Benedikt hat in Frankreich vor den Götzen der heutigen Zeit gewarnt. Er rief nachdrücklich dazu auf, »die Götzen der heutigen Zeit zu durchschauen, ›die den Menschen von seinem wahren Ziel abhalten, von der Freude des ewigen Lebens mit Gott‹. Idole und ihre Anbetung hielten den Gläubigen von der Wirklichkeit fern, sagte Benedikt. Er sprach von der Versuchung, die Vergangenheit zu schönen und dabei ihre Mängel zu vergessen, oder auch von der fernen Zukunft zu schwärmen in der Annahme, ›dass der Mensch, allein durch seine Bemühungen, das Königreich der ewigen Freude auf Erden bauen kann‹.« (heute-Nachrichten vom 13.9.08)
Es ist schon so eine Sache mit dem Benedikt. Man hat ihm ja vorgeworfen, mehr ein Papst für den Kopf denn für das Herz zu sein. (Aus dem Jahr 2005 gibt’s zu diesem Konfliktfeld – wieder mal ein Feld, damit die Fernwirkung vermieden werden kann – einen sehr nachdenkens- oder herzenswerten Artikel des Berliner Tagesspiegels: Habermas papam.) Aber wenn er der erste Papst ist, den ich überhaupt des Sich-an-ihm-Reibens für wert erachte, finde ich, ist der Kopf – in diesem Fall sein Kopf – nicht der Schlechteste. Wenn ich jetzt mal über den Ausdruck »Freude des ewigen Lebens mit Gott« nicht nachdenke und einfach so tue, als ob das das wär’, was ich auch gut finde (ich werde das jetzt hier nicht weiter ausbreiten, da hat der olle Benedikt ja ein paar tausend Jahre Religionsphilosophie hinter sich, da kann und will ich nicht gegenhalten), dann kann ich dem, was er sagt nur aus vollem Herzen (und Kopf), zustimmen. Tote Meister, meinte mal Osho, sind praktisch, die können sich nicht wehren. Und daß Idole eher was sind, wo wir unsere Sehnsüchte drauf projizieren, dürfte nach ein wenig Anstrengung (im Kopf, da läßt uns leider das Herz im Stich) klar sein. Eins dieser Idole – und da wir ja grad die 68er und ihre gesellschaftliche Relevanz zelebrieren, kommt mir grad ein 68er Idol sehr recht – wird grad in der ZEIT entzaubert (wie die Worte wieder so passen!): Che! Und dabei ist es mir wichtig: nichts gegen das Herz. Und daß (also in den 60ern) damals auch Herz gefehlt hat, zeigt ein Artikel von Peter Roos bei ZEIT Online. Und jetzt die ketzerische Frage (wir haben ja mit Benedikt angefangen): Gibt’s lebensrettende Musik? Das Kaufverhalten fördernde Musik gibt’s, das hören wir in jedem Supermarkt. Und Paul McCartney, der das angeblich überhaupt nicht mag, ist inzwischen auch mit dabei (also bei der verkaufsfördernden Musik). Aber lebensrettend? Damals war anscheinend eine für viele Menschen existentielle Zeit, und das ist der Unterschied zu heute: heute gibt’s keine lebensrettende Musik mehr. Aber egal ob jetzt damals oder heute: die Leute brauchen Idole, um ihr Herz dran zu hängen. Anscheinend sind sie dann erst bei sich, wenn sie nicht mehr bei sich sind, bzw. kommen sie zu sich, wenn sie ihr Herz irgendwo drangehängt haben. Vielleicht kann ja dann der Kopf helfen, wieder zurück zu kommen. Wenn man bei sich ist…
Manche bleiben dann. Wahrscheinlich, weil’s da besser ist und weil sie das Hiersein dann besser aushalten können, wenn sie weg sind. Auch Christoph Schlingensief denkt über Gott nach und ob er ihn vielleicht schon längst verlassen hat (also Christoph Gott), und vielleicht war ja Gott einsam, daß er Christoph dafür mit Krebs bestraft hat (also ein alttestamentarisch eifersüchtig-strafender Gott). Dabei braucht man gar nichts tun (Wu Wei! waaaaaaau! aua!! [siehe das fünfte Stück auf der ersten Seite – damals hatten die Platten noch zwei Seiten – Todd-Rundgren-Platte von 1978] Oh!). Vielleicht kommt das mit dem Nicht-Tun irgendwann raus: das ist kein altchinesisches Prinzip, das hat Helmut Kohl erfunden und es wird – abgesehen von einzelnen Schröderschen Agenda-Störungen – seit den 80er Jahren in der deutschen Politik konsequent umgesetzt.
Also Leute, hängt Eure Herzen an Götzen und Idole, Ihr braucht das und macht es sowieso. Aber dann benutzt Euren Verstand und kommt wieder zurück.
»Er sprach von der Versuchung, die Vergangenheit zu schönen und dabei ihre Mängel zu vergessen, oder auch von der fernen Zukunft zu schwärmen in der Annahme, ›dass der Mensch, allein durch seine Bemühungen, das Königreich der ewigen Freude auf Erden bauen kann‹.«
Sie die Vergangenheit hätten wir hinter uns, dann zu unseren Bemühungen um die Zukunft: Von Saint-Exupéry gibt es den Herz-erquickenden Spruch:
Wenn Du ein Schiff bauen willst,
dann rufe nicht die Menschen zusammen,
um Holz zu sammeln,
Aufgaben zu verteilen
und die Arbeit einzuteilen,
sondern lehre sie die Sehnsucht
nach dem großen, weiten Meer.
Daß der arme Antoine sein Leben lang nicht von seiner Mama weggekommen ist, spielt in diesem Zusammenhang schon eine Rolle. Wer ist wohl die eifersüchtige Rose (im Kleinen Prinzen) auf seinem Heimatplaneten, die ihn mit ihrer Eitelkeit quält? (»Man darf den Blumen nicht zuhören, man muss sie anschauen und einatmen.«) Wenn Antoine meint: »Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar«, begibt er sich auf die Ebene unserer alltäglichen Sprachverwirrung. Und seinen Ratschlag für den Schiffbau finde ich erschreckend defizitär. Nach Wikipedia-Angaben hat Maos großer Sprung 20 bis 40 Millionen Menschenleben gefordert. Da lobe ich mir doch eine ordentliche Arbeitsanweisung!
Also Leute, seid begeistert, tut Euer Bestes, aber prüft Euer Herz und prüft Euren Kopf (da sind nur alte Gedanken drin) und prüft Eure Sicht der Dinge.
Und um nochmal ein bißchen Durcheinander reinzubringen (über Wittgenstein habe ich vor kurzem was geschrieben):
Jeder Weg ist nur ein Weg
und es ist kein Verstoß gegen sich selbst oder andere,
ihn aufzugeben, wenn dein Herz es dir befiehlt ...
Sieh dir jeden Weg scharf und genau an.
Versuche ihn so oft wie nötig.
Dann frage dich, nur dich allein: ... Ist es ein Weg mit Herz?
Wenn ja, dann ist es ein guter Weg;
wenn nicht, ist er nutzlos.
Carlos Castaneda (1925-1998)
(Juan Matus in »Die Lehren des Don Juan«)
Und noch ein Letztes: Der liebe Gott hat uns aus dem Paradies rausgeschmissen. (Und das hat sehr wohl einen Sinn gehabt.) Glaubt Ihr wirklich, er läßt uns ein Königreich der ewigen Freude bauen? Also Benedikt, weiter so!
Samstag, 13. September 2008
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