Montag, 2. März 2020

Mangelhafte Rechtsstaatlichkeit im Verfahren gegen Julian Assange

Dass jeder Angeklagte das Recht auf Verteidigung und auf die Vertraulichkeit der Kommunikation mit seinem Verteidiger hat, ist ein grundlegendes Element der Rechtsordnung. Wenn einem Angeklagten eine solche Vertraulichkeit nicht gewährt wird, kann von einem fairen Strafverfahren keine Rede mehr sein. Schon gar nicht, wenn die gesamte Kommunikation eines Angeklagten mit seinen Verteidigern abgehört und diese Aufzeichnungen an die Partei des Klägers weiter gereicht werden. Wie genau das im Fall Julian Assange geschehen ist, wird derzeit von einem spanischen Gericht untersucht, gegen der Gründer der Firma "Undercover Global", die Assange in der ecuadorianischen Botschaft ausspioniert und die Daten an die CIA weitergeleitet haben soll (Britisches Gericht blockiert Zeugenaussage von Assange). Finanziert wurde die Aktion, bei der die Gespräche Assanges mit seinen Verteidigern aufgezeichnet wurden, von dem Großspender Donald Trumps und Casino-Milliardär Sheldon Adelson.

Dies wurde von der Verteidigung Assanges am ersten Tag Anhörung vorgebracht - als eines der Argumente, warum eine Auslieferung des Wikileaks-Gründer abzulehnen ist. Diese ist ausgeschlossen, wenn der Mandant vor dem Gericht, das seine Auslieferung verlangt, kein rechtsstaatliches Verfahren erwarten kann - wovon ausgegangen werden sollte, wenn schon im Vorfeld gegen grundlegende Prinzipien wie die Vertraulichkeit der Verteidigergespräche eklatant verstoßen wurde.

Nicht belegte Behauptungen

Ebenfalls ausgeschlossen wäre eine Auslieferung, wenn das Begehren politisch motiviert ist. Hierfür brachten die Verteidiger Belege vor, die unter anderem zeigen, wie der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, den Trump gerade zum Chef der Geheimdienste ernannt hat, für seinen Chef die Strippen zog, um Julian Assange das Asyl in der ecuadorianischen Botschaft zu entziehen. Der Vertreter der USA führte vor dem Gericht eine Behauptung an, die eigentlich schon 2014 von einer Untersuchung des Pentagon selbst widerlegt worden ist, dass nämlich durch die Veröffentlichungen von Wikileaks das Leben unbeteiligter Personen gefährdet worden sei.

In dem Verfahren gegen Chelsea Manning musste der mit der Untersuchung beauftragte Pentagon-General eingestehen, dass man "kein spezifisches Beispiel" für eine solche Gefährdung oder einen Todesfall nennen könne. In London konnte der US-Ankläger nun auch keine konkreten Personen nennen, die aufgrund von Wikileaks-Publikationen wirklich Schaden genommen hätten. Wo aber kein Schaden ist, ist auch keine Klage und ein Gericht, das eine faire Abwägung zwischen dem Nutzen der "Tat" (der Veröffentlichung von Kriegsverbrechen) und dem in diesem Fall äußerst unspezifischen Schaden zu treffen hat, käme um eine Abweisung der Klage wohl kaum herum.

Womit wir bei dem politischen Schaden wären, den Wikileaks zum Beispiel mit der Veröffentlichung des "Collateral Murder"-Videos oder der Emails des "Democratic National Congress" (DNC), die den Betrug des Clinton-Teams an Bernie Sanders offenbarten, ohne Frage angerichtet hat. Am Image der Weltmacht USA und dem der Kandidatin Clinton, was wiederum zu den politischen Motiven führt, den Wikileaks-Gründer als "Staatsfeind Nr. 1" zu verfolgen und ihn als Nicht-Journalisten zu deklarieren. Dazu führte der US-Ankläger Lewis vor dem Gericht ins Feld, dass "Guardian", "New York Times" und andere ehemalige Partner von Wikileaks sich von Assange distanziert hätten, weil er die diplomatischen Kabel des US-Außenministeriums unredigiert, ohne geschwärzte Namen ins Netz gestellt hätte.

Diese Behauptung wurde am dritten Tag der Anhörung dann von einem Zeugen der Verteidigung, dem ARD-Journalisten John Goetz widerlegt, der damals für den "Spiegel" mit Wikileaks zusammengearbeitet hatte und klarstellte, dass das Passwort für den Zugang zu den Dokumenten von zwei "Guardian"-Journalisten zuerst in einem Buch veröffentlicht worden war und die diplomatischen Depeschen schon auf diversen Servern kopiert waren, bevor Wikileaks sie dann auch veröffentlichte. Und dass Assange beim US-Außenministerium sofort angerufen und gewarnt hatte, nachdem er von der Publikation des Passworts erfahren hatte.

"Wagt es nicht, jetzt kalte Füße zu kriegen"
 
Am dritten Tag der Anhörung ging es dann im Wesentlichen um die Frage, ob das britische Auslieferungsgesetz von 2003 oder der 2007 geschlossene Auslieferungsvertrag zwischen USA und UK Anwendung findet. In diesem Vertrag ist in Absatz 4.1. ausdrücklich ausgeschlossen, dass politische Vergehen zu einer Auslieferung führen dürfen. Der Vertreter der USA und auch die Richterin argumentierten nun, dass in diesem Fall aber das britische Gesetz von 2003 in dem "political offense" als Hinderungsgrund nicht erwähnt wird, gelten müsse. Für eine Auslieferung in die USA soll also der entsprechende bilaterale Vertrag ignoriert und das heimische Gesetz angewendet werden?

Das wäre eine weitere kafkaeske Pointe wie sie tragischerweise schon in dem Verfahren wegen des schwedischen Auslieferungsantrags stattfand, als der Richter am Supreme Court die französische Übersetzung des europäischen Auslieferungsgesetzes heranzog, um die Gültigkeit des Antrags zu entscheiden. Dieser war nur von der Staatsanwaltschaft, nicht aber von einem schwedischen Gericht ausgestellt worden und Assanges Anwälte hatten durch drei Instanzen vergeblich argumentiert, dass ein gültiger Antrag von einer "judicial authority" (einem Gericht) und nicht von einem Staatsanwalt kommen muss. In der französischen Übersetzung, wo von "autorité judicial" die Rede ist, seien Staatsanwälte aber eingeschlossen, hatte der Richter dann argumentiert und dem Antrag stattgegeben. Erst dieser absurde juristische Winkelzug, der klar machte, dass es hier nicht um ein ordentliches rechtsstaatliches Verfahren, sondern um einen politischen Prozess geht, veranlasste Julian Assange dann zu seiner Flucht in das Asyl der ecuadorianische Botschaft. Wie die Anhörungen vergangene Woche zeigten, drohen ihm seitens der britischen Justiz noch weitere solche Winkelzüge.

[
Mathias Bröckers, "Jemand musste Julian A. verleumdet haben …", Telepolis, 02.03.2020]
siehe auch:
Assange: UN-Folterexperte wirft Behörden "konstruierte Vergewaltigung" vor (Post, 03.02.2020)
- Nils Melzer zu Julian Assange: Ein Bericht, den es nicht gibt… (Post, 04.12.2019)

KenFM im Gespräch mit: Mathias Bröckers (“Freiheit für Julian Assange!”) {1:40:12 – Start bei 41:29 – Mathias Bröckers: »Schon der erste Internationale Haftbefehl war nicht rechtmäßig«}

KenFM
Am 05.07.2019 veröffentlicht 
Freiheit ist das höchste Gut, das der Mensch auf Erden besitzt. „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren“, wusste schon Benjamin Franklin. Was in diesen Tagen mit Julian Assange, einem Kämpfer für die Meinungsfreiheit, passiert, ist das komplette Gegenteil aller Freiheiten, die sich die zivilisierte Welt des 21. Jahrhunderts erarbeitet hat.
Nach sieben Jahren Asyl und Freiheitsentzug in der ecuadorianischen Botschaft in London wurde Assange durch den neuen Präsidenten Ecuadors das Recht auf Asyl wieder entzogen, worauf er umgehend aus der Botschaft entfernt und in die Hände der britischen Polizei übergeben wurde. Ihm droht nun die Auslieferung an die Vereinigten Staaten. Wie viele Rechtsbrüche allein in den letzten beiden Sätzen stecken, kann man nur erahnen. In seinem neuen Buch „Don’t kill the messenger! Freiheit für Julian Assange“ geht Mathias Bröckers den Anschuldigungen gegen Assange auf den Grund – von der angeblichen Vergewaltigung in Schweden, der Verschwörung mit Chelsea Manning bis hin zur Gefährdung der „nationalen Sicherheit“ der USA und des Geheimnisverrats.
Wie viele Jahre Haft bekommt man in einer Welt, in der die Meinungsfreiheit angeblich ein Grundrecht ist, wenn man Verbrechen aufdeckt? Und wie viele Jahre bekommt derjenige, der sie begeht? Das Messen mit zweierlei Maß hat mittlerweile Ausmaße angenommen, die für den normalen Bürger bei genauerem Hinsehen kaum noch erträglich sind. Was das Exempel Assange für den freien Journalismus bedeutet, sollten sich die Redaktionen von FAZ bis Süddeutsche und Co. eigentlich auch längst fragen, denn dessen Verhaftung ist weit mehr als ein Schuss vor den Bug der Pressefreiheit.
„We must resist…“, waren Assange’s letzte Worte, als er in den britischen Polizeiwagen geschoben wurde. Danach hat man nicht wirklich wieder etwas von ihm gesehen oder gehört. Mathias Bröckers öffnet uns im Gespräch die Augen und zeigt mit aller Deutlichkeit auf eine klaffende Wunde unserer demokratischen Freiheit, die, sollte sie größer werden, uns alle mit vollständiger Lähmung infizieren wird. Desinfizieren wir sie mit Solidarität – für Julian Assange und alle mutigen Bürger.
„Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie ein begangenes Verbrechen behandelt wird, werden wir von Verbrechern regiert.“ – Edward Snowden

mein Kommentar:
Die beengten, konfliktreichen Bedingungen des siebenjährigen Aufenthalts in der Botschaft Ecuadors und die Sorgen wegen des drohenden Strafverfahrens in den USA haben sicherlich Spuren hinterlassen. Die Teile der Unterstützerkampagne, die eine angemessene medizinische Versorgung fordern, sind nicht zu kritisieren. Aus einer selbst gewählten Isolation in der Botschaft Ecuadors einen Foltervorwurf gegenüber Ecuador zu machen, ist allerdings absurd. Der lockere Umgang des Uno-Sonderberichterstatters mit dem Begriff der Folter ist erstaunlich und schädlich für die Anliegen, die mit dem Amt verbunden sind.
[Tatjana Hörnle, Julian Assange ist ein wenig glaubwürdiges Opfer einer grossen Verschwörung, NZZ, 20.02.2020 – Hervorhebung von mir]
Wenn ich sowas lese, kann ich nur noch den Kopf schütteln. Angesichts der juristischen Winkelzüge, denen sich Assange ausgesetzt sah und der Weigerung Schweden, ihm zuzusichern man werde ihn nicht an die USA ausliefern, blieb Assange gar nichts anderes übrig als zu fliehen. Dies als »eine selbst gewählte Isolation« zu bezeichnen, ist absurd! Nils Melzer gebührt das Verdienst, die Dinge beim Namen zu nennen!

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