Dienstag, 26. September 2006

Journalist droht Prozeß

Dem diesjährigen Henri-Nannen-Preisträger, dem armenischen Journalisten Hrant Dink, droht in der Türkei eine Verurteilung wegen „Herabwürdigung des Türkentums“. Gegen den Herausgeber der zweisprachigenWochenzeitschrift „Agos“ soll in Istanbul ein Prozess eröffnet werden. Dink* hatte in einem Interview mit einer ausländischen Nachrichtenagentur im Juli die türkischen Massaker an den Armeniern zwischen 1915 und 1917 als Völkermord bezeichnet. afp

aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 26.9.2006

Was habe ich in meinem Artikel über die Papstrede (11. Absatz) gesagt? Diesen Abwehrmechanismus nennt man Verleugnung.

* Nicht Donk, den gibt’s bei Crocodile Dundee 1
😂

Sonntag, 24. September 2006

Zwiebeldiebe angezeigt

Herzberg: Für das unerlaubte Sammeln von sechs Zwiebeln von einem Feld bei Herzberg (Kreis Osterode) muß ein älteres Ehepaar jetzt mit einer Strafanzeige rechnen. Das 81 und 77 Jahre alte Paar habe das Gemüse vermutlich in Erinnerung an schlechtere Zeiten von einem Zwiebelfeld gepflückt, teilte die Polizei am Freitag mit. Der Eigentümer habe die beiden auf frischer Tat erwischt. Wie die Polizei mitteilte, erstattete er "aus prinzipiellen Erwägungen" Strafanzeige, trotz der geringen Schadenshöhe von nur einem Euro.

aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 23.9.2006

"Brauche helfe holt bite die pulizei"

Euskirchen (ap). Mit einem dramatischen Hilferuf hat ein Grundschüler die Polizei im nordrhein-wetfälischen Schleiden alarmiert. Der Junge hatte mit seinen frisch erworbenen Schreibkenntnissen einen Zettel verfasst und auf die Straße geworfen. Darauf hieß es: "Ich brauche helfe holt bite die pulizei driten stok bite shnel." Eine Passantin habe den Hilferuf entdeckt und die Behörden benachrichtigt, berichtete die Polizei am Freitag. Die Beamten dachten zunächst, daß der Verfasser im angrenzenden Haus "gefangen gehalten" wurde. Tatsächlich ermittelten die Beamten dort sowohl den Verfasser als auch den Grund des dramatischen Hilferufes. Der kleine Sohn der Familie hatte den Auftrag seiner Mutter, sein Zimmer aufzuräumen. Nach Polizeiangaben hatte er dazu wenig Lust und hoffte stattdessen auf Unterstützung der Polizei.

aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 23.9.2006

geht doch: Was wir von Anderen lernen können

Spanien:
Solarwärme für alle


Barcelona hat es vorgemacht, jetzt zieht das ganze Land nach: Ab Oktober muß aufs Dach jedes Neubaus eine Solarthermieanlage montiert werden, die die Warmwasserbereitung zu mindestens 30 Prozent abdeckt. Bei großen Bürogebäuden schreibt die spanische Regierung sogar Fotovoltaikanlagen vor. Damit setzt sich die Halbinsel an die Spitze der Solargesetgebung in Europa. In Deutschland sind
bislang nur fünf Prozent aller Eigenheime mit Sonnenkollektoren bestückt.


Frankreich:
Öko-Label fürs Auto


In Frankreich liegt seit kurzem in jedem Neuwagen eine farbige Verbrauchsklassifizierung aus, die dem Kunden die Einordnung des Fahrzeugs im Vergleich mit anderen Modellen ermöglicht. Diese farbige Effizienz-Plakette, ähnlich der auf Kühlschränken und Waschmaschinen, fordern auch deutsch Umweltverbände schon lange. Laut einer Studie der EU-Kommission könnte dadurch binnen zehn Jahren der Kraftstoffverbrauch der gesamten Neuwagen-Flotte um fünf Prozent sinken.

aus dem Greenpeace-Magazin 05/06

Mittwoch, 20. September 2006

Wollen wir einen kastrierten Papst?

Die Rede, die Papst Benedikt XVI. am 12. September 2006 in Regenburg hielt, hat bei vielen Menschen große Aufregung verursacht, und es lohnt, sich diese Aufregung und auch die Rede, die zu ihr geführt hat, genauer anzusehen.
Erst einmal zu der Aufregung, die diese Rede verursacht hat: In der islamischen Welt wurden ihm Beleidigung und böswillige Unterstellung, in der westlichen Provokation und mangelnde Sensibilität vorgeworfen.

Bevor ich näher auf die Rede eingehe, muß erwähnt werden, welches die Umstände waren, innerhalb derer diese Rede gehalten wurde: Er hielt sie bei einem Treffen mit Wissenschaftlern aus der Universität, auf der er früher selbst einmal lehrte. Es war also eine Rede eines Wissenschaftlers an Wissenschaftler. (Einschätzung des Islamwissenschaftlers Adel Theodor Khoury im Deutschland Radio) Es war gewiß keine Rede, die er bei einem Gottesdienst vor tausenden von Gläubigen gehalten hätte. In seiner Rede stellt er die Frage, ob es vernünftig ist, mit Vernunft nach Gott zu fragen. Er stellt diese Frage, um einen Aspekt des Unterschiedes zwischen Islam und Christentum herauszustellen, nämlich den unterschiedlichen Stellenwert der Vernunft in der Beziehung des Christen und des Mohammedaners zu Gott. Er läßt den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaeologos sagen: „Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider.“ [Quelle: Karl Förstel (Hg.): Manuel II. Palaiologos, Dialoge mit einem Muslim (griechischer Text mit Übersetzung und Kommentar).] Dies nennt er den Griechischen Standpunkt. Und stellt die mohammedanische Sichtweise gegenüber: „Gott [ist] absolut transzendent. Sein Wille ist an keine unserer Kategorien gebunden und sei es die der Vernünftigkeit.“ Dafür zitiert er Khoury (Interview mit Adel Theodor Khoury in der Welt), der Arnaldez zitiert, der seinerseits Ibn Hazm zitiert: „… Gott auch nicht durch sein eigenes Wort gehalten sei und daß nichts ihn dazu verpflichte, uns die Wahrheit zu offenbaren. Wenn er es wollte, müsse der Mensch auch Götzendienst treiben.“ (Ich kann mit beiden Standpunkten nicht wirklich was anfangen, weder glaube ich, daß sich Gottes Wirken mit menschlichen Kategorien beurteilen läßt, noch glaube ich, daß er völlig absurd handelt – wenn er handelt. Vielleicht wäre es ganz interessant, darüber zu diskutieren, wie groß sein Handlungsspielraum ist, wenn er uns in absoluter Freiheit haben will. Aber da haben sich schon viele schlaue Leute Gedanken drüber gemacht, das ist hier auch nicht Thema.)

Benedikt könnte es an dieser Stelle bei dem Gegensatz belassen, aber er macht das Tor ganz weit auf: „Hier ist der Redlichkeit halber anzumerken, daß sich im Spätmittelalter Tendenzen der Theologie entwickelt haben, die diese Synthese von Griechischem und Christlichem aufsprengen.“ Der vermeintliche Gegensatz zwischen der christlichen und der islamischen Stellung zur Vernunft im Verhältnis zu Gott existiert also auch innerhalb der christlichen Kirche. Was Benedikt damit ausdrücken will ist: „Wir Christen haben uns darüber schon den Kopf zerbrochen, die Haltung der Christen untereinander ist unterschiedlich, wir laden Euch ein, Euch an dieser Diskussion zu beteiligen.“

Es folgt jetzt der Abschnitt, der den Aufruhr in der mohammedanischen Welt hervorgerufen hat. Benedikt zitiert Kaiser Manuel: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, daß er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.“ Bevor er Manuel zitiert, bereitet er das Zitat vor. Er schreibt: „[Manuel] wendet […] sich in erstaunlich schroffer,“ und verpackt das Zitat noch mal „… uns überraschend schroffer Form ganz einfach mit der zentralen Frage nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt überhaupt an seinen Gesprächspartner.“ Zum Verständnis muß man folgendes nachvollziehen: 1. Nicht Benedikt sagt das, sondern er zitiert Manuel. Und er zitiert ihn recht vorsichtig. 2. Manuel sagte diesen Satz nicht, um seinen Gesprächspartner zu beleidigen, sondern um seinen Gesprächspartner folgendermaßen herauszufordern: „Was gilt denn jetzt bei Euch: Sure 2, 256 wo steht: Kein Zwang in Glaubenssachen oder das Gebot des Djihād, des heiligen Krieges?“ Es ist in gewisser Weise eine Provokation, aber keine maligne. Manuel legte es nicht darauf an, seinen Gesprächspartner zu verletzen oder zu beleidigen. Er forderte ihn im wahrsten und besten Sinne des Wortes „heraus“. Benedikt sagt über den dem Zitat zugrundeliegenden Dialog: „… den der gelehrte byzantinische Kaiser Manuel II. Palaeologos wohl 1391 im Winterlager zu Ankara mit einem gebildeten Perser über Christentum und Islam und beider Wahrheit führte.“ Bei dem weit gespannten Themenkreis kann der Dialog also nicht fünf oder zehn Minuten gedauert haben. Es müssen viele Stunden gewesen sein. (Ein wenig Genaueres findet sich auf der Seite des Kitab-Verlages, wo von 26 Dialogen die Rede ist. Und wer es ganz genau wissen will, bei Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter von Gudrun Vuillemin-Diem von Gruyter) Wenn, und davon gehe ich mal aus, der Gesprächspartner nicht irgendwo angekettet war, muß sich Manuel also so verhalten haben, daß sein Gegenüber nicht wütend die Räumlichkeiten verließ. Die Tatsache eines stundenlangen Gesprächs legt zudem nahe, daß Manuel ein Interesse hatte, zu verstehen und nicht niederzumachen. Das heißt, wir können auf die Atmosphäre schließen, innerhalb der das Gespräch geführt wurde. Und sowohl das Interesse an der Sache wie auch der Respekt dem Gesprächspartner gegenüber bewirkte eine doch beachtliche geistige Anstrengung. (Dank und Kompliment an den, der bis hierher mitgelesen hat. Irgendwie scheint es ja die Anstrengung wert gewesen zu sein.) Wir können also von einer gemeinsamen geistigen Anstrengung in einer Atmosphäre gegenseitigen Respekts und Interesses an der Sache ausgehen.

Was Benedikt verschlüsselt den Mohammedanern sagt, ist: „Wir haben ein konkretes Problem miteinander, nämlich das der Gewalt, und dieses Problem hat anscheinend damit zu tun, wie in Eurer Religion mit Gewalt umgegangen wird. Irgendwie können wir doch zusammen überlegen, ob die Religion, die angeblich das Problem schafft oder zumindest aufrechterhält (bzw. dazu benutzt wird), nicht auch eine Lösung für das Problem bietet. Und vielleicht ist es ja hilfreich, wenn wir das Ganze vernünftig angehen. Aus meiner Tradition heraus bin ich gehalten, das Problem vernünftig anzugehen. Und wenn es in meiner Religion Leute gibt, die der Vernunft um Umgang mit der Welt weniger Gewicht beimessen, vielleicht gibt es ja bei Euch Leute, die der Vernunft größeres Gewicht beimessen.“ Ja, es ist eine Provokation (aus dem Lateinischen provocare: herausfordern)! Aber ein benigne, und im Kontext seiner Rede erweitert er die Herausforderung Manuels seinem persischen Gesprächspartner gegenüber auf eine Herausforderung des Christentums dem Islam gegenüber. Das nenne ich intellektuelle Schönheit, aber auch Mut!


Um die Rede von Papst Benedikt XVI. in der Aula der Universität Regensburg am 12. September 2006 habe ich mich zuerst nicht gekümmert. Warum auch? Ich war nie Katholik und bin schon mit 16 aus der Kirche ausgetreten. Auch, so muß ich gestehen, lief mir immer ein leichtes Frösteln über den Rücken, wenn ich in den Nachrichten irgendwelche Äußerungen von Kardinal Ratzinger kolportiert bekam. Ich kann mich kaum noch an Konkretes erinnern, aber ich hielt ihn für einen erzkonservativen Knochen und war froh – so glaubte ich damals – solch einen großen Abstand zwischen mich und die christliche Kirche gelegt zu haben. Von Diskussionen über Sünde, Masturbation, Abtreibung, Priestertum oder die Unfehlbarkeit des Papstes hatte ich angesichts der Hexenverfolgung, der Rolle von Kirche und Papst im Dritten Reich und nach dem Zweiten Weltkrieg und den Verbrechen an primitiven Völkern, denen man gewaltsam den christlichen Glauben hat aufoktroyieren wollen, die Nase voll.


Aber irgendwann habe ich dann verstanden, daß Religion von Menschen gelebt und umgesetzt wird. Genauso wie es ohne Fernseher keinen Doctor House, gibt es ohne Menschen keine Religion. Religion ist etwas, was verstanden, interpretiert, mitgeteilt, diskutiert und gelebt wird – nicht von Bäumen, Tieren oder Wolken. Es braucht Menschen. Ich kann ja auch die ARD nicht dafür verantwortlich machen, wenn mein Fernseher eine Bildstörung hat. (Es sei denn, die Störung liegt beim Sender.) Soweit zu meiner Distanziertheit dem christlichen Glauben gegenüber und wie ich immer weniger in der Lage dazu bin, sie in dem ursprünglich gewünschten Maße aufrechtzuerhalten.


Auf der anderen Seite nerven mich die arabischen Mohammedaner seit geraumer Zeit immer mehr. Gewiß, die Israelis führen sich seit fast sechzig Jahren im Nahen Osten auf wie die Axt im Walde und einen Überblick über die nicht umgesetzten UNO-Resolutionen hatte ich nie. Und jetzt dieser Libanon-Feldzug … Andererseits denke ich mir: so völlig bekloppt können die Israelis eigentlich nicht sein. Die Verbohrtheit von Menschen, die dem Staat Israel das Existenzrecht absprechen, ist für mich nicht nachvollziehbar.


Und während wir hier im von unseren starken Verbündeten so titulierten Alten Westen Hausputz halten (Susan Sontag auf der Frankfurter Buchmesse 2003), Verschwörungsszenarien über den elften September untersuchen, uns auf Internetseiten über George Bush lustig machen, Michael Moore Filmpreise verleihen, öffentlich über Guantanamo und darüber diskutieren, wie die westliche Führungsmacht ihre Verbündeten verarscht hat und noch immer verarscht und zur Zeit darüber reden, wie der Geheimdienstbericht an den amerikanischen Kongreß mal wieder fälschlicherweise einen Dämon an die Wand malt (Wiener Zeitung zur IAEO-Kritik am US-Geheimdienstbericht) höre ich aus der islamischen Welt ewig den gleichen Opfer-Singsang. Immer sind die anderen die Bösen, immer pinkelt man den armen Mohammedanern ans Bein. Gibt es in der islamischen Welt auch Selbstkritik, die über die eigenen vier Wände hinausgeht?


Vor einiger Zeit brachten Mohammed-Karikaturen aus einer dänischen Zeitung die islamische Welt auf die Palme. Dann hörte ich, daß Karikaturen über das Christentum in der islamischen Welt an der Tagesordnung sind. Das brachte mich auf die Idee: Sind die vielleicht genauso in ihre Opfer-Mentalität verliebt wie die Israelis? Haben wir es hier mit kollektivem Narzißmus (Wikipedia: Psychopathologie; Wikipedia: Gruppennarzißmus) zu tun oder werden hier vermeintlich antiislamistische Angriffe aus dem Westen als Macht- und Propagandainstrument benutzt, um Menschen in Bewegung zu versetzen? Vor wenigen Tagen sah ich eine Sendung, die über die Hilflosigkeit der deutschen Institutionen arabischen Satellitensendern gegenüber berichtete, die speziell an Kinder und Jugendliche gerichtete antijüdische Propagandafilme übelster und primitivster Machart ausstrahlen. Niemand kann anscheinend verhindern, daß hier in Deutschland solche Bilder in die Gehirne von Kindern gelangen. (Artikel in Wikipedia, der Welt und auf Gudrun Eussners Homepage) Jetzt stelle sich einer einmal vor, wir im Westen würden ähnlichen Schund herstellen: Was würde dann in den islamischen Köpfen passieren? Was sagen arabische Intellektuelle oder Geistliche zu solchen Videos?


Wo ist die islamische Selbstkritik? Wo ist die islamische Zeitung, die z.B. über den Genozid an den Armeniern berichtet? (Artikel in Lettre 68 und der Zeit) Wo wird in der islamischen Welt über die Repressalien gegenüber Menschen berichtet, die offen über diese Dinge zu reden versuchen? (Artikel in der FAZ, der Zeit, dem Kölner Stadtanzeiger und der Stuttgarter Zeitung)


Unsere westliche Welt hat von der arabischen die moderne Medizin gelernt. Wo sind die Mohammedaner, die genauso, wie wir sagen: Wir sind Teil des Problems! ebenfalls sagen: Wir sind Teil des Problems? Wie ist ein Dialog mit jemandem möglich, der sich selbst als frei von Verantwortung sieht, der nur den Anteil des Anderen am Zustandekommen der Leiden schaffenden Situation zu sehen gewillt ist? Was ist aus dieser bewunderungswürdigen arabischen Hochkultur geworden, daß sogar hochrangige Politiker auf Benedikt draufhauen, ohne den Text seiner Rede vorher sorgfältig studiert zu haben? (6. Absatz im Artikel der Österreichischen Katholischen Presseagentur und Iran Now Network, Abschnitt Türkei über Ali Bardakoglu, Chef des staatlichen Religionsamtes in Ankara. Wenigstens hat er’s ja zugegeben.) Die um die Verletzlichkeit der mohammedanischen Seele wissen und eine vermeintliche Verletzung propagieren, ohne sich dieselbe vorher genau angesehen zu haben. Oder die eine stattgefundene Verletzung propagieren, obwohl sie wissen oder wissen müßten, daß es keine ist. (Spiegel Online über Ayatollah Ali Chamenei)


Mit der Aufregung über Verwendung des Zitats durch Papst Benedikt in seiner Rede haben sich die Mohammedaner selbst ins Bein geschossen (und auch viele politisch Überkorrekte hier). Ich empfehle den Text der Rede genau zu lesen, denn jetzt wird es spannend: Das, worüber ich oben schrieb, macht in dem Text höchstens ein Viertel aus. Nach der Aufforderung zum Dialog der Religionen baut Benedikt einen historisch-philosophischen Spannungsbogen auf, der auf folgende Frage hinführt („Bevor ich zu den Schlußfolgerungen komme, auf die ich mit alledem hinaus will…“): Sind wir selbst überhaupt dazu in der Lage, einen solchen Dialog zu führen? Unter dem Strich ist die intellektuelle „Provokation“ dem Islam gegenüber eingebunden nämlich in eine Kritik der westlichen Kultur. Benedikt fragt: Sind wir in unserer Kultur und aus unserer Kultur heraus überhaupt dazu in der Lage, einen solchen von mir vorgeschlagenen Dialog zu führen?


Wenn man also diese Rede im Ganzen sieht und versteht, ist die Aufgeregtheit – gleich auf welcher Seite – nichts anders als hochnotpeinlich, und jeder sollte sich angesichts der Geschehnisse, die auf die Veröffentlichung dieser Rede folgten, zuallererst einmal an die eigene Nase fassen und sich überlegen, wie er selbst zu dieser kollektiven Aufgeregtheit beigetragen hat. (Damit sind auch die Journalisten gemeint, die permanent in der Versuchung stehen, Qualität und Aufgeregtheit miteinander zu verwechseln.) Vom Papst eine Selbstbeschränkung zu fordern, um unwillige oder ungebildete Menschen nicht aufzuregen, ist nicht nur der falsche Weg sondern auch feige. Wollen wir einen Papst, der Tacheles redet oder lauwarmes Gewäsch von sich gibt, damit sich keiner auf die Füße getreten fühlt? Es ist im ureigenen Interesse des Islam, sich solchen Herausforderungen zu stellen. Und es ist eine mutige und sich in das Weltgeschehen einmischende Herausforderung des Stellvertreters Christi auf Erden. Was wollen wir denn mehr? Wir haben in unserer Kultur, die gewiß genug Leid über die Menschheit gebracht hat und noch bringt, eine Aufklärung durchgemacht. Nun wird es Zeit für eine Aufklärung im Islam.


Benedikt, alter Junge, Hut ab!



Kommentar zur Papstrede in der ZEIT vom 21.9.2006
Vortrag von Kardinal Lehmann am 19.9.2006 (beachte auch »Exkurs« unten)



Dienstag, 12. September 2006

Mama, darf ich weg?

Als die Analytiker begannen, sich von Papa Freud zu emanzipieren, sagten sie: "Im Mittelalter haben sie immer Aristoteles zitiert anstatt wissenschaftliche Beobachtungen zu machen. Wir machen das besser und hören auf, immer den Alten zu zitieren und gucken selbst mal nach, was bei den Kindern los ist." So begann die Säuglingsforschung und damit auch ein Teilgebiet derselben, die Bindungsforschung.
Bei der Bindungsforschung werden Säuglinge einige Zeit lang unter genau festgelegten Untersuchungsbedingungen allein gelassen. Dann schaut man, wie sie sich verhalten, wenn Mama wieder da ist. Aus dem Verhalten der Säuglinge läßt sich dann auf die Art der Beziehung zwischen Mutter und Kind (die Art der Bindung) schließen.
Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist nämlich mal zuerst eine, die durch die völlige Abhängigkeit des Säuglings gekennzeichnet ist. (Das wird jetzt auch nicht mehr so absolut gesehen, ich lasse es der Einfachheit halber mal so stehen.) Das, was der Säugling und später das Kleinkind tut, wir nämlich in hohem Maße davon geprägt, ob Mama und Papa das o.k. finden oder nicht. Denn nur, wenn die das o.k. finden, wird das Kind ja mit Zuneigung belohnt. (Dabei spielt keine Rolle, ob wir das gut finden oder nicht.) Jetzt stellen wir uns eine Mutter vor, die mit ihrem Mann Probleme hat, und zwar dergestalt, daß sie den Eindruck hat, daß sie von ihm nicht so viel Liebe und Zärtlichkeit bekommt, wie sie das gerne hätte. Jetzt könnte sie versuchen, das mit ihrem Mann zu klären, aber die Versuche, an der Situation etwas zu ändern, zeigen nicht den gewünschten Erfolg. Dann ist da ja noch das Kind. Gottseidank! Das kann man knuddeln, so oft man möchte, das reagiert – zumindest am Anfang – dankbar auf jegliche Zuwendung, und bei dem Kind hat frau ja auch nicht in dem Maße das Gefühl, Bettler zu sein und was zu wollen. Dem Kind kann frau (jawohl, hier geht es meist um Frauen) ja jede Menge Zuwendung und Zärtlichkeit geben (und bekommen) und sich dabei noch als wohlmeinende und fürsorgliche Mutter fühlen. Wir haben also eine Frau, die das Kind als sogenanntes Ersatzobjekt mißbraucht. (Aufgepaßt: Hier sind die Grenzen fließend, und wir tun das wohl alle mal!) Aber trotzdem, möglichst einfach weiter: Die Mutter möchte also ein immer verfügbares Liebesobjekt haben, und vom Mann kriegt sie nicht, was sie haben möchte. Was liegt dann also näher, als sich dem Kind zuzuwenden. Das fängt irgendwann aber mal an zu krabbeln, kommt in die Schule, will bei Freunden übernachten, kurz: es wird selbständiger. Da müssen wir ja was gegen unternehmen, sonst kommt uns unser frei verfügbares Kuscheltier abhanden. Also entwickeln wir Ängste, es könnte was passieren, z.B. daß das Kind von der Schaukel oder der Rutsche fällt oder das es von der Mauer runterplumpst oder sonstwas. (Das Ganze geschieht natürlich, wie sollte es auch anders sein, unbewußt.) Was passiert nun mit dem Kind? Es sieht, wenn es von der Schaukel oder der Rutsche oder der Freundin zurückkommt (und auch schon viel früher!), daß Mama ein besorgtes oder traurig-verletztes oder überängstliches Gesicht macht. Aha, hier war was nicht o.k. Wahrscheinlich ist die Welt gefährlicher als ich das mitkriege mit meinem kleinen Gehirn oder ich tu’ der Mama weh, dabei will ich doch ein liebes Kind sein.
Die Art also, wie unsere Eltern mit unserem Selbständiger-Werden umgehen, hat Auswirkungen darauf, wie wir später mit der Welt umgehen: freudig-gespannt und erwartungsvoll oder ängstlich und zögerlich, weil es ja da draußen sehr rauh zugeht und ich nur im Schutz meiner Eltern die Chance habe, in dieser feindlichen Umgebung zu überleben.

So, daß war der Versuch Bindung und Bindungsforschung zu erklären. Mit wissenschaftlich korrekter Sprache geht es in dem Artikel "Kindheit bestimmt das Leben" weiter.

Montag, 11. September 2006

Lachen ist gesund!

Wie wurde eigentlich das Jodeln erfunden?


Zwei Chinesen saßen auf dem Matterhorn. Da purzelte dem einen das Radio runter.
„Hol die Ladio!”, verlangte der eine.
„Hol du die Ladio!”, konterte der andere.


Drei Hunde unterhalten sich beim Tierarzt.


„Und du, warum bist du hier?”, will der Schäferhund vom Rauhaardackel wissen.

„Ach, ich habe mir die gebratene Ente vom Tisch meines Herrchens geschnappt, und jetzt krieg ich die Spritze! Und du, was hast du?”
„Ach, ich bin eigentlich Blindenhund. Aber als ich das neue Hundefräulein auf der anderen Straßenseite sah, ist es mit mir durchgegangen. Leider ist mein Herrchen dabei unters Auto gekommen. Und jetzt krieg ich die Spritze! Und was ist mir dir?”, wendet er sich an den eleganten Großpudel.
„Ach, mein Frauchen hatte geduscht und trocknete sich vor meinen Augen den Rücken ab, da hab ich einfach meinen Verstand verloren und ich nahm sie von hinten.”
„Und jetzt kriegst du die Spritze!”. bemitleiden ihn die andern voller Mitgefühl.”
„Oh nein, keineswegs!”, gibt er zurück. „Ich krieg die Krallen geschnitten!”

Osho-Times 9/2006

Therapievergleich: Wirkungsvolle Langzeittherapien

Längere Psychotherapien sind noch wenig erforscht. Deshalb haben die Autoren sich mit den Langzeitwirkungen von Psychotherapie befasst. Verglichen wurden Verhaltenstherapien (VT) und Psychoanalysen (PA) von insgesamt 62 Patienten mit Angststörungen und/oder Depressionen. Die Therapien dauerten im Mittel 2,4 Jahre und 63 Stunden (VT) beziehungsweise 3,6 Jahre und 209 Stunden (PA). Obwohl die PA-Patienten im Mittel einen mehr als dreifachen Behandlungsaufwand hatten, standen für sie Aufwand und Nutzen der Therapie in einer vernünftigen Beziehung. Zwölf erfahrene Psychoanalytiker und vier Verhaltenstherapeuten mit Kassenzulassung führten die Therapien in der eigenen Praxis durch. Die Forscher prüften zu Behandlungsbeginn, nach einem, nach 2,5, nach 3,5 und nach sieben Jahren das Ausmaß der Symptombelastung. Beide Behandlungsformen waren erfolgreich. Die Patienten zeigten nach 3,5 Jahren signifikante Symptomveränderungen, die bis zur letzten Messung stabil blieben. Auf die signifikante Verringerung der Symptome folgten in einer der beiden Gruppen noch weitere Fortschritte: "Bei den psychoanalytisch behandelten Patienten verbesserte sich die interpersonale Problematik nach 3,5 Jahren noch weiter, während die verhaltenstherapeutisch behandelten Patienten keine weiteren Verbesserungen bei sich beobachteten", so die Autoren. Trotz dieser Erfolge begannen 31 Prozent der PA-Patienten, aber nur zwölf Prozent der VT-Patienten nach der Behandlung eine neue Therapie.

aerzteblatt.de, PP 5, Ausgabe März 2006, Seite 112

Studie: Fast jedes dritte Kind leidet unter Ängsten

Köln (dpa) - Fast jedes dritte Kind in Deutschland leidet einer Kölner Studie zufolge unter Ängsten. Verlustangst und Leistungsängste seien unter Kindern und Jugendlichen weit verbreitet, würden aber häufig von den Eltern nicht bemerkt. Das sagte Hendrik Schneider von der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Kölner Universitätsklinik und bestätigte damit einen Bericht des "Kölner Stadt- Anzeigers". Per Fragebogen waren 300 Kinder zwischen 11 und 17 Jahren sowie 700 Eltern von 4- bis 17-Jährigen nach bestimmten Ängsten befragt worden.

In der noch unveröffentlichten Studie heißt es, Ängste bei Kindern und Jugendlichen seien ein noch unterschätztes Problem. 29,5 Prozent der befragten 11- bis 17-Jährigen gaben an, sich starke Sorgen zu machen, ihre Eltern zu verlieren. Zugleich könnten sich aber weniger als 5 Prozent der Eltern vorstellen, dass ihre Kinder unter dieser Angst leiden. 16,6 Prozent des befragten Nachwuchses gaben Leistungsängste an, aber nur 7,7 Prozent der Eltern wussten davon. Zugleich betonte Schneider, Ängste seien nicht grundsätzlich problematisch oder krankhaft und damit behandlungsbedürftig. "Ängste gehören auch zur allgemeinen Entwicklung des Kindes", sagte der Psychologe. "Wenn Ängste aber den Alltag der Kinder stören, liegt eine Therapiebedürftigkeit vor."

Zugleich betonte der Experte, Lehrer und Eltern sollten besser geschult werden, um Angstzustände zu erkennen. "Das Thema sollte nicht weiter unterschätzt werden, nur weil Kinder mit Ängsten nicht so auffallen wie zum Beispiel hyperaktive Kinder." In der Studie wurde zudem bei 11,7 Prozent der Kinder eine übertriebene Angst vor Tieren ermittelt sowie eine allgemeine Ängstlichkeit bei jedem zehnten befragten Kind. Nicht erkannte Störungen erhöhten das Risiko für andere psychische Störungen im Erwachsenenalter, zitierte die Zeitung den Untersuchungleiter Prof. Manfred Döpfner.

Frankfurter Rundschau online, 21.3.06

Donnerstag, 7. September 2006

Wir sind die Erwachsenen!

Es begann als ganz normaler Nachmittag in einem ganz normalen Berliner Bezirk. Eine Frau kommt vom Stadtbummel mit ihrer Tochter, sitzt im Bus, liest ihr frisch gekauftes Buch und ist fest entschlossen, sich den Tag durch nichts und niemanden vermiesen zu lassen. Auch nicht durch die Lümmel in der letzten Bank, die, kaum eingestiegen, damit beginnen, infernalisch laut mit den Füßen zu trampeln. Niemand guckt, niemand sagt etwas. Auch die Frau nicht. Erst als die Halbwüchsigen quer durch den Bus pöbeln, blickt sie auf. Sekunden später stürzen sich die sechs Jungen auf drei andere Jugendliche, die bisher still und brav in der ersten Reihe gesessen haben, und schlagen brutal auf sie ein.
Die beiden anderen Fahrgäste im Oberdeck gucken aus dem Fenster, die Busfahrerin fährt weiter. Nur die Frau, kaum 1,60 groß, zierlich, Mitte fünfzig, steht auf und sagt: „Was ist denn hier los, so geht’s doch nicht. Kann der Bus mal anhalten? Ich rufe jetzt die Polizei."
Laut und deutlich sagt sie das, aber niemand reagiert: Nicht die Busfahrerin, nicht die anderen Fahrgäste – und auch die prügelnden Jugendlichen gucken nur kurz zu ihr hin. Als sie aber sehen, daß sie tatsächlich mit der Polizei telefoniert, lassen sie von ihren Opfern ab und drängen zum Ausgang. Die anderen Fahrgäste gucken jetzt auf ihre Schuhspitzen, der Bus hält endlich an – fahrplanmäßig. Auf dem Weg nach draußen müssen die Täter an der Frau vorbei, einer rennt sie absichtlich mit voller Wucht um. Sie rappelt sich wieder hoch und schafft es auch nach unten.
Inzwischen sind zwei Polizisten da, einer verfolgt die Gewalttäter und nimmt sie mit aufs Revier. Die Frau hat starke Schmerzen in der Schulter. Der andere Polizist ruft einen Krankenwagen. Ein Fahrgast bietet sich als Zeuge des Vorfalls an, andere beschweren sich, daß der Bus nicht weiterfährt.
Am nächsten Tag weiß die Frau, daß ihr Schultergelenk gebrochen ist und nur langsam heilen wird. Ihr wird bewußt, daß sie zum ersten Mal in ihrem Leben körperliche Gewalt erfahren hat. In der Zeitung kann sie lesen, daß sie Opfer einer brutalen Jugendbande geworden sei, weil sie sich eingemischt habe.
Ohne ihre Einmischung hätte die Jugendbande die drei anderen Jungen ungestört weiter verprügelt, Blut wäre geflossen, vielleicht wären auch Messer zum Einsatz gekommen.
Das erfährt sie nicht aus der Zeitung, sondern von der Polizei, die schon öfter mit dieser Jugendbande zu tun hatte. Selbst in einer großen Stadt wie Berlin sind es nämlich immer die Gleichen, die durch brutale Gewalttaten auffallen. Verschwindend wenige sind es und die Wahrscheinlichkeit, ihnen im Bus zu begegnen, ist minimal.
Viel wahrscheinlicher ist es, daß man auf Fahrgäste trifft, die nichts hören und nichts sehen wollen, und auf Busfahrer, die nicht reagieren, wenn man sie um etwas bittet.
Wenn man ihnen aber doch begegnet, dann nützt es nichts, sich unsichtbar zu machen, um dann hinterher um so lauter in Talkshows, Leserbriefen oder an Stammtischen über die schlecht erzogene und verrohte Jugend zu lamentieren. Stattdessen muß man ihnen an Ort und Stelle deutlich machen, daß sie mit ihrem Verhalten nicht einfach so durchkommen. Dafür müssen nicht nur Polizisten, Busfahrer oder Lehrer sorgen, sondern alle Erwachsenen, die als solche ernst genommen werden möchten. Auch wenn es unbequem ist und manchmal weh tut.
Die kleine zierliche Frau aus dem Bus kann nach drei Wochen Krankenhaus und sechs Wochen Reha ihre Schulter fast wieder so bewegen wie früher. Sie jedenfalls würde sich wieder einmischen, wenn Unschuldige angegriffen werden. Vielleicht muß sie es beim nächsten Mal ja nicht alleine tun.

Sigrun Matthiesen
(Sie ist Journalistin und Filmemacherin und lebt in Berlin.)

Johanniter 3/06

Mehr Spättaufen

Die traditionelle Säuglingstaufe der christlichen Kirchen in Deutschland verliert an Bedeutung. So stieg der Anteil der evangelischen Spät und Erwachsenentaufen zwischen 1998 und 2003 – neuere Zahlen liegen noch nicht vor – von 34 auf 39 Prozent. Das Ritual gilt als Spättaufe, wenn es vom 2. bis zum 14. Lebensjahr, und als Erwachsenentaufe, wenn es ab dem 15. Lebensjahr vollzogen wird. Eine ähnliche Entwicklung findet auch in der katholischen Kirche statt.

Johanniter 3/06

Gedränge im Planschbecken

Jeder vierte Deutsche kann nicht schwimmen, und die Zahl der Nichtschwimmer steigt weiter Diese Tendenz sei ein Grund für die steigende Zahl lebensgefährlicher Badeunfälle, teilte die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) mit. Besonders bedenklich sei die Situation bei Kindern und Jugendlichen im Alter bis zu 15 Jahren, von denen sogar jeder Dritte Nichtschwimmer ist.

Johanniter 3/06

Bei Gewitter Handy aus

Wer sich bei einem Gewitter im Freien aufhält, sollte kein Handy benutzen. Das ist die Lehre aus einem Fall, der im „British Medical Journal“ beschrieben wurde. Ein fünfzehnjähriges Mädchen hatte während eines Gewittersturms in einem Park in London telefoniert und war dabei von einem Blitz getroffen worden. Sie überlebte, leidet aber immer noch unter den Folgen. Am Körper getragene elektrisch leitende Gegenstände können bei einem Blitzschlag zu inneren Verletzungen führen.

Johanniter 3/06

Sonntag, 3. September 2006

Qualitätssicherung bei unseren Volksvertretern

Hauskrach im Schmidt-Ministerium

Beamte wollen sich nicht den Schwarzen Peter für Mängel der Gesundheitsreform zuschieben lassen

Berlin. Im Bundesgesundheitsministerium von Ulla Schmidt (SPD) herrscht dicke Luft. Beamte, die in der Sommerpause das Gesetz zur Gesundheitsreform entworfen haben, rebellieren dagegen, dass ihnen jetzt von der Führung des Ministeriums der Schwarze Peter für Mängel des Gesetzes zugeschoben werden soll.
In einem Flugblatt „informiert“ die Betriebsgruppe der Gewerkschaft ver.di die Mitarbeiter des Ministeriums einpört „über ein Ereignis der letzten Tage, das bisher einmalig in der Geschichte unseres Hauses ist“. Bei einer der zentralen Reformen der Bundesregierung seien die Beamten „bei der Formulierung des Gesetzentwurfs weitgehend von der politischen Führung allein gelassen worden“. Nach Kritik in der Offentlichkeit „ließ die Leitung stattdessen durch das Pressereferat verkünden, Fachbeamte des Hauses hätten falsch gehandelt“, wirft die Gewerkschaftsgruppe der Führung des Hauses vor. Unter anderem hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisiert, der Entwurf entspreche nicht den politisch vereinbarten Eckpunkten.
Der Gesetzentwurf ist nach Angaben der Gewerkschafter auf ungewöhnliche Art zustande gekommen: Am 5. Juli erhielten die Beamten den Auftrag, aus den Eckpunkten der Koalition innerhalb kürzester Zeit ein Gesetz zu entwerfen. „Bei zahlreichen Eckpunkten blieben Fragen offen, nicht zuletzt, weil die Fachebene an der Formulierung der Eckpunkte nicht beteiligt gewesen war“, schreibt die ver.di-Betriebsgruppe. „Fatal“ nennt sie es, „dass die inhaltliche Klärung, wie manche Eckpunkte gemeint sind, (trotz Nachfrage!) nur in eingeschränktem Maße mit den politisch Verantwortlichen erfolgte“. Der für die Reform zuständige Abteilungsleiter habe „kein einziges Gespräch über den geplanten Gesetzentwurf mit den Mitarbeitern geführt“, bevor der Entwurf an Außenstehende versandt wurde.
Am 17. August war der mehrere Hundert Seiten starke Gesetzentwurf fertig – und die Verfasser mussten „zur Kenntnis nehmen, dass sich ihr eigener Abteilungsleiter in Teilen von den Entwürfen distanzierte und erklärte, so seien die Regelungen nicht richtig und auch nicht gewollt gewesen!“ Das Pressereferat des Ministeriums nannte den Entwurf öffentlich ein „allererstes Arbeitspapier“ von Fachbeamten.
„Wieso distanziert sich die Leitung des Hauses so von ihrer Arbeitsebene?“, fragen die Beamten. Ob bewusst, auf dem Rücken der Fachebene, „die politischen Möglichkeiten ausgelotet“ werden sollten?
Der Sprecher des Ministeriums, Klaus Vater, wies die Vorwürfe am Freitag als „absurd“ zurück. Von einer Revolte im Ministerium könne keine Rede sein. Die ver.di-Betriebsgruppe sei nur eine „Minigruppe“ mit einer Handvoll Mitgliedern. Der Entwurf sei von „außerordentlich befähigten Leuten“ erarbeitet worden, die „keinerlei Anlass zur Kritik“ böten.

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 2.9.2006

„Und Format, was iss mit Format?“

„Warum hätte er darüber sprechen sollen?“

Alle reden über Günter Grass und seine Vergangenheit. Einer hat bislang geschwiegen: Helmut Frielinghaus. Jetzt hat sich Grass’ langjähriger Lektor zu Wort gemeldet. In einem Brief an Freunde und Lektorenkollegen kommentiert er die Vorgänge – und den in seinen Augen grotesken Medienrummel. Der HAZ stellte er den Brief zum Abdruck zur Verfügung.

Liebe Freunde, einige von Euch haben mich nach meiner Meinung über die Debatte um Günter Grass gefragt. Eine in Kalifornien lebende frühere Verlagskollegin schreibt: „Ich wüsste gern, was Deine Gedanken zu Günter Grass sind.“ Ein amerikanischer Übersetzer fragt: „Was ist los in Deutschland, wie ist es möglich, dass die Medien auf diese Weise über Günter Grass herfallen?“
Ich will versuchen, auf beides zu antworten.
Ich habe das Manuskript des Buches zwei- oder dreimal im Herbst letzten Jahres und dann noch zweimal im Januar und Februar dieses Jahres gelesen. Ich habe bei der Passage über Günters kurzfristige Zugehörigkeit zur Waffen-SS nur kurz gestutzt und weitergelesen. Beim Wiederlesen habe ich gedacht: Das wird ein paar hämische Artikel in BILD und anderen Zeitungen geben. Ich habe mir aber keine weiteren Gedanken gemacht. Ich bin selbst ab 1941 widerwillig „Jungvolkjunge“ in der „Hitlerjugend“ und am Ende des Kriegs, 1944/45, offiziell, wenn auch nicht in der Praxis, Angehöriger des „Volkssturms“ gewesen. Meine älteren Brüder waren beide Luftwaffenhelfer, der ältere hatte ein Hitlerbild in seinem Zimmer zu Hause, das mein Vater, ein protestantischer Pfarrer und kein Nazi, in der Nacht, in der unser Haus nach einem Luftangriff abbrannte, ins Feuer warf.
Obwohl Günter und ich aus sehr unterschiedlichen Elternhäusern kommen, denken wir, politisch für immer geprägt von dem, was wir nach dem Krieg erfuhren, in vielem ähnlich, das heißt, ich teile seit Jahrzehnten sehr viele von Günters Ansichten in politischen Fragen, und natürlich in literarischen Fragen. Seit 1989 bin ich sein Lektor.
Ich kann verstehen, dass viele, auch einige von Günters Freunden wie zum Beispiel Salman Rushdie, der im Übrigen in BBC 4 sehr überzeugend über Günter und sein Werk sprach, enttäuscht fragen: „Warum hat er über diese kurze Zugehörigkeit zur Waffen-SS (mit 16, 17 Jahren) nicht viel früher gesprochen?“
Ich könnte umgekehrt fragen: „Warum hätte er darüber sprechen sollen? Diese dem Jugendlichen verordnete kurzfristige Zugehörigkeit zu einer als „Kanonenfutter“ ausgebildeten Einheit hatte nach dem Krieg keinerlei Bedeutung mehr. Bedeutung hatte, dass Günter, wie er oft laut gesagt und immer wieder geschrieben hat, an Hitler und den „Endsieg“ geglaubt und bis zu den Nürnberger Prozessen nicht geglaubt hatte, was in der Nachkriegszeit über die Verbrechen der Deutschen bekannt wurde. Das auszusprechen war sein mutiges Bekenntnis.
Günter und ich haben über das Manuskript und auch über die Waffen-SS-Passage gesprochen, aber ich bin, ehrlich gesagt, nicht einmal auf den Gedanken gekommen, ihn zu fragen: Warum sagst Du das erst jetzt? Ich bin nicht auf den Gedanken gekommen, weil mir die Tatsache und Günters Schweigen darüber nichts bedeuten. Es wäre praktischer und einfacher gewesen, wenn er früher darüber gesprochen hätte, aber in meinen Augen nicht „moralischer“.
Das ungeheuerliche Echo auf die Mitteilung, das zwei Wochen vor Erscheinen des Buches durch einen Leitartikel von Frank Schirrmacher in der FAZ und ein Interview mit Günter in derselben Ausgabe der Zeitung ausgelöst wurde, hat in meinen Augen etwas Groteskes und Absurdes, aber auch etwas Gespenstisches, es ist mir unheimlich. Seit Mitte August haben unzählige Journalisten über eine Episode im Leben eines Menschen geschrieben, ohne das Buch gelesen zu haben, ohne sich zu erinnern, wie oft Günter öffentlich, in Reden und Schriften, sich zu den Fehlern und Versäumnissen seiner Jugend bekannt hat. Wer hat so viel öffentliche Buße getan? Die Erkenntnis, dass er als Jugendlicher auf der falschen Seite gestanden und zu wenig gefragt hat, ist die entscheidende Grundlage, seines Schreibens, seiner literarischen und politischen Arbeit in fünf Jahrzehnten.
Ich weiß nicht, wie man das Buch „Beim Häuten der Zwiebel“ lesen kann, ohne an eigene Fehler, Irrtümer und Versäumnisse zu denken. Inzwischen haben sich viele Schriftsteller aus aller Welt zu Wort gemeldet und gesagt, dass Günters Schweigen über dieses eine Detail weder sein literarisches Werk noch seine politische Arbeit schmälert.
Ich möchte auf einen anderen Aspekt eingehen. Die Selbstgerechtigkeit und Feindseligkeit, mit der in Deutschland die Debatte geführt wird, die grotesken und absurden Verdächtigungen und Unterstellungen, die gegen Günter und den Verlag geäußert wurden, haben für mich das Ansehen des literarischen Lebens in Deutschland und der deutschen Literaturkritik beschädigt. Was sind die Hintergründe dieser massiven Angriffe, die es in dieser Form bisher, soweit ich mich erinnern kann, nicht gegeben hat? Ist es Rache, weil Günter mit seiner scharfen politischen Kritik an nach dem Krieg noch amtierenden Nationalsozialisten oder auch an dem westdeutschen Vorgehen bei der Vereinigung 1989,1990 und danach oft recht gehabt hat?
Ich weiß es nicht. Aber ich merke tagtäglich, dass mich – sicher auch auf Grund meines Alters – das, was da jetzt geschehen ist und geschieht, beunruhigt. Der Ton der Debatte, die ja bisher keine wirkliche – nämlich in Kenntnis des neuen Buches und des Lebens von Günter geführte – Debatte ist, erinnert mich an die dreißiger und vierziger Jahre. Haben wir, die Deutschen, einen – gewöhnlich hinter zivilisiertem Verhalten verborgenen, aber von Zeit zu Zeit ausbrechenden – Hang, über Einzelne, die anders sind, mit Hass herzufallen und zu Gericht zu sitzen?
Um meinen Freunden deutlich zu machen, wie angewidert und beunruhigt ich bin, sage ich, dass ich, hätte ich die Möglichkeit, gern in ein anderes Land umziehen würde.
Günter wird „Beim Häuten der Zwiebel“, wie geplant, am 4. September in Berlin vorstellen, er wird an allen vorgesehenen Lesungen und an dem Übersetzertreffen im Dezember in Lübeck festhalten. Die freundlichen Nachrichten aus Gdansk und die Äußerungen von Schriftstellern und Übersetzern haben ihm gut getan.

Ich grüße Euch herzlich,
Helmut Frielinghaus


Helmut Frielinghaus
… geboren 1931, ist Journalist, Lektor und Übersetzer. Seit 1989 lektoriert er die Bücher von Günter Grass. Seit 1991 arbeitet Frielinghaus als Übersetzer – unter anderem hat er Bücher von John Updike und Raymond Carver ins Deutsche übertragen. Zu seinen Publikationen gehören: „Der Butt spricht viele Sprachen: Grass-Übersetzer erzählen“ und „ The Günter Grass Reader“. Für den Göttinger Steidl Verlag hat Frielinghaus mehrmals die Treffen zwischen Günter Grass und seinen Übersetzern moderiert.

Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 2.9.2006


Obenstehender Brief ist das beste, was ich seit Beginn dieses hysterischen Raschelns im Blätterwald gelesen habe. Die überall spürbare „political correctness“, die Häme, sowohl auf dem rechten wie auf dem linken politischen Spektrum, ist realitätsfremd, unerträglich selbstgerecht und völlig überzogen. Vielleicht fragen wir uns in ein paar Jahren einmal, ob es nicht diese politisch korrekte Überempfindlichkei ist – über die 1988 auch Bundestagspräsident Jenninger mit seiner ehrlichen, gutgemeinten und mutigen (er hätte es sich ja auch einfach machen können) Gedenkrede über die Reichskristallnacht stolperte –, die es Günter Grass angezeigt schienen ließ, zu schweigen. Man stelle sich vor, was passiert wäre, wäre er in den 70er Jahren damit herausgerückt …

Der vierte Golfkrieg

Das Konzept der US-Regierung für die irakische Landwirtschaft findet sich in einem Dekret des einstigen Zivilverwalters Paul Bremer. Bevor er die Amtsgeschäfte im Juni 2004 an die irakische Übergangsregierung übergab, hat er genau einhundert Gesetze erlassen - seine „Order 81“ trägt den Titel „Gesetz über Patente, Industriemuster, unveröffentlichte Informationen, integrierte Schaltkreise und Pflanzensorten“. Sie ändert den Umgang mit Saatgut im Irak grundlegend.
[…] Über Tausende von Jahren wurden die […] Pflanzensorten von irakischen Bauern gezüchtet, die Samen wurden von Generation zu Generation weitergegeben, jeder durfte sie anbauen und das Beste aus diesem Gemeineigentum machen. […]
Paul Bremers „Order 81“ verbietet es irakischen Bauern künftig, über Saatgut frei zu verfügen. Neue Pflanzensorten – und unter bestimmten Voraussetzungen auch die alten – dürfen danach nicht mehr frei nachgebaut werden. Anders als bisher üblich, dürfen die Bauern nicht mehr einen Teil der Ernte im folgenden Jahr aussäen – es sei denn, sie zahlen Gebühren an den Züchter. Diese Regelung sei „notwendig zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des irakischen Volkes“, schreibt Bremer in der Begründung seines Gesetzes, es biete Unternehmen einen Jairen, effizienten und verlässlichen Schutz für ihr intellektuelles Eigentum“. [sic!] Millionen irakischer Bauern macht „Order 81“, wenn sie umgesetzt wird, abhängig von Saatgutlieferanten – meist Großkonzerne wie Monsanto oder Syngenta. Das Dekret erschwere massiv die Ernährungssouveränität der Iraker, kritisiert die internationale Umwelt- und Agrarorganisation GRAIN, stattdessen werde die „Zukunft der irakischen Landwirtschaft an den Interessen von US-Unternehmen ausgerichtet“. […]
Mit der Reform der Landwirtschaft beauftragte die US-Regierung Daniel Amstutz, einen langjährigen Spitzenmanager von Cargill, einem der größten Agrarkonzerne der Welt. „Amstutz den Wiederaufbau der Landwirtschaft im Irak zu übertragen ist, als ob man Saddam Hussein zum Vorsitzenden einer Menschenrechtskommission machte“, kommentierte die britische Hilfsorganisation Oxfam. Einzige Kompetenz des Managers sei es, die Interessen von US-Unternehmen durchzusetzen. Jedenfalls drängten die Amerikaner in der Folgezeit auf ein Ende der staatlichen Lebensmittelrationen, weil diese die Entwicklung freier Märkte verhinderten. Vehement forderten sie die Abschaffung der Agrarsubventionen (mit denen Saddam Hussein früher die Lebensmittelproduktion förderte und zugleich viele Bauern zu treuen Anhängern machte). Entnervt klagte die Interims-Agrarministerin, Sawsan Ali Magid al-Sharifi: „Sogar amerikanische Farmer bekommen Subventionen! Warum sollen wir sie jetzt für die armen irakischen Bauern streichen?“ […]
Nutznießer von Regeln wie in „Order 81“ sind vor allem die Industriestaaten und dort ansässige Unternehmen; zu diesem Ergebnis kam im Jahr 2002 auch eine Kommission der britischen Regierung. Einst profitierten die reichen Länder selbst von Urheberrechtsverletzungen und der Abschottung ihrer Märkte, heute predigen sie den Entwicklungsländern das Gegenteil. 1968 wurde die internationale UPOV-Konvention erlassen, die kommerziellen Züchtern erstmals das Eigentum an Pflinzensorten einräumte. Damals wurde Bauern noch das Recht zugestanden, einen Teil ihrer Ernte wieder auszusäen. Dieses „Landwirteprivileg“ ist seitdem immer weiter beschränkt worden, Bremers „Order 81“ schließt es gleich ganz aus. Sie legt fest, was Monsanto in den USA noch jedem einzelnen Farmer in den Kaufvertrag für sein Saatgut schreiben muss.
„Eine Klausel wie diese habe ich noch nie gesehen“, sagt Maria Julia Oliva vom Center for International Environmental Law (CIEL) in Washington. Im Auftrag des Greenpeace Magazins hat die Fachanwältin den Erlaß analysiert. Ihr Befund: In mehreren Punkten ist er konzernfreundlicher als die ohnehin unternehmerfreundlichen internationalen Standards. „Die Interessen der Bauern und ihr Anteil an der Entwicklung von Saatgut werden völlig ignoriert“, urteilt Oliva. Auch die Klauseln, mit denen gemeinnützigen Institutionen üblicherweise Ausnahmen eingeräumt werden, seien „sehr schwach“ verankert.
Weit reichende Entscheidungen verstecken sich bei „Order 81“ in Detailformulierungen. Ganz nebenbei wird dort Gentechnik als eine Möglichkeit zugelassen, neue Sorten herzustellen. En passant ermöglicht wird auch die Patentierung von Pflanzenteilen, die international umstritten ist. Damit gehe Bremers Erlass „weit über alles bisher bekannte hinaus“, kritisiert Andreas Bauer, Gentechnik-Experte beim Umweltinstitut München. Irakische Bauern könnten eines Tages sogar für ihr traditionelles Saatgut zur Kasse gebeten werden: Der Eigentumsschutz für eine neue Sorte erstrecke sich nämlich auch auf Pflanzen, die gleiche oder ähnliche Charakteristika besitzen.
Der BBC-Journalist Greg Palast ging vor zwei Jahren der Frage nach, wie dieses Gesetz zustande kam. Er stieß auf Grover Norquist, einen der einflussreichsten konservativen Wirtschaftslobbyisten von Washington. „Ich besuchte ihn in seinem Büro“, so Palast, „und Norquist konnte es gar nicht erwarten damit zu prahlen, wie er im Finanz-, Verteidigungs- und Außenministerium und auch im Weißen Haus ein- und ausgegangen ist und die Pläne für die Zeit nach der Eroberung des Iraks mitgestaltet hat – von den Steuern und Importzöllen bis zu den Rechten an geistigem Eigentum, nach denen ich ihn explizit fragte.“ […]
Die US-Armee hat ein eigenes Agrarprogramm im Irak, die „Operation Amber Waves“ (im Englischen der lyrische Ausdruck für goldgelbe Weizenfelder). Hunderte Tonnen Saatgut hat das Militär seit 2004 an irakische Bauern verteilt, und zumindest ein Teil davon stammte aus den USA. Das Unternehmen World Wide Wheat aus Phoenix, Arizona, zum Beispiel hatte auf Bitten des Verteidigungsministeriums Saatgut für je drei Sorten Brot- und Hartweizen gespendet. „Wir erwarten nicht, irgendetwas zurückzubekommen“, betont Pressesprecher Sheldon Richardson. Theoretisch aber könnte seine Firma, wenn sich ihre Sorten in einigen Jahren im Irak verteilt haben, unter Berufung auf „Order 81“ Lizenzgebühren kassieren. Damit nicht genug: Durch Pollenflug kann sich importierter Weizen in die alten irakische Getreidesorten einkreuzen, und dank Bremers Dekret könnte das Unternehmen auch so entstandene Saaten als sein Eigentum deklarieren. „Order 81“ umfaßt nämlich auch Sorten, die „im Wesentlichen von einer geschützten Sorte abstammen“. Dasselbe gilt übrigens auch für den – wahrscheinlichen – Fall, daß irakische Bauern etwas von den Millionen Tonnen amerikanischen Weizen ausgesät haben, die seit 2003 als Lebensmittellieferungen in das Land gelangten. […]

Greenpeace Magazin 3/06

Initiative Nachrichtenaufklärung

Jedes Jahr veröffentlicht die „Initiative Nachrichtenaufklärung“ eine Liste der zehn wichtigsten Themen, die von deutschen Medien vernachlässigt worden sind. Über die Rangfolge entscheidet eine Jury aus Journalisten, Wissenschaftlern und Studenten. Vorbild der Initiative ist das amerikanische „Project Censored“, das schon seit 30 Jahren darauf hinweist daß Fernsehen, Radio und die großen Zeitungen zahlreiche Themen ausblenden. Die Gründe sind vielfältig: Eitelkeit und Bequemlichkeit von Journalisten, ökonomische Interessen der Medienbesitzer, Desinteresse des breiten Publikums oder objektive Schwierigkeiten bei der Recherche. Auf der 2005er Liste vernachlässigter Themen steht auch Paul Bremers „Order 81“. Einige weitere sind:
  • Deutschland vernachlässigt den Kampf gegen Korruption, bis heute ist es der entsprechenden UN-Konvention nicht beigetreten, anders übrigens als Peru oder Uganda.
  • Immer häufiger werden bei Wahlen in Deutschland elektronische Geräte zur Stimmabgabe eingesetzt, dabei sind sie erheblich leichter zu manipulieren als papierene Stimmzettel.
  • Etliche Pestizide, die hierzulande verboten sind, dürfen von deutschen Firmen exportiert werden – über die Obst- und Gemüseimporte kommen sie zurück zu den Verbrauchern.
  • Polizei und Geheimdienste können jederzeit und nach eigenem Ermessen private E-Malls mitlesen – und Telekom-Firmen stellen die Schnittstellen bereit.
  • Russische Ölfirmen zerstören mit dem Geld deutscher Banken die Umwelt in Westsibirien, beteiligt sind auch öffentliche Kreditinstitute wie die WestLB.
Seit seiner Gründung hat das Greenpeace Magazin stets über vernachlässigte Themen berichtet. Künftig werden wir direkt mit der „lnitiative Nachrichtenaufklärung“ zusammenarbeiten. Und unsere Leser rufen wir auf. Weisen Sie uns auf Themen hin, die Ihrer Meinung nach zu wenig beachtet werden! Wir leiten Ihr Thema dann an die Initiative weiter. Unsere Mall-Adresse: gpm@greenpeace-magazin.de

Weitere Infos:
Greepeace Magazin 3/06

Reiche Beute in fremden Revieren

Der Leverkusener Bayer-Konzern wird in einer amerikanischen Studie der Bio-Piraterie beschuldigt. Laut „Out of Africa: Mysteries of Access and Benefit Sharing“ produziert Bayer das Diabetes-Mittel Glucobay mit Hilfe eines Bakteriums aus dem kenianischen Ruiru-See. Jährlich erziele der Konzern mit Glucobay einen Umsatz von rund 278 Millionen Euro, von dem allerdings kein Cent nach Afrika zurückfließe. Das Medikament, das den Blutzucker senkt, wurde 1991 in Deutschland zugelassen. 1995 ließ sich Bayer einen neuen Herstellungsprozess von Acarbose, dem Wirkstoff des Präparats, patentieren. In der Patentschrift wird die Verwendung des Bakterienstamms Actinoplanes SESO genannt, nicht aber dessen Ursprung in Ostafrika. Bayer-Sprecher Helmut Schäfers weist darauf hin, daß das beschriebene Boden-Bakterium überall auf der Welt in Sandstrand und im Humus von Wäldern vorkomme. Genau dies gilt aber nicht für den speziellen Wildstamm. Bayer behauptet, das UN-Übereinkommen zum Schutz der biologische Vielfalt von 1992 zu unterstützen. In der so genannten Rio-Konvention wird allerdings ausdrücklich für eine Beteiligung der Herkunftsländer an den Gewinnen plädiert, wenn die Naturstoffe in westlichen Pharma-Labors landen.

Greenpeace Magazin 3/06

Agrarsubventionen für Reiche?

46 Prozent des EU-Haushalts fließen in die Förderung der Landwirtschaft. Deutschland zahlt davon gut neun Milliarden und erhält sechs Milliarden aus den Brüsseler Töpfen zurück. Doch wer profitiert von diesen Geldströmen? In einigen Ländern wurden die Empfänger der Subventionen inzwischen offen gelegt. So kann man in Dänemark im Internet nachschauen, wie viel Geld der Bauer nebenan erhält. Auch die Niederlande, Schweden, Großbritannien und Frankreich haben sich nach politischem Druck für die Veröffentlichung entschieden. Daher ist bekannt, dass etwa Prinz Charles im Jahr 2004 stolze 990.000 Euro erhielt. Der Konzern Nestlé konnte in England gar 18 Millionen einstreichen. Es zeigt sich, daß nicht die kleinbäuerliche Landwirtschaft von den Brüsseler Zahlungen profitiert, sondern hauptsächlich Großbetriebe und Konzerne mit erheblichem Landbesitz. „Dieses Muster ist auch in Deutschland zu erwarten“, ist sich Martin Hofstetter, Agrarexperte von Greenpeace, sicher: „Die reichsten Bauern bekommen die meisten Subventionen. Verlierer sind Kleinbetriebe und die Umwelt, die unter der stark geförderten Intensivlandwirtschaft leidet.“ Deutsche Behörden weigern sich bisher, Zahlungen offen zu legen. Nun laufen mehrere Klagen unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz.

Greenpeace Magazin 3/06

Bioskandal

Die Europäische Union hat mit der neuen Richtlinie für Ökolandbau die Skepsis der Biogemeinde bestätigt: Sie verwässert Biokriterien und verbietet den strengeren Bioverbänden sogar, ihre Vorteile vergleichend herauszustellen. Kontrolliert werden soll das Label „Bio“ in Zukunft in Brüssel und den einzelnen Ländern – ohne Beteiligung der Bioverbände. Kommt der EU-Entwurf im Sommer so durch, wäre das Label „Bio“ entwertet. Jetzt ist von Verbraucherminister Seehofer Initiative gefragt, um die Richtlinie noch umzubiegen.

Greenpeace Magazin 2/06