Mittwoch, 5. November 2014

Karl Schmückle, Don Quijote und die ästhetische Aneignung der Welt

Eine editorische Großtat: Schriften des marxistischen Theoretikers Karl Schmückle

Der von Werner Röhr herausgegebene Band »Begegnungen mit Don Quijote« enthält auf seiner letzten Textseite den Satz: »Thomas Manns Feindschaftsworte gegen den Kult des ›Irrationalen‹ sind ebenso im Namen der Zivilisation wie der Kunst und ihrer Zukunft gesprochen.« Die Bemerkung ist in einem Aufsatz enthalten, der in der Zeitschrift Internationale Literatur 1936 in Moskau erschien. Der Autor, Karl Schmückle, würdigte darin unter dem Titel, der nun dem Sammelband einer Auswahl seiner Schriften gegeben wurde, einen Aufsatz Thomas Manns, den dieser im Jahr zuvor veröffentlicht hatte. Vordergründig ging es beiden um eine Auseinandersetzung mit dem Faschismus an der Macht, tatsächlich greifen beide Autoren weit aus und zurück auf das Werk von Cervantes. Dessen Roman begreifen sie als »Weltbuch und Menschheitsmonument« (Mann), sein Verfasser habe, so Schmückle, »der Kollision zweier Menschheitsepochen« sowohl »erbarmungsloses Weltgelächter« wie auch die »rührende Melodie des Totenlieds« abgewonnen. Schmückle resümiert, der »Don Quijote« zeige, dass »die höchste Schöpferkraft der künstlerischen Imagination« nie aus einem romantischen oder zwiespältigen, romantisch-humanistischen Verhältnis zur Wirklichkeit hervorgehen könne, »sondern nur aus der Welt eines großen Realismus«. Die künstlerische Fähigkeit oder die ästhetische Aneignung der Welt sei eine »Produktionsart sui generis, aber doch eine gesellschaftlich bedingte«.


Die Auszüge aus Schmückles Text mögen andeuten, mit welch weitem Horizont und welcher Klarheit dieser hochgebildete Marxist schrieb. Die Schriften des Bandes zeigen: Schmückle gehörte zu den wichtigsten deutschsprachigen Forschern des Marxismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dennoch war sein Name nur wenigen Spezialisten geläufig.


Nach seinem Tod geriet er in Vergessenheit: Der deutsche Kommunist wurde am 14. März 1938 in der Sowjetunion nach einer Anklage wegen Spionage erschossen und erst 1958 rehabilitiert. In der DDR und in der Bundesrepublik erschienen einzelne Texte, einen Sammelband hatten Werner Röhr und die inzwischen verstorbene Simone Barck nach ihrer Edition der Arbeiten von Hans Günther (»Der Herren eigner Geist«, 1981) in der DDR geplant, aber – wie Röhr nun schreibt – das Vorhaben »ließ sich damals nicht realisieren«.
mehr:
- Exilliteratur – Vorzüglicher Essayist (Arnold Schölzel, junge Welt, 05.11.2014)

Amnesty International: Israel zeigte ‘kaltschnäuzige Gleichgültigkeit’

Ein neuer Bericht von Amnesty International zieht unangenehme Aufmerksamkeit auf die massive Anzahl von getöteten Zivilisten im Krieg, den Israel im Sommer gegen den Gazastreifen geführt hat, und sagt, dass das israelische Militär angesichts der in dem Konflikt getöteten Zivilisten „kaltschnäuzige Gleichgültigkeit“ gezeigt hat.

Der Amnesty-Bericht behandelte vorrangig acht spezifische Fälle von israelischen Angriffen gegen zivile Wohngebäude, Schläge, welche 104 Zivilisten töteten, darunter 62 Kinder. Amnesty kam zu dem Schluss, dass Israel sich mit den Attacken unverschämt wissentlich über Internationales Recht hinweggesetzt hat.
mehr:
- Kriegsverbrechen: Israel zeigte ‘kaltschnäuzige Gleichgültigkeit’ (Kritisches Netzwerk, 04.11.2014; Quelle: War Crimes: Israel Showed ‘Callous Indifference’ to Gaza Civilian Deaths, Antiwar.com, 04.11.2014)

Ein frühes Opfer des islamistischen Terrors

Vor 10 Jahren ging der Mörder von Theo van Gogh so vor wie heute der IS in Syrien und im Irak 

Der Mann war mit dem Fahrrad unterwegs, als er von einem anderen Fahrradfahrer eingeholt wurde, der auf ihn schoss. Als der Angeschossene verletzt am Boden lag, stieg der andere vom Fahrrad und schnitt seinem Opfer die Kehle durch. Wer hier an den Terror des IS denkt, liegt einerseits falsch und ist doch auf der richtigen Spur. 

Die blutige Szene spielte sich vor 10 Jahren auf offener Straße in Amsterdam ab. Das Opfer war der Schriftsteller und Regisseur Theo van Gogh, der keine Scheu hatte, Religionen und Kulte, die Menschen heilig scheinen, zu verspotten und zu verhöhnen, keine Religion war vor seinem Spott sicher. Nur wenige Tage vor seiner Ermordung erklärte er, dass er nur ein Dorfnarr sei, dem nichts passieren werde.
mehr:
- Ein frühes Opfer des islamistischen Terrors (Telepolis, 05.11.2014)

Korruption in der EU: Beamte lassen EU-Parlament auflaufen

Zwei auf dem Balkan tätige EU-Beamte wollen dem EU-Parlament keine Auskunft über die Korruptions-Vorwürfe gegen die Rechtsstaatlichkeits-Mission der EU im Kosovo geben. Deshalb fordern EU-Abgeordnete die Einsetzung von unabhängigen Prüfern. Die ins Visier geratenen Beamten hatten den Abgeordneten keine einzige Frage hinreichend beantwortet.
mehr:
- Korruption in der EU: Beamte lassen EU-Parlament auflaufen (Deutsch-Türkische Nachrichten, 05.11.2014)

Um was geht es? – Die Systemfrage

Viele meiner Patienten suchen nach Antworten, für die Sie keine Fragen stellen. (BabaRampuri – Ohne Frage keine Antwort, Post, 22.10.2013) Viele haben noch nicht einmal eine Sprache, mit der sie die Fragen formulieren könnten. (Ich nehme an, das macht wesentlich den Erfolg esoterischer Literatur aus.)
Wir glauben seit Jahrzehnten, es gehe um Demokratie. Vielleicht geht es nicht um Demokratie. Vielleicht geht es um eine Systemsuche, die Suche nach einem System, in welchem Oligarchen gebändigt werden können, in dem Seilschaften nur begrenzte Macht ausüben können, in dem Gesetze wirklich für alle gelten und in dem Organisationen in ihrem Wachstum so kontrolliert werden, daß sie nicht mehr »too big to fail sind«. Vielleicht geht das aber auch gar nicht…

Zu Beginn der Ukraine-Krise habe ich einen Post über die Verwendung von Sprache geschrieben:
Der Ukraine-Konflikt 2 – Über unterschiedliche Meßlatten und die Verwendung von Sprache am Beispiel der Homosexuellen-Gesetzgebung in Deutschland und des israelisch-palästinensischen Konflikts (21.03.14, zuletzt aktualisiert am 03.09.2014)
Folgender Artikel ist meiner Meinung nach ein Paradebeispiel für die Verwendung von Sprache als Mittel zur Gewinnung einer Deutungshoheit. Er bezieht sich auf den unglückseligen George Soros, den ich in einem Post in den vergangenen Tagen 
- ISIS und wir: menschenverachtende Barbaren gegen degenerierte Weicheier (30.10.2014)
zu den wirklichen Geiern gezählt habe.
Dieser Soros ist imstande, die Realität auf eine bestimmte Art und Weise zu beschreiben: die Annexion der Krim als Krieg Putins gegen die europäische Demokratie:
- Putins Krieg gegen die Demokratie (Cicero, 05.11.2014)
Kolumne: Leicht gesagt. Die Ukraine-Krise stellt Europa vor die Wahl: Will es einen zufriedenen Putin oder eine freie Ukraine? Der US-amerikanische Investor George Soros fordert massive finanzielle Hilfe für die Ukraine durch die EU. Denn: Putin führe nicht nur Krieg gegen die Ukraine, sondern gegen die Demokratie

Es sagt sich so leicht, der Ukraine-Konflikt müsse friedlich gelöst werden. Doch Frieden mit wem? Und gegen wen? Wollen wir lieber ein zufriedenes Russland oder eine freie Ukraine? Das ist im Kern die Frage.

Aber angesichts der festgefahrenen Ukraine-Krise sollten wir uns schon fragen: Wie weit darf der Friedenswunsch mit Moskau das Handeln Deutschlands diktieren? Kaum jemand redet noch von der annektierten Krim. Im Grunde denken doch viele: Da wuchs zusammen, was zusammengehört. Und wer denkt noch ernsthaft an den mysteriösen Absturz des malaysischen Flugzeugs?


mein Kommentar:
Aha, das ist also die Frage: Wollen wir einen zufriedenen Putin oder eine freie Ukraine?
Die Frage lautet nicht: Wollen wir uns dem US-amerikanischen militärisch-industriellen Komplex unterwerfen und uns der Fahne von »Freiheit und Demokratie« zum Büttel eines imperialen Streits machen lassen? 
Es ist beeindruckend, wie jemand wie Soros, den ich zur Oberschicht der internationalen Finanzmafia zähle, seinerseits behauptet, Putin habe einen Mafia-Staat geschaffen.

Jeder, der sich die Geschichte Rußlands von Gorbatschow bis heute ansieht, kann sich seine eigene Meinung dazu bilden…

siehe dazu auch:
- „Kein besseres Modell als die liberale Demokratie“ (Interview mit Francis Fukuyama, Cicero, 03.11.2014)

Rezension: „Die Eroberung Europas durch die USA“ – Wolfgang Bittners faktenreiches Buch gibt Aufschluss über die Ukraine-Krise

Nach mehr als zwei Jahrzehnten friedlicher Nachbarschaft und wirtschaftlicher Kooperation durchzieht Europa wieder ein Eiserner Vorhang, verursacht durch die Krise in der Ukraine, wo inzwischen Bürgerkrieg herrscht. Wie kam es dazu? Wolfgang Bittner zeichnet minutiös die Entwicklung der letzten Monate nach und gibt Aufschluss über die verhängnisvolle Einflussnahme der USA und der EU auf die Destabilisierung des Landes. Er beschreibt, wie die Ukraine, „als Brückenland von großer geostrategischer Bedeutung sowie als Wirtschaftsraum und Tor zu Russlands Ressourcen“ über Jahre hinweg systematisch durch subversive Kräfte zu dem wurde, was sie gegenwärtig ist: Kriegsschauplatz und Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen einer „westlichen Allianz“ und Russland.
mehr:
- Rezension: „Die Eroberung Europas durch die USA“ – Wolfgang Bittners faktenreiches Buch gibt Aufschluss über die Ukraine-Krise (NachDenkSeiten, 05.11.2014)


Heute vor 600 Jahren – 5. November 1414: Eröffnung des Konzils von Konstanz

Habemus papam: Martin V. 

Seit 1378 war die katholische Kirche gespalten: Infolge einer Doppelwahl regierte sowohl in Rom als auch in Avignon ein Papst. Als 1409 in Pisa sogar ein weiterer Gegenpapst und damit ein drittes Kirchenoberhaupt gewählt wurde, rief der in Pisa residierende Papst Johannes XXIII. auf Initiative von König Sigismund (1368-1437; seit 1410 römisch-deutscher König) ein Konzil nach Konstanz ein. Dort sollten die Spaltung der Kirche (Abendländisches Schisma) aufgehoben, Kirchenreformen eingeleitet und Ketzerei bekämpft werden. 
Kardinäle verlassen nach der Papstwahl
das Konklave im Konstanzer Konzilsgebäude,
November 1417
Das Konstanzer Konzil wurde heute vor 600 Jahren, am 5. November 1414, durch Johannes XXIII. eröffnet und tagte bis April 1418. Erst drei Jahre nach der Eröffnung, nachdem das Konzil die drei amtierenden Päpste abgesetzt hatte, fand die Papstwahl statt. Am Konklave im noch heute existierenden Konstanzer Konzilsgebäude waren 56 Kardinäle beteiligt. Sie wählten im November 1417 den Italiener Oddo Colonna, der bis zu seinem Tod 1431 als Martin V. an der Spitze der Kirche stand. Damit war das Abendländische Schisma nach 39 Jahren überwunden. 

Jan Hus (um 1369-1415) [Wikipedia-Link]
▪︎ Theologe und Reformator 
▪︎ wurde unter Zusicherung freien Geleits nach Konstanz gelockt 
▪︎ dort als Ketzer zum Tode verurteilt 
▪︎ starb 1415 vor den Toren der Stadt den Feuertod 
▪︎ Bewegung der Hussiten geht auf ihn zurück 
 Harenberg - Abenteuer Geschichte 2014
siehe auch:
- Konstanzer Konzil 1414-1418 – Ausstellung in Konstanz (Badisches Landesmuseum, Karlsruhe)