Diese Würdigung ist zweigeteilt. Sie wird von Albrecht Müller eingeführt und von Hans Bleibinhaus fortgeführt. Und außerdem verlinken wir hiermit noch auf eine sehr positive Würdigung Vogels durch den langjährigen Bonner Journalisten und Mitglied der „Gelben Karte“, Hartmut Palmer, in „Cicero“. Dass zwischen der Würdigung durch Hartmut Palmer zum einen und jener durch Bleibinhaus/Müller zum andern Welten klaffen, werden NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser schnell erkennen.
Albrecht Müller:
Der gerade verstorbene Hans-Jochen Vogel war ein sehr fähiger Mensch, ausgezeichnet mit exzellenten Examina und auch gewürdigt bei und durch die Wahl zum Oberbürgermeister von München schon im Jahre 1960, also in jungen Jahren. Er war ein verantwortungsvoller Justizminister. Ich könnte aus eigener Erfahrung und guter Kenntnis auch noch einiges zu den jetzt angesichts seines Todes erscheinenden lobenden Erklärungen hinzufügen: Hans-Jochen Vogel hat schon sehr früh erkannt, was die Bodenspekulation in unseren Städten anrichtet, und zeitlebens diesen Wahnsinn bekämpft – als Oberbürgermeister und als Bundesbauminister und als Vorstandsmitglied der SPD. Ich habe Hans-Jochen Vogel sogar auf eine persönlich sehr schöne und wohltuende Weise kennengelernt. Wir kannten uns aus der Münchner Zeit in den sechziger Jahren. Als ich dann ab Ende 1969 für die Öffentlichkeitsarbeit des Parteivorstandes der SPD in Bonn verantwortlich war, war Hans-Jochen Vogel der Einzige aus der Vorstandsriege der SPD, der regelmäßig im Büro des Angestellten seiner Partei vorbeikam und fragte, wie‘s geht und wo der Schuh drückt. Als ich dann selbst Mitglied im Deutschen Bundestag war, habe ich ihn in der Fraktion als sehr effizienten Vorsitzenden erlebt. Auch das ist viel wert und nicht selbstverständlich.
In der Würdigung Vogels durch Hartmut Palmer gibt es eine längere Passage, deren Aussage ich teile: Hans-Jochen Vogel hat sich sehr viel um die konkreten Sorgen einzelner Menschen gekümmert.
Dann habe ich aber auch den ganz anderen Hans-Jochen Vogel kennengelernt, schon früh:
In der am Sonntag erschienenen dpa-Meldung über den Tod von Hans-Jochen Vogel war die Rede davon, er habe 1972 nach Bonn gehen müssen, weil die SPD-Linke in München ihm Schwierigkeiten machte. Einer dieser vermeintlichen Gegner von Hans-Jochen Vogel ist einer meiner besten Freunde: Hans Bleibinhaus. Er hat mich 1963 überzeugt, in die SPD einzutreten, und war dann in der Zeit der heftigen Auseinandersetzungen Hans-Jochen Vogels mit seiner Münchner Partei Schatzmeister und stellvertretender Vorsitzender dieser Partei in München. Deshalb konnte ich immer prüfen, ob das, was Hans-Jochen mir über seine Schwierigkeiten in München sagte, dem entsprach, was mein Freund erlebt und erfahren hat. Da gab es gewaltige Differenzen.
mehr:
- Die Toten würdigen und die kritischen Seiten vergessen? Anmerkungen aus Anlass des Todes von Hans-Jochen Vogel. (Albrecht Müller, Hans Bleibinhaus, NachDenkSeiten, 27.07.2020)
siehe auch:
- „Weiterarbeiten und nicht verzweifeln“ (Hartmut Palmer, Cicero, 27.07.2020)
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mein Kommentar:
Mit Palmers Artikel beginnt eine Art von Glorifizierung. Aber was soll er auch anderes schreiben? Albrecht Müller ist ein alter Haudegen. Der läßt sich von den Bedürfnissen, post mortem einen schwachen Heiligenschein um den Kopf von Hans Jochen Vogel zu zeichnen, nicht beeinflussen.
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Karl Jaspers
KenFM im Gespräch mit: Prof. Rainer Mausfeld ("Warum schweigen die Lämmer?") {1:38:19 – Start bei 34:09 –
Mausfeld: »Die Parteien verselbständigen sich…«}
Mausfeld: »Die Parteien verselbständigen sich…«}
KenFM
Am 02.10.2018 veröffentlicht
Am 02.10.2018 veröffentlicht
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Die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland wandelt sich vor unseren Augen. Es werden Wege beschritten, an deren Ende es weder eine Demokratie noch einen freien Bürger geben würde, vielleicht ohne dass die, die sie gehen, dieses Ende wollen. Diese Wege sind nicht unausweichlich. Aber nur ein zur Freiheit drängendes, seiner selbst darin bewusstes Volk kann die Demokratie in freier republikanischer Verfassung, die bisher nur eine Chance ist, verwirklichen. Wie werden wir regiert? Wer regiert uns? Woher kommen die Politiker? – Wie ist die Struktur der Bundesrepublik, nicht nur juristisch und in der Theorie, sondern im faktischen Geschehen? – Welcher Wandel vollzieht sich in der Struktur der Bundesrepublik? Es scheint: von der Demokratie zur Parteienoligarchie, von der Parteienoligarchie zur Diktatur. […]
Die Verfasser des Grundgesetzes scheinen vor dem Volk Furcht gehabt zu haben. Denn dieses Gesetz schränkt die Wirksamkeit des Volkes auf ein Minimum ein. Alle vier Jahre wählt es den Bundestag. Die ihm von den Parteien vorgelegten Listen oder Personen sind schon vorher durch die Parteien gewählt. Der Vorgang dieser verborgenen Vorwahl, die die eigentliche Wahl ist, ist verwickelt; die Namen für die Wahlkreislisten und die Landeslisten werden nicht auf gleiche Weise aufgestellt. Immer aber sind es die Parteigremien, nie das Volk, das an diesem entscheidenden Anfang beteiligt wäre. Man muss Parteimitglied sein, um bei dieser Wahl irgendwo mitwirken und um aufgestellt zu werden. […]
Eine Mitwirkung des Volkes durch das Referendum wurde nicht zugelassen. Das Volk ist dem Namen nach der Souverän. Aber es hat keinerlei Einwirkung auf die Entscheidungen, außer durch die Wahlen, in denen nichts entschieden, sondern nur die Existenz der Parteienoligarchie anerkannt wird. Die großen Schicksalsfragen gehen nicht an das Volk. Ihre Beantwortung muss das Volk über sich ergehen lassen, und es merkt oft gar nicht, dass etwas und wie es entschieden wird.
[Karl Jaspers (»Wohin treibt die Bundesrepublik? – Tatsachen – Gefahren – Chancen«, 1966), zit. in Ingrid Ansari, Wie demokratisch ist die Bundesrepublik Deutschland?, AchGut, 18.08.2019]
Eine weitere Sorge des Philosophen galt der Gefahr eines totalitären Herrschaftssystems, wie sie damals von der Sowjetunion ausging, inzwischen aber mit den technisch immer raffinierteren Manipulations- und Überwachungsmethoden auch die westlichen Demokratien von innen bedroht. Mit seiner Philosophie und seinen politischen Eingriffen setzte Jaspers sich zwischen alle Stühle. Von Rationalisten wurde er als Mystiker abgetan, von Theologen als ungläubiger Vernünftler.
[Ein unbequemer Mahner zwischen allen Stühlen (rheinpfalz.de, 26.02.2019]
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[Jaspers] wohnte als Beobachter dem Auschwitz-Prozess bei und trat massiv für die Aufhebung der damals anstehenden Verjährungvon NS-Verbrechen ein. 1966 erhob er mit dem Buch Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen – Gefahren – Chancen warnend seine Stimme mit einer Absage an Machtpolitik und Parteienstaat. Er trat für eine Verfassungsänderung zugunsten von mehr direkter Demokratie ein. Die Möglichkeiten, politisch Einfluss zu nehmen, seien für das Volk sehr gering. Die Wahlen bezeichnete er als „Akklamation zur Parteienoligarchie“. Mit diesen Thesen geriet er in die Debatte um die damalige Große Koalition und den „Selbstverrat“ der SPD bei der Anerkennung der Notstandsgesetze. Kritik erhielt er dabei fast in gleicher Weise aus der Politik von rechts und links, fand jedoch auch eine breite Zustimmung in der Öffentlichkeit.
[Karl Jaspers, Politische Stellungnahmen, Wikipedia, abgerufen am 28.07.2020]
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Kaum konkret nachweisbar ist die Wirkung von Jaspers' Philosophie auf philosophisch interessierte Laien. Sie kann nicht unerheblich sein, wie die ungewöhnlich hohe Auflagenzahl seiner Bücher zeigt, besonders jener in Taschenbuchformat. Jaspers' Bekanntheitsgrad in einer breiteren Öffentlichkeit wurde in den Fünfziger- und Sechzigerjahren durch die Diskussion seiner politischen Thesen in vielen Massenmedien der Bundesrepublik (darunter auch im „Spiegel“ und der „Zeit“ ... die seinen Ansichten breiten Raum gaben) maßgeblich erhöht. Die öffentliche Reaktion auf seine Thesen war damals zum Teil sehr polemisch. So hat man in Zeitungen aus dem linken politischen Spektrum die Totalitarismuskritik als Resultat eines blinden Antikommunismus und einer fixierten Mentalität des „Kalten Kriegs" angeprangert. Die Erwägung, der Westen mir seiner Führungsmacht USA müsse als letzte mögliche Alternative zu einer welt¬weiten kommunistischen Terrorherrschaft auch den Atomkrieg ins Kalkül ziehen, wurde als antikommunistischer Auswuchs eines vergreisten, pro-amerikanischen „Nato-Philosophen" hingestellt. In konservativen Zeitungen wurden die Forderungen nach Aufgabe der Doktrin der deutschen Wiedervereinigung, nach Anerkennung der durch den Zweiten Weltkrieg geschaffenen Grenzverhältnisse, die Kritik :an den Notstandsgesetzen und die Behauptung der Entwicklung zur Parteiendiktatur in der Bundesrepublik scharf angegriffen und als Hirngespinste eines politisch weltfremden Philosophen abgetan, der noch dazu im Ausland lebe. Dass Jaspers auch die These vertreten hat, man müsse die DDR durch Gewährung von Wirtschaftshilfe unterstützen, um ihre Eigenständigkeit innerhalb des Ostblocks zu stärken, damit dann gewisse politische Llberalisierungen leichter ermögliche und die Kontakte zwischen den Bürgern der damaligen beiden deutschen Staaten verbessert werden könnten, wurde damals kaum zur Kenntnis genommen. Ob diese Vorschläge nahezu zwanzig Jahre später in den Köpfen von prominenten konservativen Politikern (z.B. J. Strauß) in der Bundesrepublik eine Rolle spielten, als sie die Gewährung von großzügigen Krediten an die DDR in die Wege leiteten, ist wohl nur schwer überprüfbar.
[Kurt Salamun, Karl Jaspers, 2., verbesserte und erweiterte Auflage, Königshausen & Neumann, Würzburg 2006, S. 130 – GoogleBooks]
siehe auch:
- Der soziale Wohlfahrtsstaat (in: Hans Kruse, Demokratie in einer globalen Welt, Springer 2014, S. 47ff.)
Als exemplarisches Beispiel, wie sich die Menschen verführen lassen: Barack Obama:
KenFM im Gespräch mit: Prof. Rainer Mausfeld ("Warum schweigen die Lämmer?") {1:38:19 – Start bei 50:06}
KenFM
Am 02.10.2018 veröffentlicht
Am 02.10.2018 veröffentlicht
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