Eine der schlimmsten Gestalten, die mir Anfang der 70er in der deutschen Öffentlichkeit begegneten, war Theo Lingen. Bei Filmen wie »Wir haun’ die Pauker in die Pfanne!« oder »Hurra, die Schule brennt!« drehte sich bei mir ob des gestelzten und plumpen Humors und der hilflosen Lehrer der Magen um:
Wie jemand über sowas lachen konnte, ist mir auch heute noch unbegreiflich. Mir tat es weh. Auf die Youtube-Kommentare einzugehen erspare ich mir.
Alexander Golling als Studienprofessor Blaumeier sagt in obigem Ausschnitt aus »
Hurra, die Schule brennt!«, nachdem durch das Öffnen der Tafel einen Eimer Wasser abbekommen hat: »Lauter blöde Hunde hat man hier zu unterrichten!« Heute würde er wegen dieser Äußerung möglicherweise eine Anzeige an den Hals bekommen. Golling spielte 1970 (neben
Horst Frank,
Christine Schuberth,
Ralf Wolter,
Walter Sedlmayr und
Monika Dahlberg) auch in dem Film »
Ein Glöcklein unterm Himmelbett« von
Oskar Maria Graf mit, der in seiner Wikipedia-Filmographie verständlicherweise nicht aufgeführt ist. Die Ankündigung des Films in
Moviepilot:
»Die ›Dorfmatratze‹ eines bayerischen Alpendörfchens wurde dermaßen angebumst, dass es dabei zur Schwangerschaft gekommen ist. Nur wer ist der Erzeuger und kommt damit für den Unterhalt auf? Die Suche nach dem Vater gestaltet sich als Streifzug durch das Liebesleben der Ortsbewohner…«
So war die Zeit…
Dazu paßt übrigens aus die Meldung der
msn-news von heute: Schläge und Mobbing: Schulleiter will Polizeischutz – Schlägereien, Erpressung und Mobbing unter Schülern, Drohungen und demolierte Autos der Lehrer - weil die Lage an der Kopernikus-Hauptschule in Garbsen bei Hannover eskaliert, hat der Direktor Polizeischutz für seine Schule gefordert. zum Artikel der
HAZ
Zurück aber zu Theo Lingen: Sein Überlebenskampf in der deutschen Nachkriegs-/post 68-Kultur zwang ihn wie auch andere renommierte Künstler zu eher zweifelhaften Engagements.
Hans-Peter Feldmann hat nun vor kurzem (9.2.-12.6.2011) eine Installation im
Sprengel-Museum ausgestellt, in der sich ein mir völlig unbekannter
Theo Lingen zeigte. (
Interview mit Peter Feldmann bei monopol-magazin)
drei Dinge sind mir von meinem Besuch im Sprengel-Museum in Erinnerung geblieben:
- während sich
Heinz Rühmann 1938 von seiner jüdischen Frau
scheiden ließ, blieb er mit seiner jüdischen Frau Marianne Zoff, die er Bertolt Brecht ausgespannt hatte, verheiratet. (Thorsten Stegemann in der Virtuellen Kulturregion – »
Komiker aus Versehen«; Marius Hetzel,
Die Anfechtung der Rassenmischehe in den Jahren 1933-1939 bei googlebooks)
-Theo Lingen setzte sich während der Nazizeit nachweislich mehrfach für Verfolgte ein. (
digitalvd.de, Rezension von Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen: Theo Lingen. Das Spiel mit der Maske, Aufbau Verlag bei
nachkritik)
Wissenswertes:
- »Die Uraufführung der Physiker wurde zum „Theatererfolg der Saison“.[16] Unter der Regie von Kurt Horwitz spielten Hans Christian Blech, Gustav Knuth und Theo Lingen die drei Physiker sowie Therese Giehse die Mathilde von Zahnd.« (aus
wikipedia)
Schmankerl:
- ein Beschwerdebrief von Dr.
Anneliese Bretschneider, Gutachterin beim Kulturpolitischen Archiv des Amtes Rosenberg (offiziell »Amt Kunstpflege beim Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP), die fordert, »das weitere Aushängen dieser ins jüdische verzerrten Wiedergabe von« Plakaten mit dem »ausgesprochen rassefremd, vielleicht sogar jüdisch« aussehenden Theo Lingen zu verbieten. (Ernst Offermanns,
Die deutschen Juden und der Spielfilm der NS-Zeit bei googlebooks) – über Frau Bretschneider läßt sich auch einiges googeln
- über den Einstieg Theo Lingens in die Rolle des Mackie Messer 1929 in
Bertolt Brechts
Dreigroschenoper (Ulrich Liebe,
Verehrt, verfolgt, vergessen bei googlebooks) Nach dem großen Erfolg der Dreigroschenoper engagierte Brecht ihn für weitere Stücke, z.B. "Mann ist Mann" (1931) oder "Die Mutter" (1932).
Zitate:
»Es gibt immer ein Stückchen Welt, das man verbessern kann - sich selbst.«
»Ich bin nur ein stehen gebliebener Expressionist. Ich mache nur weiter, was ich Anfang der Zwanziger Jahre gelernt habe. Ich turne Ausdruck. Ich spiele weiter pathetisch. Da das alte Pathos perdu ist, wirkt das heute komisch. Die Leute lachen, weil ich so unzeitgemäß ausdrucksemsig bin.«
eine Anekdote:
Theo Lingen war ein Frühaufsteher und Liebhaber druckfrischer Zeitungen. Wenn in der Hotelhalle des Hamburger Vier Jahreszeiten gegen sieben Uhr die Morgenblätter angeliefert wurden, wartete er schon perfekt angezogen im grauen Anzug, weißen Hemd und Krawatte. Er ging hinter den gläsernen Zeitungsstand, nahm mit weißen Handschuhen „Die Welt“ und las. Als sparsamer Mensch faltete er sie anschließend korrekt wieder zusammen und steckte sie zurück. Bei diesem liebenswerten Dauergast wurde so eine Marotte gern übersehen.
Eines Morgens, Lingen hatte sich wie üblich in sein Lieblingsblatt vertieft, erschien ein anderer Gast und verlangte ein Exemplar der „Welt„. Lingen reichte dem Mann eine Zeitung, der sah ihn verblüfft an, Lingen kassierte das Geld, und der Gast ging kopfschüttelnd zum Frühstücken ins Restaurant Haerlin. Während Oberkellner Rudolf Botor ihm den Kaffee eingoss, sagte er: „Sagen Sie mal, Ihr Zeitungsverkäufer da draussen sieht aber verdammt nach Theo Lingen aus!“ Botor antwortete: „Das ist Theo Lingen.“ Der frühe Gast blickte mißbilligend auf Botor und sagte kein Wort mehr. Er fühlte sich augenscheinlich auf den Arm genommen. Dabei hätte dem Mann klar sein müssen, daß ein Hotel Lingens liebste Bühne war.
Unzählige Male hat er im Theater und in Filmen Kellner und Diener gespielt. Dem Vier Jahreszeiten blieb er mehr als zwanzig Jahre treu, wenn er zum Filmen nach Hamburg kam. Er spielte häufig Theater in Hamburg, er führte Regie, meist im Thalia Theater. (gefunden bei
studi.wordpress.com)
Von September 1975 bis kurz vor seinem Tod 1978 moderierte Theo Lingen die Sendung »Lachen Sie mit Stan und Ollie« im ZDF.