Die Stiftung aus Gütersloh initiiert Projekte, die Schulen helfen, selbstständiger und leistungsfähiger zu werden– angeblich
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Von Annette Jensen
Keine andere Stiftung in Deutschland hat so viel Geld wie die Bertelsmann-Stiftung. Doch nicht nur ihr Etat von über 65 Millionen Euro im Jahr macht sie zu einer einflussreichen Institution, sondern ebenso ihr geschicktes Vorgehen im Vergleich zu anderen Lobbyorganisationen des Landes.
Ziel der Bertelsmann Stiftung ist ein Staat, der ähnlich geführt wird wie ein Unternehmen. Öffentliche Aufgaben sollen möglichst outgesourct und von Privaten erledigt werden. Um das zu erreichen, geht die Stiftung langfristig vor und spielt häufig über die Bande. Sie hält Kontakt zu Politikern aller Couleur, zu Wissenschaftlern und Medienmenschen. Flexibel spannt sie unterschiedliche Interessengruppen für sich ein. Häufig nutzt sie dabei deren Vokabular und Problemerfahrungen. Dadurch erscheinen ihre Vorschläge mindestens diskussionswürdig, oft sogar attraktiv. Den Lösungen, die die Bertelsmann-Stiftung anschließend aus dem Hut zaubert, stehen die Kooperationspartner allerdings mit gemischten Gefühlen gegenüber. Schließlich sind sie mit unschönen Nebenwirkungen verbunden – derweil sie die Milliarden des Bertelsmann-Konzerns weiter mehren.
Beispiel Schulen: Den Einfluss der Kultusbürokratie zurückdrängen, die Autonomie in den Klassenzimmern stärken der Schlachtruf der Bertelsmann-Stiftung klingt zumindest in den Ohren älterer Reformpädagogen zunächst wie Musik: Genau diese Ideen hatten sie in den 1970erJahren schließlich selbst verfolgt. Im Alltag erleben sie jedoch das Gegenteil: Die Klassen werden größer, die Ausstattung mieser. Während die Aufgaben der Lehrer wachsen, schwinden ihre Gelegenheiten, sich fortzubilden. Das Image ihres Berufsstandes sinkt kontinuierlich. In dieser Situation locken »regionale Bildungsbüros« und Projekte für eine »eigenverantwortliche Schule«, die die Bertelsmann-Stiftung zusammen mit staatlichen Behörden in mehreren Bundesländern auf den Weg gebracht hat.
Jede Schule, die sich an dem Projekt beteiligt, wird aufgefordert, eine Bestandsaufnahme ihrer Leistungen zu machen und entsprechende Daten zu erheben. Wie sie dabei vorgeht, kann sie grundsätzlich selbst entscheiden – sie darf aber auch, wenn sie das möchte, auf ein günstiges Bertelsmann-Paket mit vorgefertigten Fragebögen für Lehrer, Schüler und Eltern zurückgreifen. »Das Steuerungsinstrument Seis besteht aus einem international tragfähigen Qualitätsverständnis von guter Schule«, versichert die Stiftung den Nutzern, Die Software für die Auswertung liefert sie gleich mit. Die meisten Schulen greifen zu; Personalressourcen, um eigene Kriterien und Fragen zu entwickeln, haben die Schulleiter nicht, ihr Kollegium ist in der Regel bereits ohne zusätzliche Arbeit überlastet.
Bertelsmann-Stiftung: Ihre Projekte wie »Seis« tragen dazu bei, Schulen privatwirtschaftlich auszurichten
Auf diese Weise erfährt die Stiftung des Medienkonzerns Bertelsmann nebenher, welche Medien in einer Schule eingesetzt werden – und welche nicht. Vor allem aber gelingt es ihr, die von ihr definierten Leistungskriterien auf breiter Ebene in den Schulen zu verankern. So werden zum Beispiel nur Daten zu Mathematik und Deutsch erhoben; ein gutes Niveau in Musik, Geschichte, Sport und Kunst scheint für eine Qualitätsprüfung irrelevant. Auch kritisches und selbstständiges Denken der Schüler bringt keine Pluspunkte. Unterschiedliche soziale Voraussetzungen der Schüler sind bei der Erhebung ebenfalls nicht gefragt.
Bisher verfügt ausschließlich Bertelsmann über die kompletten Datensätze des Seis-Projekts; öffentliche Vergleiche zwischen den Schulen gibt es bislang nicht. »Doch unsere Schulbürgermeisterin hat schon gesagt, dass sie gern ein Ranking haben würde – um die Wahlfreiheit der Eltern zu unterstützen«, sagt Andreas Langbein, Geschichtslehrer an einer Freiburger Realschule. Auch die Verteilung der öffentlichen Gelder aufgrund von Seis-Ergebnissen hält er für wahrscheinlich, zumindest für möglich. Die Konsequenzen wären klar: Wer in diesem Land keine engagierten Eltern hat, wird weiter abgehängt.
Darüber hinaus gelingt es der Bertelsmann-Stiftung, erhebliche Steuergelder für solche Projekte zu binden. In Freiburg zahlt die Stadt 75 000 Euro, das Land gibt 320 000 Euro dazu, während die Stiftung lediglich 48 000 Euro beiträgt. Die Federführung hat sie dennoch inne. •
aus Publik-Forum 11•2008
siehe auch meine Posts vom Februar und Mai 2008
In den 70er Jahren hat man mal bei uns Flüsse begradigt…