Samstag, 6. Oktober 2018

Bedingungslos für Israel?

Was an der jüdischen Israel-Affinität aus der Perspektive der Leiderfahrung als unhinterfragbar erscheinen mag, erhält in der Israel-Rezeption von Deutschen gemeinhin einen ganz anderen Stellenwert, besonders dann, wenn Deutsche „Israel“ und „Juden“ in Beziehung zueinander setzen. Deutsche fühlen sich zu einer grundsätzlichen Israelsolidarität verpflichtet, da sie die Staatsgründung Israels als eine Art „Wiedergutmachung“ für ihre geschichtlichen Verbrechen am jüdischen Volk ansehen. Welches Kollektiv, wenn nicht das deutsche, müsste so „fühlen“?

Ein zweiter Aufschrei lässt sich an dieser Stelle vernehmen: Ist es zulässig, im hier erörterten Zusammenhang pauschal von „Deutschen“, von „deutschem Antisemitismus-Diskurs“ und von „deutscher Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“ zu reden?

Verbietet sich eine solch generalisierende Nomenklatur nicht schon deshalb, weil doch sehr unterschiedliche, gar gegensätzliche Stimmen und jedenfalls eine heterogen gestimmte deutsche Öffentlichkeit auf kurzfristige tagespolitische Aufloderungen wie auf geschichtlich verfestigte Ideologeme beziehungsweise Tabuübertretungen reagieren?

Dem ist gewiss so, und gewiss ist der eine oder andere Punkt in der vorliegenden Erörterung überspitzt formuliert worden. Und doch lässt sich darauf insistieren, dass die plurale Stimmenvielfalt einem umfassenden (hier idealtypisch angesprochenen) Muster subsumiert sei, das sich an der elementaren Neuralgie des Verhältnisses von Deutschen-und-Juden-nach-Auschwitz schärft und bei periodisch aufflammenden Debatten um die nun mal als „deutsch“ apostrophierte und als ebendiese verhandelte „Vergangenheit“ in einer sich stets zugleich einstellenden Polarisierung mit besonderer Deutlichkeit zutage tritt.

Antisemitische Abneigung gegen Juden und philosemitische „Judenliebe“ erweisen sich dabei, ebenso wie vorgebliche, vor allem bei Jugendlichen anzutreffende „Indifferenz“ Juden gegenüber, als exemplarische Reaktionsmuster, die eines gemeinsam haben: die abschätzige, verklärende oder eben „teilnahmslose“ Abstraktion von „Juden“, die als solche zur Projektionsfläche für selbstbezogene Befindlichkeitskämpfe und Identitätsgerangel, welche sich einzig der unhintergehbaren neuralgischen Verfasstheit eines jeden „Deutschen“ gegenüber „dem Juden“ verdankt, reduziert werden. Ob es in der gegenwärtigen Geschichtsphase einen Ausweg aus diesem Zirkel gibt, sei dahingestellt. Ganz gewiss findet er sich jedoch ebenso wenig in der normalisierungssüchtigen Abkopplung von der deutschen Vergangenheit wie in der „Bekämpfung“ eines katastrophisch herbeigeschrienen Antisemitismus, so als stünde nichts weniger als die Heraufkunft des Vierten Reiches bevor.

mehr:
- Eine kranke Beziehung (Moshe Zuckermann, Exklusivabdruck aus „Der allgegenwärtige Antisemit“, Rubikon, 06.10.2018)
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Rezensionen:
Die Antisemitenmacher oder wie Kritik an der Politik Israels verhindert wird (Moshe Zuckermann, NachDenkSeiten, 01.10.2018)
- Der allgegenwärtige Antisemit (asansörpress35, Freitag-Community, 18.09.2018)
- Polemische Kritik am deutsch-israelischen Verhältnis (Arno Orzessek, Deutschlandfunk Kultur, 03.09.2018)
- Wenn der Blick auf das Ganze fehlt (FAZ, 28.12.2010)
- Moshe Zuckermann: "Antisemit!" (Tamar-Amar Dahl, Sehepunkte, 15.11.2011)
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KenFM im Gespräch mit: Moshe Zuckermann {1:12:53}

KenFM
Am 09.08.2013 veröffentlicht 
Moshe Zuckermann ist Soziologe und Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv. Hier, in der zweitgrößten Stadt Israels, wurde er 1949 als Sohn von Holocaust-Überlebenden geboren, verbrachte jedoch zehn Jahre seiner Jugend in Deutschland, da seine Eltern 1960 aus finanziellen Gründen nach Frankfurt am Main emigrierten. Die historische Brisanz dieses Umzugs wurde ihm erst im Lauf der Jahre bewusst, als er vom Holocaust und der jüngsten deutsch-jüdischen Geschichte erfuhr. Diese Beziehung zu Israel und Deutschland spiegelte sich auch in seiner beruflichen Laufbahn wieder, so leitete er unter anderem das Institut für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv.
Ken Jebsen im Gespräch mit Moshe Zuckermann.
http://www.kenfm.de
http://kenfm.de/blog/2013/08/10/moshe...
http://www.facebook.com/KenFM.de
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siehe auch:
- Europäischer Antisemitismus 1880 – 1945 (Michael Kuhlmann, Deutschlandfunk, 27.02.2017)
Noch lebt er: KenFM im Gespräch mit Arnold Hottinger über den Nahen Osten (Post, 07.01.2014)
- Die deutsche Besessenheit (Henryk M. Broder, Welt, 17.12.2012)
- Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert (Wolfgang Benz, Bundeszentrale für politische Bildung, 27.11.2006)


Fernsehhinweis: Gaddafi – Libyens kaltblütiger Herrscher

Mit eiserner Hand hat Muammar al-Gaddafi 42 Jahre lang über Libyen geherrscht. Als Diktator versetzte er die ganze Welt immer wieder in Angst und Schrecken.
mehr:
- Despoten: Gaddafi – Libyens kaltblütiger Herrscher (TV Spielfilm)
Heute, 21:05 - 22:00, n-tv
Doku, GB 2015, 55 Min.
Wh. um 1.45 Uhr, Folge 2 am 13.10.


mein Kommentar:
Anscheinend gehört es zum Deutschland-Narrativ für »die 80% Dummköpfe« (Goebbels), daß wir von kleinen Hitlern umgeben sind, die »die ganze Welt immer wieder in Angst und Schrecken versetzen«.
Und zum Narrativ gehört auch, daß man an diesen kleinen, gemeingefährlichen, selbstverständlich psychisch gestörten Despoten, auch nicht das kleinste Fitzelchen finden oder unkommentiert stehen lassen darf, was irgendwie menschlich verständlich, nachvollziehbar oder als irgendwie »gut« empfunden werden könnte.
Vor wenigen Tage sah ich eine Fernsehdoku, in der Winifred Wagner sagte, sie sei anfangs von Hitlers blauen Augen fasziniert gewesen. Es scheint zur political correctness zu gehören, daß solche Aussagen nicht unkommentiert stehen gelassen werden dürfen. Der Sprecher aus dem Off meinte dazu, wenn man so viele Jahre nach dem Sturz des Hitler-Regimes noch sowas sage, müsse man einiges verdrängt haben…

siehe auch:
Wüstenflüsse, wie ein Diktator verrückt wird, westliche Werte und ein moderater Moderator (Post, 23.07.2016)
»Der größte Einzelerfolg der CIA« (Post, 01.05.2012)
Der Gaddafi-Clan - geflohen, tot oder festgenommen (Frankfurter Neue Presse, 21.10.2011)
- L I B Y E N - G A D D A F I (Widerhall 61, April 2011)
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US-amerikanische »Regime-Change«-Propaganda im Iran

Warum westliche Narrative über den Iran oft falsch oder Propaganda sind

Dass PR-Agenturen Werbung für Anliegen der Außenpolitik der westlichen Großmächte machen, dürfte seit der Brutkastenlüge oder den Auszeichnungen für die White Helmets bekannt sein. Zumindest für diejenigen, die sich nicht alleine auf die Informationen der Massenmedien und staatlichen Protagonisten stützen. Und so war es auch nicht verwunderlich, als klar wurde, dass das Symbol des "Aufstandes" im Iran von 2018, die junge Frau, die ihr Kopftuch demonstrativ an einem Stock vor sich hält, wieder einmal eine solche PR-Aktion war, diesmal von der US-Regierung.

Am 28. Dezember 2017, dem Tag, als die Proteste gegen die wirtschaftlichen Verhältnisse im Iran durch ausländische Regierungsgegner übernommen wurden, erschien das Bild einer in schwarz gekleideten Frau, die auf einer Erhöhung in einer belebten Straße ihr Kopftuch, ihr Hijab, an einem Stock vor sich hielt. Wie bereits erwähnt, zeigen Bilder, die die ganze Szene abdecken, dass sich praktisch niemand um die Frau kümmerte. Nachdem jedoch das Foto die Person im Westen zu einer Ikone hochstilisiert hatte, wurde sie verhaftet, verhört und dann wieder entlassen.

Die ersten Veröffentlichungen des Fotos wurden von "My Stealthy Freedom" (@masihpooyan) vorgenommen, einem Twitter-Konto, das im Januar 2018 12.000 Follower aufwies. Dieses Konto warb nun im Iran dafür, dass Frauen bewusst gegen die Gesetze des Landes verstoßen sollten und zeigte im Januar ca. mehrere dutzend Nachahmer.

Dass die Veröffentlichung des Fotos mit dem Beginn der in Gewalt umgeschlagenen Demonstrationen begann, ist sicher kein Zufall; auch wenn seit 2014 westliche Medien immer wieder das Kopftuchgebot zum Anlass nehmen, zum "Widerstand" gegen das "Regime" aufzurufen. Die neueste Kampagne wurde durch den iran-feindlichen US-Sender Voice of America (in Farsi) und weiteren US-Medien mit dem Ziel vorangetrieben, einen Regime Change im Iran auszulösen.

mehr:
- Iran: Die Kopftuchikone der USA (Jochen Mitschka, Telepolis, 06.10.2018)
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