Donnerstag, 9. Mai 2019

Wenn Regierungen lügen und Medien mitmachen

Das Vertrauen in die Medien ist so gering wie selten zuvor. Man fühlt sich nicht repräsentiert, einseitig informiert, »belogen« sogar. Doch was ist dran an solchen Vorwürfen, die von Leitmedien und Arrivierten in aller Regel mit dem Hinweis, niemals zu lügen, abgetan wird? Dazu äußert sich der Journalist und Medienkritiker David Goeßmann, Mitbegründer des unabhängigen TV-Nachrichtenmagazins Kontext TV im Interview mit Jens Wernicke. Ein Auszug aus dem Buch „Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung“. David Goeßmanns Buch „Die Erfindung der Bedrohten Republik“ ist im Sturm-und-Klang-Shop erhältlich.

Jens Wernicke: Herr Goeßmann, auch Sie sind mit einem Beitrag in dem Buch »ARD & Co.: Wie Medien manipulieren« vertreten. Und ich dachte immer, der Vorwurf, Medien würden manipulieren, käme »von rechts« – Sie aber erheben ihn auch als Journalist. Wie kommt es dazu? Wogegen richtet sich Ihre Kritik?

David Goeßmann: Lassen Sie es mich mit einem der größten investigativen Journalisten des letzten Jahrhunderts sagen. Der US-Journalist I. F. Stone hatte bei seiner Arbeit ein ehernes Prinzip: Reporter sollten mit der Voraussetzung an ihre Arbeit gehen, dass mächtige Institutionen lügen, und nicht damit, dass sie die Wahrheit sagen. »Governments lie« war seine Devise. In den 1950er Jahren wollte jedoch keine Zeitung den angesehenen Journalisten anstellen. Er stand auf schwarzen Listen der US-Regierung. 1953 gründete er den berühmten Newsletter I. F. Stone’s Week­ly, aus der Not geboren. Der »muckraking journalist« Stone war damit eine Art Pionier-Blogger, Vorbild für unabhängige Journalisten wie Michael Moore, Glenn Greenwald oder Jeremy Scahill. Während New York Times, CBS und Co. in den Vereinigten Staaten einfach Regierungspropaganda weiterreichten, opponierte Stone bereits früh gegen den Vietnamkrieg, gegen Diskriminierung und politische Repression. Sein journalistischer Stil war schmucklos: »Ich habe mich nie für Insider-Kram interessiert. (…) Ich versuchte vielmehr, Informationen bereitzustellen, die belegt werden können, so dass die Leser sie selbst überprüfen können. Ich bemühte mich, die Wahrheit aus Anhörungen, offiziellen Mitschriften und Regierungsdokumenten so akkurat wie möglich freizulegen. (…) In jeder Ausgabe habe ich versucht, Fakten und Meinungen, die sonst nirgends in der Presse aufzufinden sind, zu bieten.«


Stone war es auch, der dem US-Präsidenten Lyndon B. Johnson vorhielt, dass er zum Vorfall im »Golf von Tonkin« nicht die Wahrheit sage und Ungereimtheiten verschweige, veröffentlicht in seinem »one-man« Weekly. Die millionenschweren US-Mainstreammedien von New York Times und Washington Post mit besten Kontakten in die gesellschaftlichen Schaltzentralen schwiegen dazu.


Mit der gleichen Skepsis, die I. F. Stone der Regierung entgegenbrachte, sollte man auch an die Berichterstattung der Mainstreammedien herangehen. Denn auch sie stellen mächtige Institutionen dar. Wer sich anschaut, wer die Medien besitzt, finanziert, managt, den notwendigen Strom an Informationen und Nachrichten täglich bereitstellt oder sie mit »Gegenfeuer« beeinflussen und disziplinieren kann, der sollte mit einer tiefen Grundskepsis die Zeitung morgens aufschlagen oder die Nachrichten anschalten. Die Fragen im Kopf sollten immer lauten: Sieht die Welt wirklich so aus? Erhalten wir das volle Bild über relevante Ereignisse? Wer erhält ein großes Forum und wer nicht? Wo wird verzerrt, gelogen, weggelassen, ausgeblendet und mit doppelten Standards berichtet?

Man kann natürlich auch dem Idealismus der »freien Presse« folgen. Das ist die Grundhaltung, die uns anerzogen worden ist. Sie macht jedoch keinen Sinn. Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse enden ja nicht auf wunderbare Weise an den Toren der Medienunternehmen und Rundfunkanstalten.

Journalisten sollten daher vor allem mit der Wahrheit verheiratet sein – und nicht mit ihren Medienunternehmen oder -anstalten. Und Medienkritik sollte eine ihrer vornehmsten Aufgaben sein. Denn was die Bürger über die Welt erfahren, bekommen sie aus den Massenmedien. Daher muss die Berichterstattung permanent überprüft und hinterfragt werden in Hinsicht darauf, ob die Medien dieser Verantwortung auch gerecht werden.

Auch ist es nicht so, dass wir bei null anfangen müssten: Es gibt bereits einen enormen Korpus an fundierter, gut belegter Medienkritik und -analyse. Viele Journalistinnen und Journalisten tragen täglich dazu bei, uns eine andere, zum Schweigen gebrachte Welt zu präsentieren, fast immer jedoch außerhalb der klassischen medialen Öffentlichkeit. Sehr beindruckend, sehr progressiv, sehr inspirierend. Das ist der Keim für die allerorts so dringend notwendige Veränderung.

mehr:
- Wenn Regierungen lügen und Medien mitmachen (Hinter den Schlagzeilen, 09.05.2019)
siehe auch:
- Was einmal gesagt werden mußte (Post, 14.04.2016)

Die ersten 18 Sekunden…
Desinformation: Das Spiel der Geheimdienste mit der Wahrheit (1) - Dirk Pohlmann | ExoMagazin {10:19}

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Am 23.02.2018 veröffentlicht 
Begleittext: siehe YouTube