Ein zweiter Aufschrei lässt sich an dieser Stelle vernehmen: Ist es zulässig, im hier erörterten Zusammenhang pauschal von „Deutschen“, von „deutschem Antisemitismus-Diskurs“ und von „deutscher Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“ zu reden?
Verbietet sich eine solch generalisierende Nomenklatur nicht schon deshalb, weil doch sehr unterschiedliche, gar gegensätzliche Stimmen und jedenfalls eine heterogen gestimmte deutsche Öffentlichkeit auf kurzfristige tagespolitische Aufloderungen wie auf geschichtlich verfestigte Ideologeme beziehungsweise Tabuübertretungen reagieren?
Dem ist gewiss so, und gewiss ist der eine oder andere Punkt in der vorliegenden Erörterung überspitzt formuliert worden. Und doch lässt sich darauf insistieren, dass die plurale Stimmenvielfalt einem umfassenden (hier idealtypisch angesprochenen) Muster subsumiert sei, das sich an der elementaren Neuralgie des Verhältnisses von Deutschen-und-Juden-nach-Auschwitz schärft und bei periodisch aufflammenden Debatten um die nun mal als „deutsch“ apostrophierte und als ebendiese verhandelte „Vergangenheit“ in einer sich stets zugleich einstellenden Polarisierung mit besonderer Deutlichkeit zutage tritt.
Antisemitische Abneigung gegen Juden und philosemitische „Judenliebe“ erweisen sich dabei, ebenso wie vorgebliche, vor allem bei Jugendlichen anzutreffende „Indifferenz“ Juden gegenüber, als exemplarische Reaktionsmuster, die eines gemeinsam haben: die abschätzige, verklärende oder eben „teilnahmslose“ Abstraktion von „Juden“, die als solche zur Projektionsfläche für selbstbezogene Befindlichkeitskämpfe und Identitätsgerangel, welche sich einzig der unhintergehbaren neuralgischen Verfasstheit eines jeden „Deutschen“ gegenüber „dem Juden“ verdankt, reduziert werden. Ob es in der gegenwärtigen Geschichtsphase einen Ausweg aus diesem Zirkel gibt, sei dahingestellt. Ganz gewiss findet er sich jedoch ebenso wenig in der normalisierungssüchtigen Abkopplung von der deutschen Vergangenheit wie in der „Bekämpfung“ eines katastrophisch herbeigeschrienen Antisemitismus, so als stünde nichts weniger als die Heraufkunft des Vierten Reiches bevor.
mehr:
- Eine kranke Beziehung (Moshe Zuckermann, Exklusivabdruck aus „Der allgegenwärtige Antisemit“, Rubikon, 06.10.2018)
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Rezensionen:
- Die Antisemitenmacher oder wie Kritik an der Politik Israels verhindert wird (Moshe Zuckermann, NachDenkSeiten, 01.10.2018)
- Der allgegenwärtige Antisemit (asansörpress35, Freitag-Community, 18.09.2018)
- Polemische Kritik am deutsch-israelischen Verhältnis (Arno Orzessek, Deutschlandfunk Kultur, 03.09.2018)
- Wenn der Blick auf das Ganze fehlt (FAZ, 28.12.2010)
- Moshe Zuckermann: "Antisemit!" (Tamar-Amar Dahl, Sehepunkte, 15.11.2011)
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KenFM im Gespräch mit: Moshe Zuckermann {1:12:53}
KenFM
Am 09.08.2013 veröffentlicht
Am 09.08.2013 veröffentlicht
Moshe Zuckermann ist Soziologe und Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv. Hier, in der zweitgrößten Stadt Israels, wurde er 1949 als Sohn von Holocaust-Überlebenden geboren, verbrachte jedoch zehn Jahre seiner Jugend in Deutschland, da seine Eltern 1960 aus finanziellen Gründen nach Frankfurt am Main emigrierten. Die historische Brisanz dieses Umzugs wurde ihm erst im Lauf der Jahre bewusst, als er vom Holocaust und der jüngsten deutsch-jüdischen Geschichte erfuhr. Diese Beziehung zu Israel und Deutschland spiegelte sich auch in seiner beruflichen Laufbahn wieder, so leitete er unter anderem das Institut für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv.
Ken Jebsen im Gespräch mit Moshe Zuckermann.
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siehe auch:
- Europäischer Antisemitismus 1880 – 1945 (Michael Kuhlmann, Deutschlandfunk, 27.02.2017)
- Noch lebt er: KenFM im Gespräch mit Arnold Hottinger über den Nahen Osten (Post, 07.01.2014)
- Die deutsche Besessenheit (Henryk M. Broder, Welt, 17.12.2012)
- Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert (Wolfgang Benz, Bundeszentrale für politische Bildung, 27.11.2006)
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