Mittwoch, 30. September 2009

Das entsetzliche Wissen

»Todfreunde« bei ZEIT-Online

Vor 25 Jahren gestand ein junger Verdächtiger einem jungen Polizeibeamten in Mönchengladbach sechs schreckliche Morde – eine Beziehung zwischen Täter und Ermittler nahm ihren Anfang. Inzwischen ergraut, hängen die beiden Männer noch immer aneinander…

Der (un)klare Blick

Es gab eine Zeit, da bot Angela Merkel Präsident Bush die Beteiligung Deutschlands am Irak-Krieg an. Wir haben Glück gehabt, daß dies nicht umgesetzt wurde. Es gab Zeiten, da wollte niemand wissen, wie es um unsere Sozialsysteme steht, auch Helmut Kohl nicht, der um des Machterhaltes willen die Zukunft ignorierte. (Ivan Illich schrieb sein Buch »Die Nemesis der Medizin« im Jahr 1976. Jeder Gymnasiast hätte sich dazu seinen Teil denken können. Heißt: Es gibt Dinge, die wollen wir nicht hören.) Es gab Zeiten, da mußte die SPD Dinge tun, die sie gar nicht wollte. Auch die Grünen wollten es nicht. Weder wollte die rot-grüne Regierung den Afghanistan-Krieg noch wollte sie die neoliberale Umgestaltung unserer Sozialsysteme. Auch Lafontaine wollte nicht. Aber während Gerhard Schröder und Joschka Fischer in den sauren Apfel bissen, meldete sich Oskar Lafontaine ab: »Das Herz schlägt links.«

Alle sind abgestraft worden: Schröder erst für alle möglichen Expertenkommissionen und später für seine hemdsärmelige Art, wie er seine Partei zu unangenehmen Entscheidungen vergewaltigte. Nicht ganz so schlimm erging es Joschka Fischer. Und Oskar Lafontaine läuft seit der Zeit mit den Etiketten »Deserteur« und »Populist« durch die Gegend, und kein hochrangiger SPD-Politiker mag ihm mehr die Hand geben.

Während Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der zur ZEIT ging, nie gekannte Popularitätswerte erreicht, halten sich die in der öffentlichen Meinung geprügelten Schröder und Fischer mit hochdotierten Posten in der östlichen und westlichen Großindustrie unschädlich. Während Helmut Schmidt in den Medien eher als ein in Ehren ergrauter Grandseigneur rüberkommt, wirken Gerhard Schröder und Joschka Fischer eher wie Absahner. Man könnte es sich einfach machen und es mit »Sowas gehört sich nicht« abtun (Original-Zitat einer Freundin). Stimmt, auch ich meine, sowas gehört sich nicht. Aber auch in Dingen, die sich nicht gehören, stecken Erkenntnisse, die uns erkennen lassen, wie die Welt und wir Menschen funktionieren.

Man kann sich aber auch überlegen, wieso Helmut Kohl wie auch Joschka Fischer auf ihren Posten wie Hefeteig aufgegangen sind und wieso Helmut Schmidt zur ZEIT ging und die beiden Grün-Roten bei Gazprom und BMW die Sahne ausschlecken. Was passiert mit solchen Leuten, daß sie solche Wege gehen?

Der deutsche Medien-Blick (und der beeinflußt uns ja sehr) ins Ausland scheint aus der Trübe schneller wieder in die Klarheit zurückzukehren, sprich: aus dem einhelligen Verurteilen Rußlands im Georgienkrieg wird nach verhältnismäßig kurzer Zeit ein kritischer Blick auf die Rolle des Westens.

In der Innenpolitik werden weiter die bekannten einfachen Brötchen gebacken: SPD in der Dauerkrise (ich denke Helmut Kohl wußte sehr wohl, weshalb er anstehende Entscheidungen lieber aussaß) und Zersplitterung der politischen Linken. Die SPD wird von der aufgeregt mitfühlenden Journaille an den Rand des Abgrunds geschrieben, und alle möglichen Leute fühlen sich bemüßigt, gute Ratschläge zu geben und alle möglichen Neuorientierungen und -positionierungen zu fordern.

Ich glaube nicht, daß das etwas an dem, was in unserer politischen Szene passiert, etwas ändert. Die SPD wird nie wieder über 30% kommen, egal, was wer wie macht. Die Zeiten sind vorbei. Die Linke ist zum Einen einfach vielfältiger als die Rechte und nimmt zum Anderen Entwicklungen vorweg, die rechts erst Jahre später ankommen. Während sich die SPD also schon jetzt mit der Größe der FDP vergleichen muß (ich habe noch nichts über Wähler gelesen, die aus Protest FDP gewählt haben), wird das – in wohl geringerem Außmaß – erst in einigen Jahren bei der CDU ankommen.

In der Politik führt kein Weg daran vorbei, klare Positionen zu beziehen, jedoch muß man, so man dies tut, mit Prügeln rechnen. Und Prügel kann man möglicherweise mit zunehmender Körpermasse besser auffangen, ohne aus der Richtung gebracht zu werden. Und Prügel beziehen erst einmal die, die zu früh kommen.

Die Erwartungen an Links sind höher als die an Rechts, und so würde, träten Angela Merkel oder – abgesehen von seinem Alter – Helmut Kohl den Weg in die Großindustrie an, das Geschrei längst nicht so laut sein wie bei Joschka Fischer und Gerhard Schröder. Vor Jahren hörte ich einmal: »Wenn man Harald Juhnke volltrunken am Steuer erwischen würde, wäre das was anderes, wie wenn Erik Ode (»Der Kommissar«) volltrunken erwischt werden würde. Auch die Selbstkritik – auch selbstzerfleischende Selbstkritik – hat eher links eine Tradition als rechts.

Gerhard Schröder ist für mich weiterhin der mutigste Nachkriegskanzler, der für Helmut Kohl und das deutsche Volk die Drecksarbeit getan hat, für die sich der Aussitzer Helmut Kohl, der sich nun auf den Lorbeeren für die Wiedervereinigung ausruhen kann, zu gut war. (Wobei erwähnt werden muß, daß die Freigabe des Wertpapierhandels mit Unternehmen, die keiner Bankenaufsicht unterliegen, in etwa Angela Merkels Fauxpas entspricht.)

Oskar Lafontaine werden wir über kurz oder lang wieder auf der großen politischen Bühne begrüßen können. Die Linkspartei wird genauso hoffähig werden wie die Grünen, und eine mitregierende Linkspartei wird Deutschland genausowenig in den Abgrund stürzen wie dies die Grünen getan haben. Und auch eine in fünf Jahren mitregierende Linkspartei wird die deutschen Truppen nicht von heute auf morgen aus Afghanistan rausholen können, auch wenn sie dies im Moment laut rausposaunt.

Manchmal muß man als Politiker Positionen vertreten, die man nicht vertreten mag, und manchmal muß man sich zurückziehen – wie dies Lafontaine getan hat, wenn man dies nicht mehr aushalten kann. Manchmal sollten wir Politikern zugute halten und erlauben, nach ihrem Gewissen zu handeln, auch wenn es schwer fallen sollte, ihnen ein solches zuzugestehen.

Also sollten wir mit unseren Prügeln vorsichtig umgehen, es könnte sein, daß wir was noch nicht verstanden haben. Auch Angela Merkel hat verstanden, daß sie mit dem Angebot an Bush knapp an einer persönlichen Katastrophe vorbeigeschlittert ist. Und vielleicht verstehen wir, daß die Leute da oben manchmal besser sind als ihr Ruf. Die SPD wird in spätestens zwei Legislaturperioden wieder den Bundeskanzler stellen, und dann wird eine Koalition mit der Linkspartei das sein, was alle wollen, weil sie vom CDU-Stillstand die Nase voll haben werden. (Mit dem Begriff »innovativ« wird man die C-Parteien ja wohl eher nicht in Verbindung bringen.) Was war denn die Wahl? Eine Antwort auf die Enttäuschung über die soziale Gerechtigkeit versprechenden SPD (, die wieder mal die Erfahrung machen muß, daß Wirtschaft stärker ist als Politik) und ein »weiter so« für Angela Merkel (getreu Adenauers Spruch »keine Experimente«) Übrigens: Kreiden wir heute Adenauer noch Deutschlands Wiederbewaffnung an? Die Zeit ist längst drüber hinweggegangen.

Wenn wir die Bundestagswahl von 1969 vergleichen mit der von 2009, was hat sich denn groß geändert? Die politische Linke kam 1969 auf etwas über 42 Prozent, 2009 auf zusammen etwas über 45 Prozent. Und sie ist bunter geworden. Die Christlichsozialen hatten damals etwas über 46 Prozent, in diesem Jahr etwas über 33 Prozent. Und die FDP ist fast dreimal so stark wie damals, nachdem sie mehrere Jahre lang in vielen Landtagen gar nicht mehr vertreten war. Und vielleicht wird ja unser ehemaliger Spaßgesellschafter Guido Westerwelle der erste schwule Außenminister Deutschlands. Man sieht: auch an der FDP geht die zeit nicht spurlos vorbei. Á propos schwul: erinnert sich noch jemand an die Kießling-Affäre? (=> Wikipedia, => Deutschlandradio)

Und vielleicht sind wir irgendwann auch soweit, daß das Verhalten des Westens, wenn sich auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR wieder welche prügeln, sofortiges Kopfschütteln hervorruft und man dazu nicht erst eine EU-Kommission braucht. Und vielleicht bekommt ein amerikanischer Präsident, der Raketenstellungen in der Nähe Rußlands abbaut (siehe die Vorgeschichte der Kuba-Krise), deutlich mehr Beifall als Kennedy 1963.