Freitag, 12. Mai 2017

Kapitalismus, Wertegemeinschaft, Herrenmenschen

Prof. Dr. Rainer Mausfeld im Gespräch zum Themenkomplex Rassismus, Kolonialismus und Kapitalismus

Vorurteil – Diskriminierung – Entmenschlichung. Würde diese Kausalkette einen universell gültigen Rassismus als Basis der kapitalistischen Gesellschaft beschreiben? Wenn ja – welche menschliche Eigenschaft führt zu dieser Negierung einer universellen Menschenwürde?

Rassismus in dem weiteren Sinne, wie er heute in der Rassismus-Forschung verstanden wird, ist keineswegs eine universelle menschliche Erscheinung. Er stellt also keine natürliche Reaktion auf „Überfremdung“ dar, sondern entwickelte sich erst in dem Maße, in dem man es als notwendig erachtete, soziale Ungleichheit zu rechtfertigen. Seine Entstehung hängt, wie besonders Immanuel Wallerstein aufgezeigt hat, eng mit der Entstehung kapitalistischer Organisationsweisen zusammen. Rassismus unterscheidet sich also grundlegend von Phänomenen der Fremdenangst oder Fremdenfeindlichkeit, die vermutlich universell sind.

Historische Analysen zeigen, dass Rassismus keine Reaktion auf Andersartigkeit und Fremdheit ist, sondern gerade diese „Andersartigkeit“ erst behauptet und somit erzeugt. So bringt auch der antiislamische Rassismus die Art der wesensmäßigen „Andersartigkeit“ von Muslimen erst hervor, die die „westliche Wertegemeinschaft“ für ihre eigene politische Identitätsstiftung und für die Legitimation ihrer Herrschaftsbedürfnisse benötigt.

Rassistische Diskriminierung als eine systematische Form der Entmenschlichung lässt sich also keineswegs einfach als Ausdruck einer allgemein-menschlichen Neigung verstehen oder auf individuelle Vorurteile reduzieren. Rassismus hat sich erst unter spezifischen historischen und ökonomischen Bedingungen entfaltet.

Natürlich muss auch der Rassismus – wie alle Produktionen unseres Geistes – eine geeignete Grundlage in bestimmten Eigenschaften und Neigungen unseres Geistes haben. Unser Geist zeichnet sich dadurch aus, dass wir von Natur aus über eine einzigartige Flexibilität verfügen, auf der Basis nahezu x-beliebiger Merkmale, sei es Hautfarbe, Religion, Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, etc., andere aus der sozialen Kategorie „Meinesgleichen“ auszugrenzen. In welcher Art und in welcher Weise eine solche Ausgrenzungsbereitschaft aktiviert wird, hängt jedoch wesentlich von kulturellen Faktoren ab.

Dennoch stellt unsere Bereitschaft, auf der Basis nahezu x-beliebiger Merkmale anderen das zu verwehren, was wir an Eigenschaften und Rechten für uns und die als „Unseresgleichen“ Empfundenen beanspruchen, im gesellschaftlichen Bereich eine Art „Schwachstelle“ unseres Geistes dar, die sich leicht für Zwecke der politischen Manipulation nutzen lässt. Der „Rassismus von oben“, mit dem jeweilige Machteliten diese Neigungen unseres Geistes strategisch für ihre Belange ausnutzen, ist also anders zu behandeln als Erscheinungsformen eines „Rassismus von unten“.

Die psychischen Widerstände gegen die Idee einer universellen Menschenwürde und damit einer Gleichwertigkeit aller Menschen haben ihre Wurzeln in dieser natürlichen Neigung des Menschen, den als fremd empfundenen Anderen nicht in vollem Umfang das zu gewähren, was er an Menschenwürde ganz selbstverständlich für sich selbst beansprucht. Daher bedurfte es eines langen Prozesses und schmerzlicher kollektiver Erfahrungen, bis eine solche Idee als moralische Leitnorm kodifiziert werden konnte.

mehr:
- Rassismus Kapitalismus und die Wertegemeinschaft der „Herrenmenschen“ (Hintergrund, 12.10.2016)

Muhammad Ali memorial: Rabbi Michael Lerner {8:53}

Veröffentlicht am 10.06.2016
Rabbi Michael Lernerspeaks at Muhammad Ali's memorial service.
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Der Staat schützt sich

Wie Israel- und Kapitalismuskritiker an der Ausübung ihrer Grundrechte behindert werden – Beispiele „falscher“ Ansichten aus der bayrischen Landeshauptstadt. Teil 1 von 3
In Artikel 21 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht im zweiten Satz, dass jeder Mensch das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern in seinem Land hat. Artikel 23 betont das Recht auf freie Berufswahl. Dass dem nicht immer so ist, durfte kürzlich etwa Kerem Schamberger in München aufgrund seiner „linken Gesinnung“ feststellen. Der 30-jährige bezeichnet sich als Kommunist, obwohl dieser Begriff „sehr dehnbar“ ist, wie er schreibt. Kommunist sein bedeutet für ihn „auch kritisch gegenüber jeglichen dogmatischen Verkrustungen, insbesondere in den eigenen Strukturen, aufzutreten.“

Schamberger ist Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), engagiert sich unter anderem in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, beides Organisationen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, und arbeitet seit dem 01. Januar 2017 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München (LMU). Eigentlich hätte er die Forschungsstelle schon am 01. Oktober antreten sollen, aber der Verfassungsschutz prüfte seinen Fall monatelang, um dann, nach einem halben Jahr, zu dem Ergebnis zu kommen, dass Schambergers Eintreten für die marxistisch-leninistische Lehre und die Selbstbezeichnung als Kommunist nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland zu vereinbaren seien.

Dass Schamberger die Stelle nun doch noch antreten konnte, hat der angehende Doktorand dem Rückgrat der Verantwortlichen in der LMU zu verdanken, die sich über das Ergebnis des Verfassungsschutzes letztlich hinwegsetzten. Man kenne Kerem, seit er Student ist. Er sei auf keinen Fall ein Verfassungsfeind, wie eine weitere Befragung Schambergers gezeigt habe, so Professor Michael Meyen. Für Schamberger, der sich juristischen Beistand von der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin holte und Solidarität verschiedenster politischer und gesellschaftlicher Spektren erhielt, ist es ein mutiger Schritt der Universität, „sich über die Empfehlung einer sogenannten Sicherheitsbehörde hinwegzusetzen.“

Es entspreche nicht unserem Grundgesetz, die „unselige Politik der Berufsverbote wieder zu beleben“, und es sei „sehr bedauerlich, dass hier in Bayern überhaupt noch Schritte in Richtung Berufsverbote gegangen werden“, so Schamberger. Wissenschaftler würden fast nur vom Staat angestellt. Die Gesinnungsprüfung komme somit einem De-facto-Berufsverbot gleich. Wer im öffentlichen Dienst arbeiten möchte, muss Fragen zur „Verfassungstreue“ beantworten und Mitgliedschaften in sogenannten extremistischen Organisationen angeben. Von Scharmberger wurden Videos und Fotos seiner Teilnahme legaler Demonstrationen angefertigt, um ihn einer vermeintlich verfassungsfeindlichen Gesinnung zu überführen. Für ihn ist die sogenannte Verfassungstreueprüfung lediglich ein „Mittel, um Leute zu disziplinieren“.

mehr:
- Innenpolitik: Münchner Freiheit – Teil 1: Gesinnungsprüfung (Flo Osrainik, Hintergrund, 31.01.2017)
Innenpolitik: Münchner Freiheit – Teil 2: Redeverbot (Flo Osrainik, Hintergrund, 31.01.2017)
Innenpolitik: Münchner Freiheit – Teil 3: Veranstaltungsverbot (Flo Osrainik, Hintergrund, 31.01.2017)