Mittwoch, 24. Juni 2020

Bei neuen Gesetzen genau hinsehen:
Wo »Regen« draufsteht, könnte »Traufe« drin sein!


Im Namen des Schutzes vor Terrorakten verlässt die Schweiz den Pfad des Rechtsstaates.

Clevere Taktik: Man fordert Präventivhaft, der Vorschlag wird abgelehnt, die Schlagzeile lautet «Nationalarat kippt Präventivhaft» und es geht das grosse Aufatmen durch das Land. Dass stattdessen Hausarrest bis zu neun Monaten beschlossen wurde, der auch für Kinder ab 15 Jahren gilt, scheint dann nicht mehr so schlimm. So geschehen letzte Woche im Nationalrat, der das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus behandelte. Dabei geht es um sogenannte Gefährder: Sie sollen künftig aufgrund des Verdachts, dass sie eine terroristische Tat planen, mit Zwangsmassnahmen wie Meldepflicht, Kontaktverbot, räumlicher Ein- und Ausgrenzung, Ausreiseverbot, elektronischer Überwachung und Mobilfunklokalisierung belegt werden. Polizeilich verordnet wohlgemerkt, nicht richterlich abgesegnet. Alle diese Massnahmen, ausser dem Hausarrest, sind bereits auf Kinder ab 12 Jahren anwendbar.

Bereits die Definition des «Gefährders» hat Kritik von der Menschenrechtsbeauftragten des Europarates hervorgerufen: «Das Fehlen einer klaren und präzisen Definition öffnet den Weg für eine breite Auslegung, die das Risiko von übermässigen und willkürlichen Eingriffen in die Menschenrechte birgt», warnte Dunja Mijatović.

mehr:
- Gefährder im eigenen Haus (Monique Ryser, Info-Sperber, 22.06.2020)
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Sprache schafft Realität – Was wird geschützt:
Europas Energieversorgung oder der US-Frackinggas-Absatzmarkt?


Um die fast fertiggestellte Ostseepipeline Nord Stream 2 zu verhindern, leiten die USA nun die nächste Eskalationsstufe ein. Ein Gesetzesentwurf aus dem US-Senat soll die bestehenden Sanktionen deutlich erweitern – künftig drohen auch europäischen Konzernen, die indirekt mit dem Bau und Betrieb der Pipeline in Zusammenhang stehen und sogar europäischen und deutschen Behörden harte Sanktionen. Dies geht sogar der Bundesregierung zu weit. Doch außer einer freundlich formulierten „Rüge“ ist bislang aus Berlin nichts zu vernehmen. Dabei wäre es längst an der Zeit, sich zu wehren und den USA Grenzen aufzuzeigen. Das Maß ist voll. Von Jens Berger

Ursprünglich sollte die Ostseepipeline Nord Stream 2 bereits seit Beginn dieses Jahres russisches Erdgas in das europäische Pipelinesystem liefern. Doch daraus wurde nichts. Am 31. Juli 2019 hatte der Außenausschuss des US-Senats einen Gesetzesentwurf mit dem anmaßenden Titel »Protecting Europe’s Energy Security Act of 2019« angenommen. Der Entwurf des US-Senators Ted Cruz sieht vor, Unternehmen und Einzelpersonen, die sich am Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 beteiligen, auf die Sanktionsliste der USA zu setzen. Cruz hat es dabei vor allem auf die Firmen abgesehen, die Schiffe besitzen, die solche Unterwasserpipelines verlegen können. Davon gäbe es weltweit nur fünf, so Cruz. Konkret betroffen durch die US-Sanktionen waren damals die Unternehmen Allseas Group mit Firmensitz in der Schweiz und das italienische Unternehmen Saipem. Würden sich diese Unternehmen weiterhin am Bau der Pipeline betätigen, drohten die USA mit so unschönen Dingen wie einem Ausschluss von Aufträgen für sämtliche Projekte, die direkt und indirekt unter die Jurisdiktion der USA fallen und einem Einfrieren sämtlicher Vermögenswerte weltweit. Mitarbeitern und Anteilseignern der betroffenen Unternehmen wurde mit einem Einreiseverbot und ebenfalls mit einem weltweiten Zugriff auf deren Konten und Vermögenswerte gedroht.

Wie kaum anders zu erwarten, stellten die von den Sanktionen bedrohten Unternehmen ihre Zusammenarbeit mit dem Pipelinekonsortium daraufhin ein. Was folgte, war ein russischer Verzweiflungsakt der besonderen Sorte. In einer fünfmonatigen Reise um die halbe Welt wurde der russische Rohrverleger „Akademik Cherskiy“ vom Pazifikhafen Nakhodka in den Nord-Stream-Logistikhafen Mukran auf Rügen verlegt. Nur die „Akademik Cherskiy“ verfügt über das von den dänischen Behörden vorgeschriebene dynamische Ortungssystem. Während der Überfahrt wechselte das Schiff zudem seinen Besitzer und gehört nun „pro forma“ einem Wärmekraft-Eigentumsfonds aus Samara, der wohl kein verletzliches Opfer der US-Sanktionen ist. Seit Anfang Mai liegt die „Akademik Cherskiy“ nun auf Rügen und wird offenbar für den Einsatz in der Ostsee umgerüstet. Im Juli beginnt die Laichzeit für den Kabeljau, so dass eine Fortsetzung der Arbeiten frühestens im September möglich ist. Dies wollen die USA durch ihre neuen Sanktionen verhindern.

Künftig sollen die Sanktionen des »Protecting Europe’s Energy Security Act of 2019« auch Personen und Unternehmen betreffen, die Schiffe, die an der Ostseepipeline arbeiten, versichern oder sie in welcher Form auch immer „unterstützen“. Unter die Sanktionen fallen dann auch Unternehmen, die Zertifizierungen für die Pipeline unternehmen oder eine Mittlerrolle einnehmen. Dies betrifft unter anderem die europäischen Multis Uniper (E.on), Wintershall (BASF), die österreichische OMV, die britisch-niederländische Royal Dutch Shell und den französischen Konzern Engie, die zusammen mit Gazprom an der Pipeline beteiligt sind. Welche Banken und Versicherungen betroffen sind, ist noch unbekannt. Laut internen deutschen Regierungsvermerken betreffen die Sanktionen sogar deutsche und europäische Behörden. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Die deutschen und dänischen Beamten, die bei der Zertifizierung der Pipeline eine Rolle spielen und den russischen Verlegeschiffen eine Genehmigung erteilen, laufen Gefahr, dass sie nicht mehr in die USA einreisen dürfen und ihnen womöglich gar von bestimmten Banken ihre Vermögenswerte eingefroren werden. Ging es bislang – zumindest in der öffentlichen Debatte – um Sanktionen gegen Russland, stellt diese Ausweitung direkte Sanktionen gegen Deutschland und andere EU-Staaten dar.

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