mein Vater hatte die Auschwitz-Nummer im Arm eingebrannt. Seine Frau und seine drei Söhne waren dort ermordet worden. Seine Mutter verging in Theresienstadt. Von seinen sieben Geschwistern überlebte ein Bruder (dank des "Falkensteiner Schindler" Alfred Roßner, der dies selbst mit dem Leben bezahlte). Einer der Brüder, Pinchas Elijahu Verleger, Lieblingsschüler des Lubliner Rebbe, war im jüdischen Leben Polens guter Wahlkämpfer für die Aguda gegen die Zionisten. Er wurde von der SS auf offener Straße erschossen.
Meine Mutter wurde mit ihren Eltern von Berlin nach Estland deportiert und kam als Waise zurück.
Mein Vater heiratete 1948 meine Mutter. Er wollte wieder jüdische Kinder haben. Ich wurde 1951 geboren.
Judentum ist meine Heimat, die mir manchmal zu eng wird, in der ich aber tief verwurzelt bin. Ich habe aus Bewunderung für Ignatz Bubis mich für den Wiederaufbau der jüdischen Gemeinschaft engagiert: Ich habe mit Einwanderern aus der Ex-Sowjetunion die jüdische Gemeinde 2001 in Lübeck wiedergegründet, war dort im Vorstand, dann Landesverbandsvorsitzender und 2005-2009 Delegierter des Landesverbands im Zentralrat.
Das Jahr 2006 änderte mein Leben. Angesichts des völlig irrationalen Libanon-Kriegs war ich nicht mehr bereit, nach dem Motto "wir sind doch alle Juden" israelische Menschenrechtsverletzungen und Gewaltakte zu ertragen. Ich schrieb einen entsprechenden Offenen Brief an die Zentralratspräsidentin, wurde später Mitglied und für ein Jahr Vorsitzender der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, schrieb zwei Bücher zum Thema und gründete mit Unterstützung Rupert Neudecks den Verein Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern, dessen Vorsitzender ich bin (s. www.rolf-verleger.de und www.bip-jetzt.de).
In Vorträgen setze ich mich für ein Judentum der Nächstenliebe statt des Nationalismus ein und für eine Lösung des Konflikts, die damit beginnen soll, dass die israelische Regierung als Vertreterin der israelischen Juden die Palästinenser für vergangenes und fortdauerndes Unrecht um Verzeihung bittet. Dann wäre der Weg in die Zukunft frei.
Gegen meine Vorträge und meine Person protestieren neuerdings regelmäßig irregeleitete junge Menschen. Sie werfen mir Förderung von Antisemitismus vor. Das geschieht auch und gerade an Universitäten, so im November 2016 in Freiburg und in Marburg, im Januar 2017 in Göttingen. Diese Leute halten sich für links. Tatsächlich aber verbreiten sie McCarthyismus.
mehr:
- Beschluss der HRK zur IHRA-"Definition" von Antisemitismus (Rolf Verleger, Telepolis, 03.12.2019)
siehe auch:
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McCarthy-Ära (auch: McCarthyismus), benannt nach dem US-amerikanischen SenatorJoseph McCarthy, bezeichnet einen Zeitabschnitt der jüngeren Geschichte der Vereinigten Staaten in der Anfangsphase des Kalten Krieges. Sie war durch einen lautstarken Antikommunismus und Verschwörungstheorien geprägt[1] und ist auch als „Second Red Scare“ (deutsch „Zweite Rote Angst“) bekannt. Obwohl McCarthy nur von 1950 bis 1955 öffentlich in Erscheinung trat, wird der gesamte Zeitraum der Verfolgung echter oder vermeintlicher Kommunisten und deren Sympathisanten, der so genannten Fellow travellers, von 1947 bis etwa 1956 heute als McCarthy-Ära bezeichnet.
[McCarthy-Ära, Wikipedia, abgerufen am 03.12.2019]
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Sie meinen, die Definition sei "eine klare Grundlage zum Erkennen von Judenhass" und sei "ein wichtiges Werkzeug zu seiner Bekämpfung". Ich fürchte, das Gegenteil ist der Fall. Der erste Satz ist überhaupt nicht klar: "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann." Kann? Die "Wahrnehmung" muss sich also gar nicht als "Hass gegenüber Juden" ausdrücken. Antisemitismus ist also einfach "ein bestimmte Wahrnehmung", gleichgültig, ob sich in ihr Hass gegenüber Juden ausdrückt oder nicht. Doch welche "bestimmte Wahrnehmung" ist es dann? […]
Der Satz des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, mit dem er den Beschluss der Bundesregierung begrüßte: "Antisemitismus im Gewand vermeintlicher Israelkritik gilt es ebenso zu bekämpfen wie die alten Vorurteile gegenüber Juden", zeigt deutlich, worum es geht: um die Illegalisierung der Kritik an der israelischen Besatzungspolitik und ihre Tabuisierung in öffentlichen Auftritten und Veranstaltungen. Wer nur irgendwie die aktuellen Auseinandersetzungen um den Vorwurf des Antisemitismus mit offenen Augen verfolgt, weiß um die immer dreisteren Versuche, private oder öffentliche Institutionen zur Kündigung ihrer Säle für derartige Veranstaltungen zu bewegen. In wiederholten Malen musste das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Rede vor Gericht eingeklagt werden.
Mich wundert, sehr geehrter Herr Kollege Alt, dass sich ein Gremium, welches sich selbst der Wissenschaft, der Weltoffenheit und demokratischen Kultur, also doch auch der Kritik, verpflichtet fühlt, so umstandslos auf die schiefe Ebene der Politik hat ziehen lassen. Es kann nicht angehen, dass so wichtige Ziele wie die Sicherheit jüdischen Lebens und Forschens an den Hochschulen und die Bekämpfung des Antisemitismus mit derart wissenschaftlich unseriösen Formeln erfolgen soll. Ich halte deshalb auch die Absicht der HRK, diese Antisemitismusdefinition "an allen Hochschulstandorten" zu "etablieren" für falsch. Abgesehen davon, dass die HRK dies wohl auch rechtlich nicht kann, halte ich selbst eine Empfehlung für ein höchst bedenkliches Mittel der Politisierung der Hochschulen. So wichtig die "Forschung zu Antisemitismus, seiner Genese und seiner Wirkungsweise" sowie "entsprechende Angebote in Studium und Lehre", die die HRK zu Recht fordert, auch sind, mit dieser Definition muten sie den Hochschulen eine vollkommen untaugliche Grundlage für ihre Aufgaben zu.
Als Hochschullehrer des öffentlichen Rechts ist Antisemitismusforschung nicht mein Feld, aber sehr wohl sind es Fragen der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sowie der Seriosität und Verantwortung von Wissenschaft generell. Ich sehe sie aktuell für äußerst gefährdet. Deshalb schreibe ich Ihnen. Gerade die jetzt von der HRK adaptierte Antisemitismusdefinition spielt bei den immer unerträglicher werdenden Verboten und Weigerungen, öffentliche, auch universitäre, Räume für kritische Veranstaltungen zum Palästinakonflikt bereit zu stellen, eine vorgeschobene Rolle.
[Norman Paech, Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Rede ist bedroht, Telepolis, 03.12.2019]
- "Antisemitismus"-Probleme? - Ein Kompass (Georg Meggle, Telepolis, 03.12.2019)
- Sprachregelung für unsere Unis? - Einspruch! (Georg Meggle, Telepolis, 29.11.2019)
- Stefan Kretzschmar: "Wir haben keine Meinungsfreiheit mehr" (Post, 14.01.2019)
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- Gottfried Helnwein über Political Correctness: »Sie ist das Ende der freien Rede« (Post, 12.10.2018)
- Heute vor 60 Jahren – 2. Mai 1957: Der US-amerikanische Senator Joseph McCarthy stirbt (Post, 02.05.2017)
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