- Drachentöter? Schmeißfliegenkapitulierer wäre richtiger (altermannblog, 08.11.2014)
Alternde Männer sind entweder so, oder so. Ich weiß von was ich schreibe. Aber eine Lebensenttäuschung – es gibt noch mehrere – war Wolf Biermann. […] Da saß er nun, der “Drachentöter” und wirkte armselig kraftlos. Drachen hat der – wenn überhaupt – schon lange keine mehr getötet, aber dass er vor den Schmeißfliegen nicht nur kapituliert hat, sondern vor denen noch zu Kreuze kriecht – das verzeihe ich ihm nicht.
Bundestag: Musikalische Begleitung von Wolf Biermann zu "25 Jahre nach Mauerfall" am 07.11.2014
[11:47] Ermutigung, TextVeröffentlicht am 07.11.2014
Debatte im Bundestag zu "Friedliche Revolution – 25 Jahre nach Mauerfall" mit musikalischer Begleitung von Wolf Biermann
Ein ehemaliger Supervisor von mir ist ein sehr geduldiger und verständnisvoller Mensch. Einmal wurde er ungehalten: Ich erzählte ihm, daß ich ärgerlich auf meinen Vater sei, weil sich dieser in einer konkreten Situation sehr dumm seiner eigenen Gesundheit gegenüber verhalten hatte – mit recht unangenehmen und deutlich lebensverkürzenden Konsequenzen. Mein Supervisor gab mir zur Antwort: »Herr Kollege, Ihr Vater ist nicht verpflichtet, Ihren Erwartungen gerecht zu werden.«
In Bezug auf die Erleuchtung sagte der Dalai Lama:
»Selbst- Losigkeit bedeutet nicht, daß etwas, das es in der Vergangenheit gab, nunmehr nicht-existent wird. Vielmehr ist diese Art von ›Selbst‹ etwas, das nie existiert hat. Die Aufgabe besteht darin, etwas als nicht- existent zu erkennen, das schon immer nicht-existent war.«
(zitiert in Verleugnung [Post, 08.11.2014], Mark Epstein, Gedanken ohne den Denker, Kap. 5, Frei schwebend)
Biermann braucht niemand etwas zu verzeihen, weil es nichts zu verzeihen gibt. Das Problem ist nicht Biermann, das Problem sind die Erwartungen, die andere Leute an sein Handeln haben.
Dylan: "I try my best to be just like I am, but everybody wants you to be just like them"
Es ist schon eine Sache mit den Idolen und den Erwartungen, die ihr Publikum an sie hat. Bob Dylan kann ein Lied (oder viele) davon (oder darüber) singen:
- 1963 erhielt er den Tom Paine Award und konfrontierte das Publikum mit Dingen, die in ihm vorgingen, mit denen das Publikum überfordert war. (Bob Dylan – My Back Pages, Post, 30.05.2013, vor den letzten beiden Videos)
- 1964 sorgte sein viertes Studio-Album »Another Side of Bob Dylan« »bei Teilen der Folkszene für Befremden. So veröffentlichte Irwin Silber in der von ihm herausgegebenen Folk-Zeitschrift Sing Out! einen offenen Brief an Dylan, in dem er seiner Sorge Ausdruck verlieh, der Sänger drohe durch die Begleitumstände von Ruhm und Erfolg den Kontakt zur Basis zu verlieren, was auch in seinen neuen Liedern zum Ausdruck komme.[4] Der Folksänger Phil Ochs hingegen verteidigte im Broadside Magazine Dylans Recht auf Wandel.[5]« (Another Side of Bob Dylan, Wikipedia)
Das Lied »My Back Pages« (8. Lied auf »Another Side of Bob Dylan«; man bedenke, daß Dylan damals 23 Jahre alt war) interpretiert das englische Wikipedia wie folgt:
Dylan criticizes himself for having been certain that he knew everything and apologizes for his previous political preaching, noting that he has become his own enemy "in the instant that I preach."[2][5][6] Dylan questions whether one can really distinguish between right and wrong, and even questions the desirability of the principle of equality.[7] The lyrics also signal Dylan's disillusionment with the 1960s protest movement and his intention to abandon protest songwriting.[5][6][8] The song effectively analogizes the protest movement to the establishment it is trying to overturn.[4] (Hervorhebung von mir)
- 1965 besaß er die Unverschämtheit, beim Newport Folk Festival seine Texte mit einer elektrischen Gitarre zu begleiten: Empörung bei den Fans, heute die Geburtsstunde des Folk-Rock. (Heute vor 45 Jahren – 25. Juli 1965: Die Geburtsstunde des Folk-Rock, Post, 25.07.2010)
- 1978 habe ich ihn in Nürnberg auf dem Zeppelinfeld, da wo die Nazis ihre gigantischen Aufmärsche machten, gesehen. Wenige Tage zuvor hatten sie ihn in Dortmund ausgebuht und mit Tomaten beworfen. In der alternativen Zeitung Tip erschien eine Todesanzeige, in der sein Abgang beklagt wurde: der Star wurde den Erwartungen seiner Fans nicht mehr gerecht. (Mehr dazu bei Nichterschienen) (Mr. Mark & Mr. Bob, Post, 07.11.2011)
- 1991 hielt Dylan eine kurze, schnoddrige Ansprache anläßlich der Verleihung des Grammy’s für sein Lebenswerk und sang ein Lied, dessen Text kaum zu verstehen war. Wer ein wenig tiefer gehen will – mehr Erläuterungen würden an dieser Stelle den Rahmen sprengen –, kann hier nachsehen und -lesen:- Heute vor 45 Jahren – 25. Juli 1965: Die Geburtsstunde des Folk-Rock (Post, 25.07.2010)
- 2010 machte er aus seinem Evergreen «The Times They Are A-Chanin’«, als er im Weißen Haus vor dem Präsidenten spielte, einen Walzer, ging danach zu Obama, drückte ihm die Hand – ein kurzes Lächeln – und verschwand. (siehe Heute wird Bob Dylan 70 Jahre alt, Post, 24.05.2011) Obama: »Das war ein richtiges Vergnügen.« (Humor hat der Mann!)
- 2011 gab er einige Konzerte in China: Kein "The Times They Are a-Changin": Bei seinem ersten China-Konzert hat Bob Dylan auf einige berühmte Protestsongs verzichtet. Dafür wird er nun heftig kritisiert. (Auftritt in China – Kritik an Bob Dylans protestlosem Konzert, ZEIT, 12.04.2011)
In einem Kommentar zu einem Artikel im Stern (Bob Dylan – Der Gottvater aller echten Männer, Stern, 03.04.2007) stand zu lesen:
»Ich hab schon viele mißratene Artikel über seine Person gelesen, aber dieser setzt in Punkto Zynismus neue Maßstäbe. Journalisten und vor allem Journalistinnen sollten aufhören, über ihn zu schreiben. Sie können's nicht. Was sie nicht verstehen, und das scheint die einzige nachvollziehbare Aussage des Artikels zu sein, können sie auch nicht beschreiben. "I try my best to be just like I am, but everybody wants you to be just like them" sagt im Kern das wesentliche. Und das jemand, der 40 Jahre seines Lebens mit in Artikeln und anderswo gegossenem Unverständnis leben muß, weil er nicht die Absicht hat, Klischees zu bedienen, mit dem Boxen anfängt, wenn's denn stimmt, kann ich gut nachvollziehen.« (Hervorhebung von mir, siehe Heute wird Bob Dylan 70 Jahre alt, Post, 24.05.2011)
»Im Deutschen Bundestag kann man doch nicht erzählen, daß eine Wahl ein Gottesurteil ist, wenn man die deutsche Geschichte kennt.«
Wolf Biermann befindet sich, wenn die Leute über ihn herfallen, also in bester Gesellschaft. Er war von Bundestagspräsident Lammert zum Vortrag eines bestimmten Liedes im Bundestag eingeladen, »Ermutigung«. Was spricht dagegen, den Inhalt des Liedes, das vor dem Hintergrund des DDR-Systems geschrieben worden war, heute vor einem anderen Hintergrund anzuhören? Was haben die Leute denn erwartet? Daß Biermann Rabatz macht? Wozu? Damit sich dann alle auf ihn stürzen und, wie Helmut Schmidt so schön sagte, die nächste Sau durchs Dorf gejagt werden kann?
Möglicherweise bleibt uns in dieser Welt, von der wir einerseits nur bestimmte Dinge erfahren, uns das, was wir erfahren, auf eine bestimmte Art und Weise – nämlich schon vorgekaut – vermittelt wird (Beispiele finden sich in meinen Ukraine-Posts zuhauf), und wir das, was wir vermittelt bekommen, auf eine bestimmte Weise interpretieren, nur der ständige Zweifel und die Dekonstruktion (siehe dazu das Interview mit Peter Engelmann in Äussere Migration, Post, 08.11.2014), weil der größte Teil andersgerichteter Energie – wenn nicht alle – einfach nur verpufft.
Man schaue sich den Arabischen Frühling, die Vorgänge in der Ukraine und das Rascheln in unserem Medienblätterwald an: Wo geht die Energie denn hin? In ständige neue Aufgeregtheiten, und wo sonst noch? Was unterscheidet denn die aufgeblasenen Meldungen über die Ukraine von denen über die Fußballbundesliga oder die vom Dschungelcamp? Es sind nur andere Spielfelder. Der einzige Unterschied: das Gefühl von Realität (Körper und Ich-Bewußtsein: Rubber Hand Illusion, Post, 18.03.2011) nimmt von der Ukraine über die Bundesliga bis zum Dschungelcamp ab.
Vielleicht ist das Einzige, worauf sich Dylan noch konzentriert, das Schaffen von Verstörung, Zweifel – auch Selbst-Zweifel!
(siehe dazu: Mr. Mark & Mr. Bob, Post, 07.11.2011)
Die drei wichtigsten Sätze aus diesem Post:
- Der Folksänger Phil Ochs hingegen verteidigte im Broadside Magazine Dylans Recht auf Wandel.
- The song effectively analogizes the protest movement to the establishment it is trying to overturn.
- I try my best to be just like I am, but everybody wants you to be just like them.
Ich versuch’s abschließend ähnlich saftig wie der Alte Mann:
Leute, die sich dagegen wehren, daß andere ihnen anscheinend unbeirrbar vorzusagen versuchen, was sie zu glauben haben, kritisieren andere dafür, nicht das zu tun, was sie von ihnen erwarten. Aber das glauben sie zu dürfen, weil sie ja die Guten sind!
Wo ist der Unterschied?
(»… effectively analogizes the protest movement to the establishment it is trying to overturn.«)
Ich genieße die Vorstellung einer dekonstruktivistischen Beschäftigung mit des Alten Mannes Text. Es könnte nämlich gut sein, daß sich des Alten Mannes Frust – z.B. über die bornierte und unkorrigierbare Behandlung des Ukraine-Themas durch Politiker und Leitmedien-Journalisten (und was immer sonst noch) – nun an Biermann entlädt: Wenn die anderen schon so unbeeiflußbar sind – und alternde Männer sind halt mal so –, dann hat gefälligst Biermann, das ehemalige Idol, sich so zu verhalten, wie man sich selbst an dessen Stelle vorstellt, daß man’s im Bundestag mal ordentlich krachen läßt!
Alter Mann: Alternde Männer sind entweder so, oder so. Ich weiß von was ich schreibe.
Bob Dylan: I’m younger than that now.
Biermann: Laß dich nicht verhärten, laß dich nicht verbittern, laß dich nicht erschrecken, laß dich nicht verbrauchen.
Ich: So, so…
(Im Internet kann man mal nach dem Begriff »Musterunterbrechung« suchen. Ein Instrument zur Musterunterbrechung ist die Verstörung…)