»Man kann das Aids-Problem nicht durch die Verteilung von Kondomen regeln« sagt Benedikt (jedenfalls von der ARD so zitiert). Hier ist nicht klar, was genau gemeint ist. Natürlich ist es eine außerordentlich nützliche Regel, bei Aids Kondome zu verwenden. Aber nur, wenn man die Absicht hat, trotz Aids sexuell aktiv zu werden. Vielleicht wäre es ja noch nützlicher, bei Aids enthaltsam zu sein. Aber was heißt das? Soll ich jetzt enthaltsam sein, wenn ich Aids habe oder soll ich enthaltsam sein, wenn die Möglichkeit besteht, daß ich Aids kriege?
Vielleicht hilft es ja dabei, weniger lange nachzudenken, wenn meine biologische Programmierung wieder am Arbeiten ist, wenn ich ein Kondom in der Tasche habe. Wenn ich als Mann also jemanden zum Flachlegen suche und in der andern Ecke des Raumes sitzt ein attraktiv erscheinender möglicher Sexualpartner, denke ich vielleicht zwanzig Minuten über einen möglichen Geschlechtsverkehr und dessen Konsequenzen nach, wenn ich kein Kondom in der Tasche habe und vielleicht fünf Minuten – oder auch überhaupt nicht –, wenn ich eins besitze. Könnte es das sein, was Benedikt gemeint hat?
»Ihre Benutzung verschlimmert vielmehr das Problem … die Lösung liegt vielmehr in einem spirituellen und menschlichen Erwachen.« Was? Wachwerden? Was soll das, ich lese doch die Nachrichten im Internet. Könnte ich ja nicht, wenn ich schlafen würde. Was will der Kerl? Soll ich vielleicht nachdenken? Bei der Finanzkrise hat das Nachdenken auch nicht geholfen. Wieso dann bei Aids? Dann doch lieber ein Kondom und ran an den Speck. Und dann auch noch spirituelles Erwachen. Als ob der liebe Gott helfen würde, wenn ich geil bin. Meine biologische Programmierung ist stärker als Gott. Meine biologische Programmierung verschafft mir einen Orgasmus. Den hat mir Gott noch nie besorgt. Der hat auch nix gegen die Finanzkrise getan und gegen die Judenverfolgung und die vielen Kündigungen jetzt überall. Und dann soll ich auch noch auf das Schönste im Leben verzichten. Die spinnen die Päpste. Die Ackermänner sind zwar Arschlöcher, aber sie spinnen nicht. Aber der spinnt ganz eindeutig. Statt zu bumsen soll ich spirituell erwachen. Was für ein Quatsch. Lieber eine heiße Nummer und ein toller Orgasmus als dieses Warmduscher-Enthaltsam-Sein und spirituell Erwachen. Das Leben ist kurz und »we don’t just want a bread, wo want the whole bakery, and that now!« (Jim Morrison)
Also, nicht lange nachdenken Leute, Kondome gibt’s genug, tun ja auch was für die Konjunktur, und die Wissenschaft wird schon noch bald was finden, damit wir auch ohne Kondome nicht nachdenken und »spirituell aufwachen« müssen. So’n Scheiß. Schweigen wir ihn doch einfach tot. Das mit Aids muß irgendwie geregelt werden, weil, das mit der biologischen Programmierung läßt sich ja nicht regeln. Und warum auch, macht doch’n Riesen-Spaß! Die einen hamm’ halt Pech und die anderen Glück – und hoffentlich Kondome. So ist das Leben! Kann man nix tun, iss so! Gib mal’n Bier rüber, wie hat eigentlich Hannover gespielt? Ist dieser DingsDa, weiß schon, ist der noch verletzt?
Wenn man will, mag man in folgendem Text des bestimmt nicht moralinsauren Micha Hilgers Parallelen finden:
»Zahlreiche Paare haben die stillschweigende Übereinkunft, es nicht so genau wissen zu wollen, ob der andere hier und da untreu wird. Damit gewähren sich die Partner zwar einen gewissen Freiraum, verhindern jedoch die intensive Auseinandersetzung über das, was sie bewegt, zumindest in manchen Bereichen. Das Paar läuft dann Gefahr, aus Konfliktscheu nach und nach immer weitere Bereiche des Dialogs seiner Beziehung preiszugeben. Sexuelle Attraktion über lange Zeiträume lebt jedoch gerade von den immer neuen Konflikten und Differenzen des Paars: Wo man sich als unterschiedlich erlebt, wachsen Neugier und sexuelle Spannung.
Das oft große Aufsehen einer eventuell kurzfristigen Affäre steht in merkwürdigem Gegensatz zu einer etablierten und in ihrem gewaltigen Ausmaß weitgehend tabuisierten Form: der alltäglichste, traurig-banale Seitensprung ist der Gang zur Prostituierten. Täglich nehmen in Deutschland rund 1,2 Millionen sogenannte Freier ihre Dienste in Anspruch. Die häufigste Variante der Nebenbeziehung findet im Puff statt, augenzwinkernd und verbunden mit sexistischen Herabsetzungen der rund 400.000 beteiligten Prostituierten. Mit bigotter Selbstverständlichkeit endet der Lärm um Treue und Einzigartigkeit der Liebesbeziehung für einen beträchtlichen Prozentsatz der Partnerschaften beim regelmäßigen Bordellbesuch der männlichen Partner.
Gelingt es dem Paar, über lange Zeiträume sexuelles Begehren aufrechtzuerhalten, bleibt dieses Verlangen nicht nur auf den Partner beschränkt. Sexuelle Vitalität kennt keine Ausschließlichkeit. Damit gerät jede verbindliche Partnerschaft in ein grundsätzliches Dilemma: Gegenseitiges Begehren setzt sexuelles Interesse beider Partner voraus, das sich jedoch wenigstens in der Phantasie immer auch auf potentielle Andere richtet. Der bewußte Verzicht, dieser Neigung nachzugehen, unterscheidet sich vom bloßen Befolgen moralischer Gebote. Denn das Begehren eines anderen wird zwar anerkannt und akzeptiert, jedoch nicht ausgelebt, um die bestehende Partnerschaft zu schützen.
Diese Verzichtsleistung geht immer mit Trauer über das Versäumte und Verpaßte einher, eventuell auch mit einer Portion Ärger auf den Partner, der eben jene begehrten Eigenschaften des attraktiven anderen nicht oder mit zunehmendem Alter nicht mehr besitzt. Der bewußte, nicht moralingesteuerte Verzicht kann, wenn das Verlangen immer wieder neu in den verbalen und sexuellen Dialog des Paars eingebracht wird, die Beziehung dauerhaft lebendig halten. Demgegenüber führt das Erlahmen sexuellen Interesses rasch zum Stillstand der Beziehung. Verbindliche sexuelle Intimität setzt daher bewußte Opfer voraus, die am Ende dauerhaftes gegenseitiges Verlangen am Leben halten.
Doch das Unbehagen, von dem Sigmund Freud angesichts kultureller Errungenschaften und Verzichtsleistungen sprach, bleibt.«
Das oft große Aufsehen einer eventuell kurzfristigen Affäre steht in merkwürdigem Gegensatz zu einer etablierten und in ihrem gewaltigen Ausmaß weitgehend tabuisierten Form: der alltäglichste, traurig-banale Seitensprung ist der Gang zur Prostituierten. Täglich nehmen in Deutschland rund 1,2 Millionen sogenannte Freier ihre Dienste in Anspruch. Die häufigste Variante der Nebenbeziehung findet im Puff statt, augenzwinkernd und verbunden mit sexistischen Herabsetzungen der rund 400.000 beteiligten Prostituierten. Mit bigotter Selbstverständlichkeit endet der Lärm um Treue und Einzigartigkeit der Liebesbeziehung für einen beträchtlichen Prozentsatz der Partnerschaften beim regelmäßigen Bordellbesuch der männlichen Partner.
Gelingt es dem Paar, über lange Zeiträume sexuelles Begehren aufrechtzuerhalten, bleibt dieses Verlangen nicht nur auf den Partner beschränkt. Sexuelle Vitalität kennt keine Ausschließlichkeit. Damit gerät jede verbindliche Partnerschaft in ein grundsätzliches Dilemma: Gegenseitiges Begehren setzt sexuelles Interesse beider Partner voraus, das sich jedoch wenigstens in der Phantasie immer auch auf potentielle Andere richtet. Der bewußte Verzicht, dieser Neigung nachzugehen, unterscheidet sich vom bloßen Befolgen moralischer Gebote. Denn das Begehren eines anderen wird zwar anerkannt und akzeptiert, jedoch nicht ausgelebt, um die bestehende Partnerschaft zu schützen.
Diese Verzichtsleistung geht immer mit Trauer über das Versäumte und Verpaßte einher, eventuell auch mit einer Portion Ärger auf den Partner, der eben jene begehrten Eigenschaften des attraktiven anderen nicht oder mit zunehmendem Alter nicht mehr besitzt. Der bewußte, nicht moralingesteuerte Verzicht kann, wenn das Verlangen immer wieder neu in den verbalen und sexuellen Dialog des Paars eingebracht wird, die Beziehung dauerhaft lebendig halten. Demgegenüber führt das Erlahmen sexuellen Interesses rasch zum Stillstand der Beziehung. Verbindliche sexuelle Intimität setzt daher bewußte Opfer voraus, die am Ende dauerhaftes gegenseitiges Verlangen am Leben halten.
Doch das Unbehagen, von dem Sigmund Freud angesichts kultureller Errungenschaften und Verzichtsleistungen sprach, bleibt.«
aus Micha Hilgers, Leidenschaft, Lust und Liebe