Sonntag, 28. Januar 2018

Seit Jahresanfang in Kraft: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – Knieschuß mit Ansage oder Die Diktatur der Humanität

Selten ist in Deutschland ein dämlicheres Gesetz in Kraft getreten als das NetzDG: juristisch schlampig, technisch uninformiert und wahlkämpferisch schnellgeschossen. Gegen Hass im Netz hilft es auch nicht - im Gegenteil.
Die Satirezeitschrift "Titanic" twitterte am frühen Nachmittag des 2. Januar 2018: "Weshalb verwendet eigentlich die deutsche Polizei arabische Zahlen? Ich wehl doch nicht 110, wen die Barbarenhorden mich vergewaltigen wollen! (bvs)"



Screenshot aus dem SPON-Artikel

Das Kürzel "bvs" steht für Beatrix von Storch, aber natürlich handelt es sich nicht um die AfD-Politikerin, sondern um eine Satireaktion. Kurze Zeit später ließ sich der Tweet in Deutschland nicht mehr aufrufen. Stattdessen konnte man lesen: "Dieser Tweet von @titanic wurde aufgrund der Gesetze vor Ort zurückgezogen in Deutschland. Mehr erfahren".

Ein börsennotiertes Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als zwei Milliarden Dollar lässt seine juristischen Texte offenbar von einem Staubsaugerroboter übersetzen, auch interessant, aber darum geht es nicht primär. Der Klick auf den zweiten Halbsatz offenbart, "dass Twitter Inhalte aufgrund von örtlichen Gesetzen zurückgezogen hat, und zwar als Reaktion auf eine Meldung durch unsere Support-Benachrichtigungskanäle." Ab hier gabelt sich die Rückverfolgung des Falls auf, weil Twitter in Deutschland zwar ein Sales-Team unterhält - aber faktisch keine Ansprechpartner für die Presse. Unter "Meldung" versteht Twitter fünferlei verschiedene Reaktionen irgendeines Nutzers auf einen Tweet:

• "I'm not interested in this tweet" - "Ich bin an diesem Tweet nicht interessiert",

• "It's spam" - "Es ist Spam",

• "It displays a sensitive image" - "Es zeigt ein problematisches Bild",

• "It's abusive or harmful" - "Es ist missbräuchlich oder verletzend",

• "Covered by Netzwerkdurchsetzungsgesetz" - "Fällt unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz".

Der letzte Punkt steht da wirklich in gloriosem Amtsdenglisch und dürfte instantan jede Hoffnung zerstören, dass seitens Twitter irgendein auch nur durchschnittlich intelligenter Schritt zur Bekämpfung von Hate Speech unternommen wird. Der einzige Pluspunkt: Der Meldetext liest sich so bekloppt wie das betreffende Gesetz auch ist.

mehr:
- Debakel um Hassrede-Gesetz: Die stumpfe Pracht des NetzDG (Sascha Lobo, SPON, 03.01.2018)

mein Kommentar:
Jeden Artikel des Spiegel sollte man mit »spitzen Fingern« lesen!
dazu:
- Desinformation: Der Spiegel lügt nicht! Er führt nur (???) gezielt in die Irre! (Post, 23.05.2019)

Norbert Bolz: Das NetzDG und die Lüge {4:28}

Am 07.02.2018 veröffentlicht 
Achgut.Pogo
Seit einigen Wochen ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft und kaum jemand protestiert noch. Namhafte Verfassungsrechtler, sogar ein UN-Vertreter, beklagten noch vor Verabschiedung des Gesetzes dessen Verfassungswidrigkeit und Missachtung von Grundrechten. Es wurde trotzdem noch vom vorigen Bundestag am Ende der allerletzten Sitzung beschlossen. Dass die beteiligten Politiker dieses Thema nicht mögen, ist kaum verwunderlich. Aber wäre es nicht Aufgabe der Presse, sich des Umstandes anzunehmen, dass womöglich aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes fortgesetzt in Grundrechte eingegriffen wird? Warum hört man von den Journalisten so wenig, die doch eigentlich die ersten sein müssten, die aufschreien, wenn es auch nur nach Zensur riecht. Der Medienwissenschaftler Professor Norbert Bolz hat sich mit einem Zwischenruf zu Wort gemeldet. In wenigen Tagen folgt, unter anderem mit ihm, ein ausführlicherer Achgut-Pogo-Beitrag zum Thema.

siehe auch:
- DEBATTE UM VON-STORCH-TWEET: So funktioniert das NetzDG (FAZ, 02.01.2018)
- Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Beginnt jetzt das große Löschen? (Jannis Brühl, Simon Hurtz, Hakan Tanriverdi, Süddeutsche Zeitung, 01.01.2018)
- Netzpolitik.org-Artikel zum Thema

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