Donnerstag, 5. November 2015

Theater: der deutschen Bildungsbürger gegen Pegida & Co.

Theater In der Schaubühne Berlin lässt Falk Richter den deutschen Bildungsbürger gegen Pegida & Co. antreten.

Da kann einem schon mal Angst und Bange werden, wenn man sich in die immer hasserfüllteren Kommentarspalten zum Thema Flüchtlingsbewegung in Europa im Internet verirrt. Nicht nur die Parolen des rechtsnationalen Rands, auch die Stimmen sogenannter besorgter Bürger lassen einen da ein ums andere Mal erschauern. Der Humus, aus dem das wächst, besteht laut Falk Richter aus einem tief braunen Morast ewig gestriger Diskursgräber, aus denen sich die Geister der Vergangenheit immer wieder neu erheben. Richters Deutschland-Analyse FEAR, die vor Kurzem in der Schaubühne am Lehniner Platz Premiere feierte, fällt dann dementsprechend auch reichlich düster aus.

Im Großen und Ganzen ging es in den letzten Arbeiten von Autor und Regisseur Falk Richter immer auch um Ängste. Vor allem um jene von im Großstadtdschungel vereinsamten und sich in sozialen Netzwerken verlierender, moderner Menschen in Metropolen wie Berlin. Immer auch eine politische Gesellschaftskritik, die sich nicht nur ins rein Private der Familie zurückzog. Schon in seinem Stück Small Town Boy zur Lebenswelt von Schwulen in Berlin (am Maxim Gorki Theater) hatte Richter seinem Protagonisten Thomas Wodianka einen wütenden Hassmonolog auf Politiker und rechtskonservative, schwulenfeindliche Einpeitscher halten lassen. Nun widmet er sich im Kontext von Pegida-Demos und AfD ganz dem deutschen Alptraum des Fremdenhasses und der nationalen Selektion als Abgrenzungsmechanismus gegen eine sich drastisch ändernde Welt.

Was bedeutet heute eigentlich Heimat? „Dass Deutschland Deutschland bleibt.“ Hört man gleich zu Beginn - während im Video blühende Heimatfilm-Landschaften flimmern - aus deutschen O-Tönen, die Richter akribisch für diesen Abend gesammelt hat. Diese diffusen Stimmen aus dem Volk, der sich von der Politik verraten Fühlenden, denen meist noch hörbar die Fähigkeit zur genauen Artikulation fehlt, haben aber in Lutz Bachmann, Frauke Petry, Björn Höcke oder auch kürzlich Akif Pirincci bereits recht effektive Ideologen und Sprachrohre für ihre Ängste gefunden. Deren geistige Brandstiftung feiert dabei schon wieder Erfolge, wie brennende Flüchtlingsunterkünfte zeigen. In FEAR versuchen Richter und sein Schaubühnenteam zu ergründen, wie sich gerade im Osten des Landes diese neue nationalpatriotischen Bewegung, die zwar vorgibt, nichts mit den Nazis zu tun zu haben, aber doch klar deren Vokabular benutzt, kommen konnte.

mehr:
- FEAR (Stefan Bock, Freitag-Community)

FEAR /// Probentrailer der Schaubühne Berlin [2:29]

Veröffentlicht am 14.10.2015
Ein Stück von Falk Richter
Uraufführung
Regie: Falk Richter

Trailer: Silke Briel

http://www.schaubuehne.de/de/produkti...

Wie könnte 2015 eine Familie aussehen? Was können Begriffe wie Herkunft, Heimat oder Zuhause in einer globalisierten Welt bedeuten, mit welchem neuen Leben können sie gefüllt werden? Die westlichen Gesellschaften leben gleichermaßen in Angst und im Aufbruch. Überall in Europa erstarken reaktionäre Parteien, gedeihen Rechtspopulismus, Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit. Verfechter von einfachen Weltbildern haben Hochkonjunktur. Längst errungen Geglaubtes wird plötzlich infrage gestellt: die EU wird angefeindet, die vierte Gewalt als »Lügenpresse« diffamiert, sexuelle und kulturelle Vielfalt bekämpft und in simpler Weise definiert, wie ein Mann, eine Frau, eine Familie oder eine Ehe zu sein hat. Beim Kampf um Gleichstellung erfährt gerade die Institution der Ehe eine symbolische Aufladung und Verklärung und wird als ein Privileg verteidigt, das einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe vorenthalten bleiben soll. Heraufbeschworen wird das konservative Idealbild einer Lebensform, in dessen Namen diskriminiert und aus- geschlossen wird. Zugleich scheinen normative Definitionen von Zugehörigkeit, Nationalität, Religion, Sprache, Kultur, Gender und sexueller Identität aufgegeben und individuell neu festgelegt zu werden.

Falk Richters Inszenierungen stellen den Menschen am Beginn des 21. Jahrhunderts, seine Art zu fühlen, denken und zu handeln in den Mittelpunkt. In prozesshaften, laborartigen Probenphasen, zusammen mit künstlerischen Ausdrucksformen wie Choreographie, Performance, klassischer oder elektronischer Musik, untersucht der Autor und Regisseur die Darstellung zeitgenössischer Lebens- und Empfindungswelten in den westlichen Gesellschaften auf der Bühne. Bjørn Melhus gehört zu den bekanntesten Videokünstlern Deutschlands. In seinem Werk untersucht er Einschreibungen gesellschaftlicher Traumata und Ängste in der Unterhaltungs- und Informationskultur der Massenmedien. Er arbeitet für »FEAR« zum zweiten Mal mit Falk Richter zusammen.

mein Kommentar:
Gefährlich wird’s in einer Gesellschaft, wenn sich Menschen nicht mehr ernst genommen fühlen.
Gefährlich wird‘s in einer Beziehung, wenn einer die Gefühle des anderen nicht respektiert.
Ganz gefährlich wird’s, wenn einer mitgeteilt bekommt: Das sollst Du nicht fühlen.
Wir sind eine Gesellschaft der Zu-kurz-Gekommenen.
Damit müssen wir nun zurecht kommen.
Mein Freund Charles [80J.], hat vor seinem Tod (vor zwei Jahren) prophezeit, daß wir in den kommenden Jahren auf der ganzen Welt einen Rechtsruck erleben werden. Da sind wir jetzt drin… Und die treibende Kraft ist Angst. Im Moment gehen wir in unserer Medienwelt mit unangenehmen Gefühlen so um, daß wir sie zu verdrängen versuchen. Das funktioniert nur eine Zeit lang…

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