Scheiße, die hier ablief, einfach zu sah, war halt nicht besonders attraktiv), also nach Meinung der Roten war es der spirituellen Entwicklung förderlich, wenn man möglichst viele Sachen losließ oder dropte: Haus, Lebensgefährte, Ausbildung bzw. Beruf. Und in dieser Gießener Sannyas-Gruppe war man halt angesehen, wenn man alles mögliche dropte.

Ich war damals in der Sannays-Szene nicht besonders angesehen. Weil, einerseits kam ich mit dem Studium nicht gut zurecht, andererseits war ich für meine Studienkommilitonen ein absoluter Exot (um es gelinde auszudrücken) und zuguterletzt hielt ich als gut dressiertes Bürgersöhnchen auch noch an diesem Studium, unter dem ich so litt, auch noch fest, als alle um mich herum dropten. Und wenn dann nach dem neusten World-Festivel sämtliche Sannyas-Center auf der Welt für etwa einen Monat funktionsunfähig waren, weil mal wieder alle möglichen Leute neue Liebhaber gefunden hatten, mit denen sie zusammenleben wollten und alle möglichen Leute mit Trennungsschmerz und Umzug beschäftig waren und in allen Sannyas-Centern auf der Erde die Waschmaschinen rauchten, weil es neue Color-Cards mit den neuen angesagten Rot-Tönen gab und alle sich die Kleider umfärbten, saß ich in meinem Stübchen und büffelte und litt vor mich hin. Wie Danny Glover in »Lethal Weapon« »zu alt für den Scheiß’« war, hatte ich dafür einfach keine Zeit.

Und weil die Gießener Commune langsam den Bach runter ging – das vegetarische Restaurant lief nicht, die Osho-Disco in einer ehemaligen Schwulenkneipe war einfach zu klein, und das Investitionsrisiko für eine größere Räumlichkeit zu groß – und man dann trotzdem noch irgendwie in Kontakt mit der großen Gemeinde der auf dem roten Weg zur Erleuchtung sich befindlichen bleiben wollten, fuhren viele Gießener ab und zu zu Treffen nach Wiesbaden in eine große Sannyas-Disco, in der man dann regelmäßig die aktuellsten Meldungen von der Ranch zu hören bekam.

Alle wußten, daß die Ranch in Schwierigkeiten war, auch in politischen Schwierigkeiten. Die Rednecks konnten mit diesen Roten, die in the middle of nowhere eine riesige Kommune aus dem Boden stampften, nichts anfangen, im Gegenteil: sie waren ihnen äußerst suspekt.

Und Sheela, die schon seit Jahren die Organisation der Kummune in Händen hielt – nach Oshos Worten blicken Frauen im Leben einfach besser durch (und ich glaube, er hat sich immer die richtigen Leute ausgesucht) – war auf den Gedankan gekommen, die Umstände, unter denen die dortigen Kommunalwahlen stattfanden, zu ihren Gunsten zu verändern, indem man unter dem Deckmantel der Fürsorglichkeit Obdachlose aus ganz Nordamerika auf die Ranch einlud und so die Zahl der Stimmberechtigten drastisch erhöhen konnte. Mir war sofort klar, um was es ging, aber zu der damaligen Zeit gab es noch einen anderen Gruppendruck: außer »fallenlassen« ging es auch um »surrender«. Eine Art spiritueller Weichmacher für dieses starrsinnige Ego, das an einem klebte wie die Fliege auf der Scheiße und am Erleuchtet-Werden hinderte. Und wenn man den Meister wirklich liebte, dann gab man sich auch hin. Was Hingabe war, war auch nicht so ganz klar. (Für viele bedeutete es Selbstaufgabe.) 1983 in Alpbach auf dem Kongreß »Andere Wirklichkeiten« saß die »Botschafterin« Oshos für Europa, Ma Latifa – ich habe mir das von jemandem erzählen lassen, war also selbst nicht dabei – mit einigen Vortragenden – ich glaube, es handelte sich um Rupert Sheldrake und Morris Berman – abends beim Bier und entblödete sich nicht, den Anwesenden zu eröffnen, diese ganzen Diskussionen, wie irgendwas zu sehen und zu verstehen sei, habe sie eingestellt, ihren »Mind« habe sie schon vor ein paar Jahren weggeschmissen. (Ma Latifa war auch mit dafür verantwortlich, daß sich die Sannyasins auf diesem Kongreß bis auf die Knochen blamierten, aber das ist eine andere Geschichte.) Und genauso wie die »Mamas« (so wurden die Sannyas-Frauen in Führungspositionen genannt) ihre »Minds« wegschmissen, so schmissen auf dem Weg zur roten Erleuchtung auch viele Sannyasins ihre Verantwortung weg, ihr kritisches Denken und ihre Fähigkeiten, einen einmal eingeschlagenen Weg trotz aller Widrigkeiten fortzusetzen. Surrender und Dropen waren Freifahrtscheine fürs Vermeiden von Unannehmlichkeiten und erlaubten die graue Masse oberhalb der Nasenwurzel mit gutem Gewissen abzuschalten.

Wie gesagt, wir Gießener Unerschütterlichen, die noch Kontakt zur großen roten Karawane aufrechtzuerhalten versuchten, machten uns also alle paar Wochen auf nach Wiesbaden ins dortige Center. Und bei einer dieser Veranstaltungen im Herbst 1984 bekamen dann etwa 500 Rotgewandete von jemandem, der gerade von der Ranch zurückgekommen war, mit glänzenden Augen erzählt, uns Sannyasins ginge es ja jetzt gut, und wir würden nun im Rahmen des »Share a Home«-Programmes die Obdachlosen aus der ganzen USA auf die Ranch rufen, um ihnen sie Errungenschaften der Roten Gemeinde zukommen zu lassen. Als jemand aus dem Publikum fragte, wie denn das mit den bevorstehenden Kommunalwahlen sei und daß in der deutschen Presse sehr wohl Überlegungen angestellt würden, daß es eine seltsame Koinzidenz gebe von »Share a Home« und Kommunalwahlen, und wie sich denn die Ranch zu diesen Überlegungen und Verdächtigungen in der Presse stellen würde (ich freute mich, und dachte: endlich fragt hier mal einer kritisch nach), schlug die wohlig warme Wir-Haben-Uns-Alle-Lieb-Stimmung plötzlich um. Um es kurz zu machen: Der Frager wurde vor versammelter Mannschaft ordentlich rund gemacht, er habe ja schon seit Jahren Schwierigkeiten zu Surrendern und mit seinem Mindfuck solle er doch die anderen nicht durcheinandermachen, und er solle doch jetzt einfach mal endlich vertrauen. Und in diesem Moment fragte ich mich, was ich da verloren hatte. War ich jetzt nach Poona gefahren, hatte zweifelnd an meinem Medizinstudium festgehalten und meinen größten Meister aller Zeiten mit seinen Ideen allen Nicht-Durchblickern mehr oder (meist) weniger geduldig erklärt und war dafür mit der Aura des Bekloppten belohnt worden, um mir nun in einer roten Faschisten-Gemeinde die Segnungen irgendwelcher größenwahnsinnigen Mamas vor Erleuchtungs-Seligkeit besoffen reinzutun und das Maul zu halten, wenn jemand da einfach fertiggemacht wurde? Was unterschied denn dann uns Rote von irgendwelchen anderen Gruppierungen? – Und das war für lange Jahre mein letzter Kontakt mit einer größeren Anzahl von Sannyasins. Ob die Faschisten rot, schwarz oder braun sind, damit wollte und will ich nichts zu tun haben.

Osho hat mal gesagt, wir Deutschen könnten froh sein, Hitler gehabt zu haben. Und hat, wie so oft, damit in ein Wespennest gestochen. In unserer deutschen – vielleicht auch westlichen – Pressekultur gibt es ja auch einen Gruppendruck: Kein Statement darf über die Länge einer Bildzeitungsschlagzeile hinausgehen, und wer das, was er sagt, so formuliert, daß jemand, der weniger als 20 Sekunden lang drüber nachdenkt, es mißverstehen kann, der ist verkehrt. Und die Presse fiel dann einmütig über diesen indischen Sex-Guru her und meinte, Osho habe damit sagen wollen, er finde Hitler gut. Was Osho meinte, war, daß wir Deutschen, die wir auf Hitler reingefallen sind, so viel Scheiße gebaut haben, daß die Schuld und die Scham darüber so groß ist, daß die Wahrscheinlichkeit, daß wir sowas in den nächsten Tausend Jahren nochmal tun, ziemlich gering ist. Wir Deutschen sind für sowas nach Hitler sensibilisiert. Deshalb auch die Proteste gegen die deutsche Wiederbewaffnung in den Fünzigern (Gustav Heinemann, späterer Bundespräsident und Mitbegründer der CDU trat 1952 aus Protest aus seiner Partei aus und in die SPD ein). Und genauso, wie wir Deutschen froh sein können, daß wir mit der Scham und der Schuld über Hitler nun gezwungen sind, wach zu bleiben, genauso kann sich die christliche Kirche über die Hexenverfolgung freuen. Auch die hat das Augenöffnen erzwungen. Wie schwierig es ist – und wir Deutschen haben das ja gewiß nicht freiwillig getan (das Mitscherlich-Buch über die Unfähigkeit zu Trauern wurde nicht umsonst geschrieben) – der eigenen Schuld ins Auge zu blicken, sehen wir an der Art, wie die Franzosen mit ihrem Napoleon und ihrer Kolonialgeschichte umgehen, die Russen mit Stalin, die Türken mit ihrem Genozid an den Armeniern und die Amis mit Bush (da wird ja hoffentlich noch einiges kommen).

Für mich ist Osho der einzige Meister, der noch zu Lebzeiten seinen Schülern die Möglichkeit gegeben hat, in die Scheiße zu springen – und wie auch hochintelligente Leute das mitmachen, haben wir auf der Ranch gesehen. Und da im offiziellen Sannyas-Diskurs darüber kaum geredet wird, ist Satyanandas Artikel mal wieder eine Wohltat. Aus Dummheiten lernen wir, und je größer die Dummheit, desto größer die Möglichkeit, für sich da was rauszuziehen. Das erzeugt unter anderem auch Demut. Viel effektiver, als wenn das nur auf einem Stück Papier steht und man sich wieder bauchpinseln kann, wie sanft man sein Ego, wenn man’s schon nicht loswerden kann, wieder hingebogen hat. Und weil der Alte den Mut hatte, seine ganze Community – und auch sich selbst – dermaßen vor den Augen der Weltöffentlichkeit bloßzustellen, unter anderem deshalb ist er für mich der Größte.

So jemand wie Ma Latifa wird auf absehbare Zeit in der Sannyas-Szene keinen Boden unter die Füße mehr kriegen, und egal, wie weh es getan hat, zu sehen, wie sich die Roten unsterblich blamieren, ich glaube, besser kann man nicht lernen. Ich jedenfalls habe nie mehr wieder jemandem begreiflich zu machen versucht, daß es nichts besseres gibt als Sannyas. Ich habe viele Leute auf dem spirituellen Weg getroffen, die meisten haben einen ziemlich kleinen Geist, egal wie sie ihn anstreichen, und ich habe viele Leute getroffen, die ich richtig klasse finde, und es ist mir völlig egal zu wem sie beten und welche Lieder sie singen. Ich habe ziemlich viel verloren auf dem Weg, wo ich doch hoffte viel zu gewinnen, aber von den Dingen, die ich verloren habe, hat sich häufig herausgestellt, daß der Schmerz des Verlustes es wert war. Es hat nur häufig ziemlich lange gebraucht, bis ich es merkte und mir eingestehen konnte. Und wie diese Sannyas-Dinosaurier über die Dummheiten ihrer Jugend reden, ist sehr erfrischend. Manches lernen wir spät und manches nie, das liegt in unserer Natur und in der Natur der Dinge. Und wenn wir das begreifen, dann haben wir was wichtiges gelernt auf unserem Weg, egal, was der für eine Farbe hat. Holz hacken, Wasser tragen, erleuchtet werden, holz hacken wasser tragen…