Sonntag, 11. Oktober 2020

Die virtuelle Epidemie und ihre Toten

Covid-19 Die Zahl der Covid-19 zugerechneten Todesfälle wird steigen – auch dann, wenn niemand mehr an einer Neuinfektion stirbt.

In einem bemerkenswerten Beitrag auf Telepolis hat Christof Kuhbandner argumentiert, dass es infolge der drastisch gesunkenen Sterberate unter den SARS-Cov2-Infektionen nicht länger gerechtfertigt ist, die Maßnahmen aufrechtzuerhalten, die eine Verbreitung des Virus in der Gesamtbevölkerung verhindern sollen. Dabei hat er auch die Argumentation des Robert-Koch-Instituts widerlegt, das Sinken der Sterberate sei allein oder hauptsächlich auf einen geringeren Anteil älterer Menschen unter den Infizierten zurückzuführen. Ich muss hier seine sorgfältig durchgeführte und mit Daten unterlegte Analyse nicht wiederholen. Prof. Dr. Christof Kuhbandner ist an der Universität Regensburg Inhaber eines Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie und der Gedanke liegt nicht fern, dass seine Argumentation gegen die Aufrechterhaltung der Maßnahmen professionell motiviert ist – er weiß um den Schaden, den sie bei Kindern anrichten.

Ich selbst hatte vor zwei Wochen argumentiert, dass die PCR-Tests auf SARS-Cov2, so wie sie derzeit in Westeuropa durchgeführt werden, keine tragfähigen Aussagen über den Epidemieverlauf zulassen und das unter anderem auch mit den völlig verschiedenen Kurvenverläufen bei positiven Tests und Covid-19 zugeordneten Todesfällen begründet. Die Verteidiger von Zwangsmaßnahmen beginnen daher selbst wieder, mit Todesfällen zu argumentieren, wie ich vor einer Woche anhand des Schweizer Kantons Waadt gezeigt habe. Auffällig war dort, dass alle seit dem 17. August gemeldeten Todesfälle in Alters- und Pflegeheimen aufgetreten waren, die eigentlich mittlerweile gute Schutzkonzepte gegen Neuinfektionen haben sollten und dass die NZZ in ihrer Berichterstattung zu den neuen Maßnahmen im Kanton Waadt explizit darauf verwiesen hatte, dass die „Waadtländer Alters- und Pflegeheime... im Frühling besonders stark betroffen waren“ (Hervorhebung von mir). Das legt den Gedanken nahe, dass Personen, die im Frühjahr eine Covid-19-Infektion überstanden haben, aufgrund des positiven Tests aus der damaligen Zeit bei ihrem Ableben im August oder September als aktuelle Covid-19-Todesfälle gezählt wurden.

Wie lange impliziert ein positiver SARS-Cov2-Test einen Covid-19-Stebefall?

In seinem Telepolis-Beitrag hat Christof Kuhbandner auf die ominöse Art der Zuweisung von Todesfällen zu Covid-19 verwiesen, die auf der Homepage des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit beschrieben ist: „Als Todesfälle werden Personen gezählt, die mit und an SARS-CoV-2 verstorben sind, sowie Personen, bei denen die Ursache unbekannt ist. Mit SARS-CoV-2 verstorben bedeutet, dass die Person aufgrund anderer Ursachen verstorben ist, aber auch ein positiver Befund auf SARS-CoV-2 vorlag.“ (Hervorhebung vom Bayerischen Landesamt). Das Bayerische Landesamt führt weiter aus, dass in 99% der Fälle Informationen zur Todesursache vorliegen, woraus folgt, dass die Fehlzuweisungen in vollem Bewusstsein und absichtlich erfolgen: „Informationen zur Todesursache bei gemeldeten SARS-CoV-2-Fällen liegen bei etwa 99 % der Fälle vor, von denen wiederum etwa 89 % an COVID-19 und 11 % an einer anderen Ursache verstorben sind.“ Ob der Anteil der Fehlzuweisungen zeitlich konstant ist, bleibt dabei dahingestellt.

Annehmen würde man aus statistischen Gründen, dass dieser Anteil ansteigt, zumindest dann, wenn die Zuweisung aufgrund positiver Tests erfolgt, die beliebig weit zurückliegen. Das war zumindest in England bis in den August hinein der Fall, wie aus einem Artikel des British Medical Journal vom 13. August hervorgeht. Die Praxis war übrigens bis etwa Mitte August in England verschieden von derjenigen in Schottland, Wales und Nordirland, wo nur bis zu 28 Tage zurückliegende positive SARS-Cov2-Tests zur Zuweisung des Sterbefalls zu Covid-19 führten.

Die Situation in Deutschland ist unklar und kann auch anhand der Homepage des Bayerischen Landesamts nicht geklärt werden. Dort ist zwar erläutert, dass wegen Covid-19 hospitalisierte Personen und solche, bei denen unbekannt ist, ob sie hospitalisiert wurden, nach 28 Tagen (oder 7 Tage nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus) als genesen erklärt werden. Berücksichtigt man aber alle anderen Inkonsistenzen in der Covid-19-Datenerfassung und den Unwillen der Gesundheitsbehörden, diese abzustellen, so kann man daraus nicht schließen, dass als genesen erklärte Personen nicht nachträglich doch noch als Covid-19-Sterbefälle erfasst werden. Anfragen werden fast schon grundsätzlich nicht beantwortet, recht oft mit dem Hinweis, dass man zu beschäftigt mit den Tagesaufgaben sei, um Auskunft über die Datengrundlage zu geben.
mehr:
- Die virtuelle Epidemie und ihre Toten (Gunnar Jeschke, Freitag-Community, 26.09.2020)
siehe auch:
Auch ohne neue Corona-Fälle steigen die «Fallzahlen» weiter! (Urs P. Gasche, Info-Sperber, 19.06.2020)
x
x

Elementare Defizite der Berichterstattung:
Sie meinen es nur gut mit uns!

"Desinfektionsjournalismus" hat unser Autor seine umfassende Kritik an der Corona-Berichterstattung des deutschen Journalismus betitelt, die gerade in der Fachzeitschrift "journalistik" erschienen ist. In mehreren Teilen wird er auf Telepolis anhand von Fallbeispielen seine Position untermauern, die Medien seien vor allem zu Beginn der Pandemie nicht nur weit hinter ihren Möglichkeiten geblieben, sondern hätten mit unprofessioneller Arbeit eine demokratiegefährdende Diskursverengung betrieben. Zum Auftakt stellt Timo Rieg die bislang umfassendste Studie zur Qualität des "Corona-Journalismus" vor, die in der Schweiz entstanden ist.

Dass in der Berichterstattung zur Corona-Pandemie und deren politisch-bürokratischer Bekämpfung alles optimal gelaufen ist, darf man für äußerst unwahrscheinlich halten. Schließlich leidet der Journalismus an vielen systemischen, längst bekannten und intensiv untersuchten Problemen. Etwa seinem permanenten Spagat zwischen Aufklärungsanspruch und kommerziellen Interessen (die selbstverständlich auch gebührenfinanzierte Sender haben). Journalismus leidet unter seinem wenig heterogenen Personal, das überwiegend in gleichen Biotopen lebt und den großen Rest der Welt von außen bestaunt (oder auch ignoriert). Er leidet an den üblichen Problemen hierarchischer Entscheidungsstrukturen ("Peter-Prinzip"). Er leidet an einem stark unterentwickelten Qualitätsmanagement.

Und der Journalismus leidet daran, dass ausgerechnet die Kritiker vom Dienst, die sich in einem Anfall von Hybris bis heute gerne als "Vierte Gewalt" bezeichnen, äußerst beleidigt auf jede Kritik an ihrer Arbeit reagieren. Es ist also äußerst unwahrscheinlich, dass die Berichterstattung zur Corona-Pandemie perfekt war oder inzwischen wurde.

Das bestätigt nun auch eine erste große Qualitätsstudie — allerdings für die Schweiz. Am "Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft" (fög) wird seit 2010 die Qualität der Schweizer Medien gemessen und in einem Jahrbuch veröffentlicht. Mit ähnlicher Methodik hat das Forschungszentrum der Uni Zürich Ende Juli Befunde zur "Qualität der Medienberichterstattung zur Corona-Pandemie" vorgelegt. Die Inhaltsanalysen erfassen dabei stets nur allgemeine Ausprägungen der Berichterstattung, etwa wie viele verschiedene Akteure zu Wort kommen. Nicht gemessen werden u.a. so wichtige Qualitätskriterien wie die Richtigkeit oder Vollständigkeit von Berichten. Die Studie misst die Medienleistung in den Dimensionen Vielfalt, Relevanz und Deliberationsqualität.

Erster auffälliger Befund: Corona hat in der Berichterstattung nicht nur dem Eindruck nach alles beherrscht. Bis zu 75 Prozent aller Artikel in den Zeitungen und aller Rundfunknachrichten der Stichprobe beschäftigten sich mit der Pandemie. Eine vergleichbare Themendominanz hat es wohl lange nicht gegeben. Zum Vergleich: Das dominante Thema Klimawandel erreicht im vergangenen Wahljahr zur Spitze kaum mehr als 10 Prozent der Gesamtberichterstattung, so die Forscher Mark Eisenegger (Direktor fög), Franziska Oehmer, Linards Udris und Daniel Vogler.
mehr:
- Elementare Defizite der Berichterstattung (Timo Rieg, Telepolis, 11.10.2020)

mein Kommentar:
Was soll’s?! 
99 Prozent der Bundesdeutschen Nachrichten-Konsumenten werden diesen Artikel NIE zu Gesicht bekommen!
Für die ist der nächste DSDS oder das nächste Trump-Fettnäpfchen wichtiger…
siehe auch:
x
x