Freitag, 27. November 2015

TTIP: Die Selbstaufgabe des Staates

Das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen der Europäischen Union und den USA sorgt weiter für zunehmenden Protest: Am 10. Oktober fand in Berlin die größte Demonstration seit den Antikriegsprotesten im Jahre 2003 statt. Bis zu 250 000 Menschen füllten die Straße des 17. Juni zwischen dem Brandenburger Tor und der Siegessäule, um für einen gerechten Welthandel und gegen TTIP zu demonstrieren.

Dass der Protest immer größer wird, liegt an den brisanten Details, die mehr und mehr aus den geheimen Verhandlungen an die Öffentlichkeit dringen. Sie belegen, wie das Abkommen demokratische Standards nicht nur zu unterlaufen, sondern geradezu auszuhebeln droht. 


So ist inzwischen bekannt, dass TTIP auch ein Kapitel über die regulatorische Zusammenarbeit enthalten soll. Demnach sollen sich beide Seiten über die Einführung neuer Standards und technischer Normen abstimmen, noch bevor diese den jeweiligen Parlamenten zur Abstimmung vorgelegt werden. Die öffentliche Empörung führte sogar bei der ansonsten TTIP-freundlichen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu Protest: „Amerika soll bei unseren Gesetzen mitreden“, titelte sie empört.[1]

Doch damit nicht genug. Denn zu diesem Regulierungskapitel hat die EU-Kommission im Mai 2015 einen Textvorschlag in die Verhandlungen eingebracht, der noch weitaus Abenteuerlicheres vorsieht. An versteckter Stelle taucht dort im Artikel 2 c der Begriff international bodies auf. Damit sind Gruppen und Netzwerke gemeint, an denen die EU und die USA beteiligt sind. Sie erstellen Anforderungen, Empfehlungen oder Leitlinien, die sich auf das Angebot, die Genehmigungen, die Produktionsmethoden und Darbietungsformen von Waren und Dienstleistungen beziehen. Als Beispiele werden in einer Fußnote unter anderem die OECD und die International Conference on Harmonisation of Technical Requirements (ICH) genannt.

Konkret liefern die bodies „Dokumente“, die im TTIP-Abkommen dann als Rechtsakte gewertet werden, als sogenannte international instruments. Diese instruments müssen dann – laut Artikel 10, 2b 1, präziser noch Artikel 13, 2 – von den vertragschließenden Parteien umgesetzt werden. Die Gruppen, deren Empfehlungen von den USA und der EU umgesetzt werden sollen, sind nicht im Einzelnen benannt; eine Liste oder gar eine abschließende Aufzählung fehlt. Das aber bedeutet nicht weniger, als dass sich die EU verpflichten soll, künftige Leitlinien unbekannten Inhalts, erstellt von einer unbekannten Anzahl ungenannter Gruppen, umgehend in politisches Handeln zu transformieren – an den Parlamenten vorbei. Kein Mensch bei Verstand würde im Privatleben einen solchen Vertrag unterschreiben, mit dem er sich künftig allen noch nicht bekannten Befehlen von ihm ebenso unbekannten Organisationen unterwerfen würde.

Um die Tragweite dieses Vorschlags deutlicher zu machen, hilft ein Blick auf die existierenden bodies. Einen genauen Überblick hat niemand, eine Liste all dieser Gruppen existiert nicht. Selbst neuere, ausführliche Handbücher sind nur in der Lage, beispielhafte Übersichten zu erstellen. Fest steht jedoch, dass die Zahl der bodies, die schon heute außerparlamentarisch Normen setzen, in den letzten zwanzig Jahren von einigen Hundert auf heute über zweitausend angestiegen ist.

Wie sie arbeiten, lässt sich an drei bekannteren Einrichtungen veranschaulichen: der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Basel Committee) und der International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH).

mehr:
- TTIP: Die Selbstaufgabe des Staates (Fritz Glunk, Blätter für deutsche und internationale Politik, November 2015)
siehe auch:
- Das TTIP-Regime: Wie transatlantische Handelseliten die Welt dominieren (Petra Pinzler, Blätter für deutsche und internationale Politik, Oktober 2015)
- Demokratie oder Kapitalismus? Vom Elend der nationalstaatlichen Fragmentierung in einer kapitalistisch integrierten Weltgesellschaft (Jürgen Habermas, Blätter für deutsche und internationale Politik, Mai 2013, gefunden bei Axel Troost)
- Die Habermas-Streeck-Kontroverse (Martin Höpner, Gesellschaftsforschung 2/2013, Mgefunden bei Max-Planck-Institut)

mein Kommentar:
Junge, Junge, da wird das Unter-die-Räder-kommen institutionalisiert!
Einige nützlichen Schwachmaten verdienen sich wieder mal irgendwelche Pöstchen, die anderen verdienen sich dumm und dämlich, und der Rest guckt in die alternativlose Röhre.
Ich fordere die Wiedereinführung der Prügelstrafe!
Und ich möchte gar nicht wissen, wer da im Hintergrund welche Fäden zieht.
Manchmal habe ich den Gedanken, wir sollen mit der ganzen IS- und Ukraine-Scheiße nur abgelenkt werden.
Die aktuelle Frage dürfte lauten: Wie können wir die europäische Gesetzgebung so manipulieren oder aushebeln, daß wir unsere genmanipulierten Lachse auch in Europa an die Leute verfüttern – und daran verdienen – dürfen? (Perversion in der Nahrungsmittelindustrie: Frankenfisch auf dem Teller – »kein materieller Unterschied«!, Post, 20.11.2015)

Chaos im Kampf gegen den IS

Der Einsatzwille vieler Staaten im Kampf gegen den IS ist begrenzt. Und die Mächte, die wirklich kämpfen, verfolgen nur ureigene Interessen. Von diesem Chaos unter einander profitiert vor allem der IS, aber auch Assad. Eine erfolgreiche militärische Anti-IS-Allianz scheint undenkbar
Es sagt sich zu leicht, dass die Phalanx gegen diese Krake namens Islamischer Staat nur gemeinsam zuschlagen müsse – und schon wäre das mörderische Ungetüm platt. In Zahlen wirkt der Verbund mächtig. 60 Staaten beteiligen sich an dem, was die USA bereits im vergangenen Jahr als Anti-IS-Allianz geschmiedet haben. Seitdem Russland aktiv durch Luftschläge kämpft und nach dem Terror von Paris geben sich viele weitere Staaten solidarisch mit Frankreich. Der IS-Widerstand scheint unschlagbar.

Er scheint es aber nur. Denn tatsächlich ist der Einsatzwille vieler Staaten sehr begrenzt. Das größte Hindernis jedoch ist, dass die wirklich kämpfenden Mächte jeweils eigene Interessen verfolgen. Dieses Kreuz und Quer sowie jeder gegen jeden führt zu Chaos, von dem vor allem der IS, aber auch Assad profitieren. Denn beide wirken unbesiegbar.

mehr:
- Chaos im Kampf gegen den IS (Wulf Schmiese, Cicero, 25.11.2015)
Je tiefer man in das regionale Wurzelwerk des Konflikts steigt, desto dichter erscheint das Gestrüpp der Probleme. Und das genau scheuen die großen Weltmächte. Die USA wollen keine Bodentruppen schicken. Sie sind kriegsmüde und noch dazu im Präsidentschaftswahlkampf. Auch Russland will es bei der Bekämpfung aus der Luft belassen, das Land ist wirtschaftlich nahe dem Kollaps, ist geschwächt durch den Krim-Konflikt und stets gewarnt durch ihr Afghanistan-Desaster.

Der Westen insgesamt verlangt wiederum von Russland, seinen Kampf auch wirklich auf den IS zu konzentrieren und nicht die anderen Assad-Gegner aus Syrien zu bomben. Denn die wiederum vergrößern nur das europäische Flüchtlingsproblem.

Solange jeder gegen jeden nur die ureigenen Interessen durchzukämpfen versucht, wird das Problem IS nicht wirklich bekämpft. Und das gilt wohlgemerkt nur für das Macht-Gebilde im Nahen Osten. Eine ganz andere Bedrohung ist der Terror durch Attentäter, die sich auf den IS berufen. Gegen diese Gefahr kann keine militärische Anti-IS-Allianz helfen – vermutlich würde sie dadurch sogar noch größer.
Da kann man doch das Ansehen, welches Jean Moulin bei den Franzosen genießt, verstehen… 
siehe dazu:
- Filmempfehlung: Deckname Caracalla, die nachträgliche Beurteilung der Geschichte (Post, 10.05.2015)
- Heute vor 70 Jahren – 8. Juli 1943: Der Chef der Résistance stirbt (Post, 08.07.2013)

Deutschland 83

Heimatland Mit „Deutschland 83“ kommt eine ambitionierte Serie ins Fernsehen. Ist sie so gut wie die Erfolgsformate aus den USA?

Schweppenstette ist eigentlich nicht schlecht. Ein auffälliger Name, zumal für einen Stasi-Mann, wo Film und Fernsehen Stasi-Männer doch immer zur Unauffälligkeit verdammen. Schon weil sie Geheimdienstleute sind, aber auch weil Stasi-Männer nicht als Sympathieträger taugen, denen die Sonne aus dem Namen scheint. Stasi-Männer heißen Grubitz (wie Ulrich Tukur in Das Leben der Anderen, wo der sympathische Stasi-Mann von Ulrich Mühe es immerhin zu „Wiesler“ gebracht hat), sie heißen Hull (wie Martin Wuttkes würstchenbratender RAF-Betreuer in Die Stille nach dem Schuss), sie heißen Kupfer (wie die linientreue Familie in Weissensee), kurz, sie heißen, wie von Thomas Brussig in Helden wie wir schon früh satirisch zugespitzt: Uhltzscht.

Nun müssen Figuren keine kapriziösen Namen tragen, um sich einen zu machen. Omar Little, Hank Schrader oder Peggy Olson sind keine Namen, die besonders schön oder selten wären. Sie bedeuten einer ziemlich großen und relativ internationalen Gemeinde von Zuschauern aber etwas, weil sich mit ihrer Nennung, wie von Proust an der Madeleine beschrieben, reiche Erinnerungen an markante Charaktere identifizieren lassen. Diese Form von Vertrautheit hat das serielle Erzählen über mehrere Episoden und Staffeln, hat das Fernsehen, das zu einem nach Hause kommt wie Freunde und Familie, dem abendfüllenden Spielfilm voraus; selbst wenn man für Letzteren kein Kino aufsuchen, sich nicht nach draußen begeben muss.

Die Vertrautheit geht so weit, dass, wer Breaking Bad gesehen hat, sich auch zwei Jahre nach dem Ende der Serie noch für einen Moment fragen wird, wie sich Todd als Aufklärungspilot in Steven Spielbergs nächste Woche startenden Kalter-Kriegs-Spionage-Film Bridge of Spies verlaufen konnte. Dabei war der brutale Todd mit seinem Nazi-Onkel, die bislang größte Rolle des Schauspielers Jesse Plemons, eine Nebenfigur, die erst in der fünften Staffel von Breaking Bad in Erscheinung trat.

Es ist selbstverständlich ungerecht, von den Höhen eines Klassikers wie Breaking Bad hinabzuschauen auf die ersten neuen Versuche, die hierzulande im Serienformat unternommen werden. Zugleich hat aber erst ein Phänomen wie Breaking Bad, in dem alles verdichtet ist, was die serielle Erzählung vermag, das Phantasma einer hier produzierten, ebenbürtigen Serie geschaffen. Im Angesicht des Verbrechens von Dominik Graf und Rolf Basedow war 2010 in diesem Sinne zu früh und konnte von der ganzen Quotenmemmigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens schön unentschlossen programmiert werden.

mehr:
- SOKO Bonn (Matthias Dell, der Freitag, 25.11.2015)

DEUTSCHLAND 83 | "Student Interrogation" Official Clip | SundanceTV [2:01]

Veröffentlicht am 16.06.2015
Caught with books from the West, two students find themselves at Martin's mercy.

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DEUTSCHLAND 83 is a gripping coming-of-age story set against the real culture wars and political events of Germany in the 1980s. The drama follows Martin Rauch (Jonas Nay) as the 24 year-old East Germany native is pulled from the world as he knows it and sent to the West as an undercover spy for the Stasi foreign service. Hiding in plain sight in the West German army, he must gather the secrets of NATO military strategy. Everything is new, nothing is quite what it seems and everyone he encounters is harboring secrets, both political and personal.

Be a part of what The New Yorker calls "The new go-to network for artistic risk."

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1983 - Am atomaren Abgrund [1:13:13]
Veröffentlicht am 21.04.2014
Dokumentation ARTE
(Originaltitel: Soviet War Scare 1983 -- Discovery Channel, 2007, 1983: The Brink of Apocalypse -- Channel 4, 2008)

Able Archer 83 (engl. „tüchtiger Bogenschütze") war eine europaweite NATO-Kommandostabsübung vom 7. bis 11. November 1983, die einen Atomkrieg simulierte. Der hohe Realitätsgrad, die strenge Geheimhaltung sowie das zu dieser Zeit besonders angespannte Verhältnis zwischen den USA und der UdSSR führten im Warschauer Pakt zu dem Verdacht, es handele sich bei der Übung um einen Deckmantel für einen tatsächlich unmittelbar bevorstehenden Nuklearschlag. Dies zog die Alarmierung konventioneller Streitkräfte und nuklearer Trägersysteme in Osteuropa nach sich. Able Archer 83 war eines der Ereignisse im Kalten Krieg, bei denen die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges relativ hoch war.

Able Archer spielte sich vom 7. bis 11. November 1983 vor allem auf der Kommando- und Kommunikationsebene der europäischen NATO-Staaten ab und sollte dort mit einem hohen Realitätsgrad die Vorgänge während eines Atomkriegs simulieren. Das Manöver unterschied sich von denen der Vorjahre in drei Punkten:

- Erstmals wurden die Regierungschefs von NATO-Ländern wie Margaret Thatcher und Helmut Kohl eingebunden, was dem Manöver politisches Gewicht verlieh.

- hochrangige Aktivitäten, verbunden mit einem simulierten Durchspielen der Alarmzustände für die Streitkräfte der USA DEFCON-Stufe 5 bis 1 (Maximale Einsatzbereitschaft - Alle verfügbaren Truppen werden eingesetzt)

- die neuen Funkverschlüsselungsmethoden wurden im Rahmen der Übung erstmals im großen Maßstab verwendet.

Text: Quelle Wikipedia

Russland in Atem halten – USA verkaufen ihre expansionistischen Bestrebungen als Angst

Seit dem Machtwechsel in Kiew 2013 hat die Zahl der Manöver in der Ukraine mit Beteiligung von Nato-Soldaten rasant zugenommen. Die USA lieferten zwei mobile Radargeräte für die ukrainische Armee


Am Montag wurde auf dem Jaworowski-Truppenübungsplatz, im äußersten Westen der Ukraine, feierlich ein neues Manöver eröffnet. Bei dem Manöver, das nach Mitteilung des ukrainischen Verteidigungsministeriums "bis 2017" andauern soll, werden fünf ukrainische Bataillone gemeinsam mit Soldaten aus Nato-Staaten trainieren.

Gäste der Eröffnungszeremonie waren der Kommandeur der US-Landstreitkräfte in Europa, Frederick Ben Hodges, der Kommandeur für gemeinsame Operationen der Streitkräfte Kanadas, Admiral Peter Ellis, sowie die Botschafter der USA, Kanadas und Litauens, Geoffrey Pyatt, Roman Vashchuk und Marius Janukonis.

mehr:
- Manöver mit Nato-Soldaten in der Westukraine ohne Ende (Ulrich Heyden, Telepolis, 26.11.2015)

mein Kommentar:
Diese ganze säbelrasselnde Show erinnert mich stark an Able Archer (Able Archer 83: "Um Haaresbreite", Post, 13.11.2015)

Vorwärtsverteidigung (Wikipedia)

Die Sache mit dem »friedliebenden Westen« ist für mich damit endgültig gelaufen…

Türkische Regierung beginnt, Kinderbücher zu zensieren

Die Bücher werden überprüft, ob sie den kulturellen Normen des Landes entsprechen, und vernichtet, wenn sie zur "moralischen Erosion" beitragen


Nach dem Abschuss der russischen SU-24 durch die Türkei hat Präsident Putin der türkischen Regierung unter Präsident Erdogan eine gezielte Islamisierung des Landes vorgeworfen. Als ob die AKP-Regierung, die bei den Wahlen die absolute Mehrheit errungen hat, dies bestätigen wollte, wurde jetzt bekannt, dass der Rat für wissenschaftliche und technische Forschung der Türkei (TÜBITAK) in diesem Jahr mehr als 50.000 Bücher aus Buchhandlungen eingezogen hat. Seit letztem Jahr kann die Behörde wissenschaftliche Populärliteratur prüfen.

Überprüft werden soll, ob die Kinderbücher den Vorstellungen der Regierung über die Vermittlung der richtigen Kultur und Lebensweise gehorchen. Sie sollen, wie Hürriyet berichtet, die "lokalen Werte und die lokale Kultur widerspiegeln". Bücher, die der Regierung nicht gefallen, werden nicht nur zensiert, sondern auch gleich vernichtet. 

mehr: 
- Türkische Regierung beginnt, Kinderbücher zu zensieren (Florian Rötzer, Telepolis, 27.11.2015) 

mein Kommentar:
Die ernüchternde Erkenntnis, die ich in meiner beruflichen Arbeit gewonnen habe, ist, daß die Erkenntnisprozesse, für die sich Patienten öffnen, von dem Bedürfnis nach Schutz ihrer Identität bestimmt sind – eigentlich eine platte Selbstverständlichkeit. Paartherapien laufen da gegen die Wand, wo jeder vom anderen verstanden werden will, das Verstehen des Einen gleichzeitig aber für den Anderen den Verlust bzw. eine massive Beschädigung der eigenen Identät bedeutet.

Am Beispiel des gesellschaftlichen Umgangs mit Homosexualität im deutschen Sprachraum wird deutlich, daß diese für die Identität großer Teile der Bevölkerung eine Gefahr darstellte. Im 1870 dem Reichstag des Norddeutschen Bundes vorgelegten, vom Bundesrat beschlossenen, Entwurf eines Strafgesetzbuches  begründet Bismarck die Strafbarkeit gleichgeschlechtlicher Handlungen unter Männern mit der Rücksicht auf die öffentliche Meinung:
»[…] das Rechtsbewußtsein im Volke beurtheilt diese Handlungen nicht blos als Laster, sondern als Verbrechen, und der Gesetzgeber wird billig Bedenken tragen müssen, diesen Rechtsanschauungen entgegen Handlungen für straffrei zu erklären, die in der öffentlichen Meinung als strafwürdige gelten.« ($ 175, Vorgeschichte, Wikipedia) 
mein Kommentar:
Was anderes tut Putin?
Fünf Jahre später rechtfertigte 1962 der unter Konrad Adenauer vorgelegte Regierungsentwurf eines Strafgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland[19] – entgegen dem Vorschlag der Großen Strafrechtskommission von 1959 (wo Vertreter von CDU/CSU selten anwesend waren)[20] – die Aufrechterhaltung des § 175 wie folgt: 
Ausgeprägter als in anderen Bereichen hat die Rechtsordnung gegenüber der männlichen Homosexualität die Aufgabe, durch die sittenbildende Kraft des Strafgesetzes einen Damm gegen die Ausbreitung eines lasterhaften Treibens zu errichten, das, wenn es um sich griffe, eine schwere Gefahr für eine gesunde und natürliche Lebensordnung im Volke bedeuten würde.“[22] (Hans-Georg Stümke, Homosexuelle in Deutschland, 1989)


Homosexualität war für Psychoanalytiker noch Ende der 80er Jahre eine so schwerwiegende psychische Störung, daß Schwule nicht zur Lehranalyse bzw. zur psychoanalytischen Ausbildung zugelassen wurden. 
"Wir haben aber alle ein Interesse daran, daß auch in sexuellen Dingen ein höherer Grad von Aufrichtigkeit unter den Menschen Pflicht werde, als es bis jetzt verlangt wird.
Die sexuelle Sittlichkeit kann dabei nur gewinnen. Gegenwärtig sind wir in Sachen Sexualität samt und sonders Heuchler, Kranke wie Gesunde. Es wird uns nur zugute kommen, wenn im Gefolge der allgemeinen Aufrichtigkeit ein gewisses Maß von Duldung in sexuellen Dingen zur Geltung kommt."
 (Sigmund Freud 1898, GW Bd. 1, S. 489ff.)
So viel man in über mehr als 100 Jahren in Psychotherapie und Psychoanalyse auch über Homosexuelle als Kranke geredet, geschrieben, geforscht hat, bisher hat man nie mit ihnen als Gleichberechtigten gesprochen, keinen Dialog mit ihnen geführt. […]
Daß sich Psychotherapien unterschiedlichster Ausrichtung der gesellschaftlichen Verfolgung und Diffamierung homosexueller Männer angeschlossen haben, gehört zu den dunkelsten Kapiteln unserer Disziplinen. […]
4) Hat die psychoanalytische 1 Fragestellung, ob Homosexuelle gesund oder krank, neurotisch oder gar präödipal gestört sind, überhaupt eine außeranalytische Relevanz?
5) Müssen die vorgeblich wissenschaftlichen psychoanalytischen Theorien zur Homosexualität des Mannes als Dispositive der Macht, als Mittel der Propaganda entlarvt werden? […]
Wenige Psychoanalytiker teilen Freuds Unvoreingenommenheit gegenüber einer praktizierten Homosexualität des Mannes, in neuester Zeit u. a. der späte Morgenthaler (1984), Isay (1990), Friedman (1988). Die Mehrzahl der Psychoanalytiker von Sadger (1921) über Socarides (1971) bis Kernberg (1985) arbeitet an der Verfolgung und Eliminierung von Homosexualität. Was ich von der Psychoanalyse sage, gilt auch für einige andere tiefenpsychologisch-psychotherapeutische Schulen. C. G. Jung hat in der Theorie von der Homosexualität erklärt: "Ihre Auffassung als pathologische Perversion (sei, E. K.) fragwürdig" (1983, S. 86), in der Praxis – wie etwa gegenüber Magnus Hirschfeld – war er von einer rüden Antihomosexualität. Alfred Adler (1917), Wilhelm Reich (1933, 1936), Erich Fromm (1972), Alexander Lowen (1980) haben männliche Homosexualität bekämpft. […]
Andere Psychotherapieformen sind offener und geben homosexuellen Männern die Chance, sich als befähigte Therapeuten zu erweisen. Ich kenne erfolgreiche und einfühlsame schwule Gestalt- und Körpertherapeuten, Bioenergetiker, Atem- und Kunsttherapeuten. Von verschwindenden Ausnahmen abgesehen kann jedoch bis heute niemand seiner Identität und Neigung entsprechend zugleich die Lebensform offener Homosexualität und den Beruf des Psychoanalytikers wählen. Nehmen wir Erdheims (1994) Gedanken auf, die in seinem Beitrag aufwirft, dann ist zu sagen, daß Psychotherapie und Psychoanalyse die Politik auch im Behandlungsraum installierten, als sie Homosexualität zu einer zu behandelnden Störung erklärten. Nach Erdheim ist Kranksein in unserem Kulturbereich eine "Einübung in Unterwerfung" und Krankheit "eine Einübung in die Identifikation mit der Herrschaft". […]
Heterosexuelle arbeiten, leben mit Homosexuellen, ohne sie wahrzunehmen und für "wahr" zu nehmen. Durch unzählige Hinweise in Frage gestellt, wird als Glaubensgewißheit dennoch aufrechterhalten: Schwule sind obskure Einzelgänger, haben einen fragwürdigen Charakter, leben ein ungezügeltes Sexualleben und frönen perversen Sexualpraktiken. Ich möchte darauf hinweisen, daß solche Vorurteile, solche Borniertheit, nicht das Vorrecht von Laien sind, sie werden auch von vielen Seelenkundlern geteilt. […]
Noch im vergangenen Jahr belehrte uns Kernberg (1992a) aufs neue, daß zwar eine Paarbeziehung erst mit Einschluß aller polymorph-perversen infantilen Neigungen lebendig wird, daß eine "wirkliche" Paarbeziehung aber nur die einer in vielen Schritten zur Vollendung reifenden "wirklichen Ehe" ist. (Erhard Künzler, Lebensformen der männlichen, gleichgeschlechtlichen Liebe, Lindauer Texte 1994)
siehe auch:
- Wieso wir Angst vor dem Fremden haben (Dörte Hinrichs, Tagungsbericht, Freiburger Arbeitskreis Literatur & Psychoanalyse)

Nach so vielen Quellen: Es geht mir nicht um Homosexualität sondern um das Bedürfnis, die eigene Identität zu schützen. Jede Gesellschaft, jeder Staat, jedes System überhaupt benötigt eine Identität und schützt sie. Dazu scheint nun einmal die Ausgrenzung oder sogar Verfolgung von Menschen mit anderer Sexualität zu gehören, dazu scheint nun einmal – ob es uns gefällt oder nicht – die Ausgrenzung oder sogar Verfolgung von Menschen anderer Überzeugungen zu gehören. Und wenn ein System – egal welches – seine  Identität infrage gestellt sieht, ergreift es Maßnahmen, dieselbe zu schützen. Dazu gehört, egal ob in der Türkei oder in Deutschland – das Verbannen von mißliebiger Literatur.
Da kann man – sei es als politisch oder als psychotherapeutisch Denkender – nur schulterzuckend zusehen…

Die Frage, die offen bleibt: Muß das so sein?