Freud stand als Atheist und Religionskritiker in einem zwiespältigen Verhältnis zur Religion seiner Familie.[33]Erst durch den gegen Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt auflodernden Antisemitismus fand seine Rückbesinnung auf die jüdische Tradition statt, die auch in der Mitgliedschaft in einer B’nai-B’rith-Loge ihren Ausdruck fand. Auch stand er später den zionistischen Aktivitäten in Palästina wohlwollend gegenüber, ohne sich selbst als Zionist zu verstehen.[34] Am 18. Februar 1926 schrieb Freud an Enrico Morselli: „Obwohl der Religion meiner Voreltern längst entfremdet, habe ich das Gefühl für die Zusammengehörigkeit mit meinem Volk nie aufgegeben“. Eine Relevanz seiner jüdischen Herkunft für seine Wissenschaft verneinte er hingegen, ohne die Gefahr zu verkennen, dass eine solche von seinen Gegnern postuliert werden könne, was später auch geschah.[23][35]
Freud bezeichnet sich selbst als einen Feind der Religion „in jeder Form und Verdünnung“ und steht somit in der Tradition Ludwig Feuerbachs (dessen Thesen er als seine philosophische Grundlage ansieht) und Friedrich Nietzsches (dem er zugesteht, etliche Einsichten der Psychoanalyse intuitiv vorweggenommen zu haben). Auch Arthur Schopenhauers Schriften hatten großen Einfluss auf den jungen Freud.
Freud bekräftigt die Religionskritik der Philosophen durch Einsichten, die er als naturwissenschaftlichgeprägter Mediziner bei der Entwicklung der klinischen Psychoanalyse gewonnen hat. Dabei drängte sich ihm die Auffassung auf, dass die Religion einer Kindheitsneurose vergleichbar sei.
Hierbei argumentiert er anthropologisch, ontogenetisch und phylogenetisch:
Das anthropologische Argument definiert die Religion als infantiles (= kindliches) Abwehrverhalten gegen die menschliche Unterlegenheit: Der Mensch habe die Naturkräfte personalisiert und zu schützenden Mächten erhoben. Somit helfen sie ihm in seiner Hilflosigkeit. Das zugrunde liegende Verhaltensmuster knüpfe an die frühkindliche Erfahrung mit den schützenden Eltern, besonders mit dem Vater, an.[36]
Auf die frühkindlichen Erfahrungen geht auch Freuds ontogenetischer Ansatz ein: Das ambivalente Verhältnis des Kindes gegenüber dem Vater setzt sich im Glauben des Erwachsenen fort. Er erkennt, dass er auch als solcher sich nicht völlig gegen fremde Übermächte wehren kann, weswegen er seinen Schutz im Gottesglauben sucht. Die Götter fürchtet er, trotzdem überträgt er ihnen seinen Schutz.
Das Motiv der Vatersehnsucht setzt sich bei der stammesgeschichtlichen (phylogenetischen) Erklärung fort. Freud greift in Totem und Tabu (1913) das von Charles Darwin eingeführte Modell einer Urhorde auf, deren Stammesvater als absoluter Despot von den Söhnen sowohl verehrt als auch gehasst wurde, insbesondere aufgrund seines Anspruches, alle Frauen der Horde zu besitzen. Aus Eifersucht hätten sie ihr Oberhaupt gemeinsam umgebracht (Ödipuskomplex). Eine Nachfolge sei aufgrund der wechselseitigen Blockade der Söhne und der nachträglichen Idealisierung des ermordeten Urvaters nicht möglich gewesen. Als Gemeinschaft sollen sich die Söhne der Urhorde darauf verständigt haben, sich die Endogamie, den Besitz der Frauen der eigenen Gruppe zu versagen, so dass lediglich Frauen fremder Stämme und Sippen geheiratet werden durften (Exogamie-Gebot). Anschließende rituelle Mahlzeiten sollen an den vorangegangenen Mord bzw. die darauf folgende Etablierung elementarer Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens erinnern. Das menschliche Schuldbewusstsein sei somit der Anfang sozialer Organisation, von Moral, Religion, sittlicher Beschränkung und damit der Kultur überhaupt.
Freud setzte sich bis zu seinem Lebensende mit dem Thema Religion auseinander. Sein letztes Werk (1939), wenige Tage vor seinem Tod veröffentlicht, war eine Studie über den Religionsgründer Moses: Der Mann Moses und die monotheistische Religion. [Sigmund Freud, Religionskritiker Freud, ]
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Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d.h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die so genannten Religionen Antwort gaben. Der Nachweis dieser religiösen Struktur des Kapitalismus, nicht nur, wie Weber meint, als eines religiös bedingten Gebildes, sondern als einer essentiell religiösen Erscheinung, würde heute noch auf den Abweg einer maßlosen Universalpolemik führen. Wir können das Netz in dem wir stehen nicht zuziehn. Später wird dies jedoch überblickt werden.
Drei Züge jedoch sind schon der Gegenwart an dieser religiösen Struktur des Kapitalismus erkennbar. Erstens ist der Kapitalismus eine reine Kultreligion, vielleicht die extremste, die es je gegeben hat. Es hat in ihm alles nur unmittelbar mit Beziehung auf den Kultus Bedeutung, er kennt keine spezielle Dogmatik, keine Theologie. Der Utilitarismus gewinnt unter diesem Gesichtspunkt seine religiöse Färbung. Mit dieser Konkretion des Kultus hängt ein zweiter Zug des Kapitalismus zusammen: die permanente Dauer des Kultus. Der Kapitalismus ist die Zelebrierung eines Kultes sans rêve et sans merci. Es gibt da keinen „Wochentag“<,> keinen Tag der nicht Festtag in dem fürchterlichen Sinne der Entfaltung allen sakralen Pompes<,> der äußersten Anspannung des Verehrenden wäre. Dieser Kultus ist zum dritten verschuldend. Der Kapitalismus ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus. Hierin steht dieses Religionssystem im Sturz einer ungeheuren Bewegung. Ein ungeheures Schuldbewußtsein das sich nicht zu entsühnen weiß, greift zum Kultus, um in ihm diese Schuld nicht zu sühnen, sondern universal zu machen, dem Bewußtsein sie einzuhämmern und endlich und vor allem den <101> Gott selbst in diese Schuld einzubegreifen, um endlich ihn selbst an der Entsühnung zu interessieren.101>
mehr:
- Walter Benjamin: Kapitalismus als Religion ([Fragment], in: Gesammelte Schriften, Hrsg.: Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, 7 Bde, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1. Auflage, 1991, Bd. VI, S. 100–103., 690–691., Összehasonlító Irodalomtudományi Tanszék)
Die Freudsche Theorie gehört auch zur Priesterherrschaft von diesem Kult. Sie ist ganz kapitalistisch gedacht. Das Verdrängte, die sündige Vorstellung, ist aus tiefster, noch zu durchleuchtender Analogie das Kapital, welches die Hölle des Unbewußten verzinst.
Der Typus des kapitalistischen religiösen Denkens findet sich großartig in der Philosophie Nietzsches ausgesprochen. Der Gedanke des Übermenschen verlegt den apokalyptischen „Sprung“ nicht in die Umkehr, Sühne, Reinigung, Buße, sondern in die scheinbar stetige, in der letzten Spanne aber sprengende, diskontinuierliche Steigerung. Daher sind Steigerung und Entwicklung im Sinne des „non facit saltum“ unvereinbar. Der Übermensch ist der ohne Umkehr angelangte, der durch den Himmel durchgewachsne, historische Mensch. Diese Sprengung des Himmels durch gesteigerte Menschhaftigkeit, die religiös (auch für Nietzsche) Verschuldung ist und bleibt[,] hat Nietzsche pr<ä>judiziert. Und ähnlich Marx: der nicht umkehrende Kapitalismus <102> wird mit Zins und Zinseszins, als welche Funktion der Schuld (siehe die dämonische Zweideutigkeit dieses Begriffs) sind, Sozialismus. 102><
Kapitalismus ist eine Religion aus bloßem Kult, ohne Dogma. Der Kapitalismus hat sich – wie nicht allein im Calvinismus, sondern auch an den übrigen orthodoxen christlichen Richtungen zu erweisen sein muss, auf dem Christentum parasitär im Abendland entwickelt, dergestalt dass zuletzt im wesentlichen seine Geschichte die eines Parasiten, des Kapitalismus ist. […]=======================
Die Sorgen: eine Geisteskrankheit, die der kapitalistischen Epoche eignet. Geistige (nicht materielle) Ausweglosigkeit in Armut, Vaganten- Bettel- Mönchtum. Ein Zustand der so ausweglos ist, ist verschuldend. Die »Sorgen« sind der Index dieses Schuldbewußtseins von Ausweglosigkeit. Die »Sorgen« entstehen in der Angst gemeinschaftmäßiger, nicht individuell-materieller Ausweglosigkeit.
Das Christentum zur Reformationzeit hat nicht das Aufkommen des Kapitalismus begünstigt, sondern es hat sich in den Kapitalismus umgewandelt.<
Kapitalismus als Religion ist ein Fragment des deutschen Philosophen Walter Benjamin aus dem Jahr 1921.[1] Der jüdische Marxist behandelt in seinem Fragment die Parallelen und Unterschiede zwischen Kapitalismus und Religion in der Moderne. [Kapitalismus als Religion, Wikipedia]=======================
Kapitalismus als Religion - Max Uthoff aktualisiert die Thesen Walter Benjamins (2015) [18:38]
Veröffentlicht am 23.09.2015
Kapitalismus als Religion - Max Uthoff aktualisiert die Thesen Walter Benjamins (2015) - Mehr Infos zum Thema: "Kapitalismus als Religion" -
Volker Pispers über die Religion Kapitalismus - Bis neulich - 2015 [35:40]
Veröffentlicht am 15.05.2015
xsiehe auch:
. Die Ideologie und ihre Kritik. Ein Problemaufriss mit einigen Leerstellen und vielen Fußnoten (Samit Khatib, Anthropological Materialism, 06.07.2010)
- Geld und Gott – Kapitalismus als Religion (Armin Stadler, Le Bohémien, 13.02.2014)
- Kapitalismus als Religion (Christoph Fleischmann, seine Homepage, erschienen in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1 / 07, Seite 77-85)
- Aspekte der Kulturtheorie Adornos (Conne Island, 28.03.2007)
mein Kommentar:
daß Kapitalismus-kritische Überlegungen bei youtube fast nur in polit-Kabarett-Videos zu finden sind, spricht für sich: deutsches Dichen und Denken findet in Zeiten von TTIP und des Kriegs um die Deutungshoheit anscheinend nur noch im politischen Kabarett. (Und daß sich nach Georg Schramm jetzt auch Volker Pispers von der Bühne zurückzieht, spricht ebenfalls für sich.)
[Weihnachts(D)App – Zum Abschied ein Festprogramm!, Dieter Thomas vom Frankfurter Fronttheater]
ich habe in der letzten Zeit immer stärker so ein "Leck-mich-am- Arsch-Gefühl". […] Nach über 30 Jahren satirischer Kritik an Gott und der Welt und was es sonst noch alles gibt, habe ich die Schnauze voll davon, mich zum hundertfünfzigsten mal mit all den Comic-Figuren auseinanderzusetzen, die sich tag-täglich dabei widersprechen, wenn sie die Welt kommentieren oder interpretieren.
Quelle: Fronttheater |
- Kabarettist Dieter Thomas ist tot (Post, 06.05.2016)