Unter den Studenten, die ich im Gefängnis unterrichte, sind die mit den längsten Haftstrafen fast ausnahmslos diejenigen, die auf einen Prozess bestanden haben. Bekäme jeder wegen einer Straftat Angeklagte einen solchen, würde das Gerichtssystem kollabieren. Staatsanwälte, Verteidiger und Richter benutzen diejenigen, die auf einen Prozess vor Gericht bestehen – oft Menschen, die das ihnen zur Last gelegte Verbrechen nicht begangen haben – um an ihnen ein Exempel zu statuieren. Ihre Urteile, häufig lebenslange Haftstrafen, sind schreckliche Erinnerungen daran, dass es im besten Interesse eines Angeklagten ist, selbst wenn er oder sie unschuldig ist, eine Urteilsabsprache zu treffen. Vierundneunzig Prozent der Verurteilungen wegen Straftaten auf Staatsebene und 97 Prozent der Verurteilungen auf Bundesebene sind das Ergebnis von Schuldbekenntnissen. Und Studien von Gruppen wie Human Rights Watch bekräftigen die Tendenz von Geschworenenprozessen zu hohen Strafen: Diejenigen, die auf einen Prozess bestehen, bekommen im Schnitt 11 zusätzliche Jahre an ihre Haftstrafe angeheftet. Die Reichen erhalten teure Anwälte und ausgedehnte Gerichtsverfahren. Die Armen werden direkt ins Gefängnis verfrachtet.
Der Verfall der moralischen Autorität des Rechtssystems hat ominöse Folgen, während wir uns immer mehr dem Despotismus nähern. Er ist einer der wesentlichen Vorläufer der Tyrannei, wie die Politologin Hannah Arendt in ihrem Buch On Violence betont. Arendt schrieb: “Macht und Gewalt sind Gegensätze: Wo die eine absolut herrscht, ist die andere abwesend.” Wenn Institutionen wie das Justizsystem zusammenbrechen und ihre Legitimität einbüßen, zerfällt auch ihre moralische Autorität. Um das Vakuum zu füllen, wenden sich diese Institutionen ausschließlich der Gewalt zu. “Gewalt”, schrieb Arendt, “erscheint dort, wo die Macht in Gefahr ist.” Gewalt ist nicht mehr Ausdruck von Macht. Vielmehr sind Gewalt und Zwang, die jeden Anschein von Gerechtigkeit abstreifen, das einzige Mittel der sozialen Kontrolle. Vertrauen und Respekt vor der Rechtsstaatlichkeit werden durch Angst ersetzt. Und Arendt warnte: “Gewalt kann Macht zerstören; aber sie ist gänzlich unfähig, sie zu erschaffen. “Die Korruption des Gerichtssystems, die vorläufig nur die Armen trifft, frisst sich wie Wundbrand aufwärts durch den Körper der Justiz. Gewalt ist schlussendlich das einzige Instrument, das einem diskreditierten Konzern-Staat (corporate state) und seiner bankrotten Ideologie des entfesselten Kapitalismus übrig bleibt. Was den Armen angetan wird, wird bald mit uns allen geschehen.
mehr:
- Die Legalisierung der Tyrannei (Chris Hedges, in Deutsche übertragen von David Elwing, NachDenkSeiten, 12.03.2018 – Hervorhebungen von mir)
LIVE CHAT: Chris Hedges on Trump’s America {49:48}
acttv
Live übertragen am 15.02.2019
Live übertragen am 15.02.2019
Pulitzer Prize –winning reporter Chris Hedges sits down with us to talk about his new book, America: The Farewell Tour. In it he goes deep into how the opioid crisis; the retreat into gambling to cope with economic distress; the pornification of culture; the rise of magical thinking; the celebration of sadism, hate, and plagues of suicides are the physical manifestations of a society that is being ravaged by corporate pillage and a failed democracy. Where do we, as a people and a planet, go next? [Amazon-Link von mir]
Chris Hedges: Mythos der freien Presse [deutsche Untertitel] {9:48}
UTOPjA
Am 02.05.2015 veröffentlicht
Am 02.05.2015 veröffentlicht
Der Journalist Chris Hedges erklärt, was er unter "Mythos der freien Presse" versteht.
Kolumnen von Chris Hedges bei Truthdig:
http://www.truthdig.com/staff/chris_h...
Original: https://www.youtube.com/watch?v=tfawE...
Kolumnen von Chris Hedges bei Truthdig:
http://www.truthdig.com/staff/chris_h...
Original: https://www.youtube.com/watch?v=tfawE...
Chris Hedges: Der Staatsstreich der Konzerne - Kontext TV {11:53}
KontextTV
Am 21.02.2013 veröffentlicht
Am 21.02.2013 veröffentlicht
Vollständige Sendung: http://www.kontext-tv.de/node/323
Mit Chris Hedges, Journalist, Pulitzer-Preisträger, leitender Wissenschaftler am The Nation Institute in New York, bis 2003 Korrespondent und Büroleiter für den Mittleren Osten der New York Times, Buchautor (zuletzt "Days of Destruction, Days of Revolt")
Chris Hedges spricht von "geopferte Zonen" in den USA, die einer schrankenlosen ökonomischen und ökologischen Ausbeutung unterworfen werden: ehemalige Industriestädte wie Camden in New Jersey, das heute zu den ärmsten und gewalttätigsten Städten des Landes gehört, oder die Kohleminen von West Virginia, wo Landschaft und Gemeinden gleichermaßen verwüstet werden. Die liberalen Institutionen, darunter die Demokratische Partei seit Clinton, hätten die Interessen der Bevölkerung verraten und an Unternehmensinteressen verkauft. Weitere Revolten wie die Occupy-Bewegung seien zu erwarten.
Zugleich seien die USA von einer Kultur der Gewalt geprägt. Das Gefängnissystem der USA mit 2,2 Millionen Inhaftierten - die meisten davon Afroamerikaner - sei seit der Clinton Ära massiv ausgebaut worden und diene dazu, die potentiell rebellische Klasse der Afroamerikaner zu brechen. Die Native Americans seien heute noch immer marginalisiert, mit Lebenserwartungen von zum Teil nur 48 Jahren.
Die Beschneidung der Bürgerrechte unter Präsident Obama sei noch extremer als unter George W. Bush, so Hedges. Mit der Ausweitung der Drohnenangriffe und den "Kill Lists" des Präsidenten könnten nun auch US-Bürger ohne Gerichtsverfahren getötet werden. Das Spionagegesetz werde benutzt, um unbequeme Whistleblower, die auf Missstände aufmerksam machen, aus dem Verkehr zu ziehen, wie zuletzt den ehemaligen CIA-Mitarbeiter Kiriakou, der zu 30 Monaten Haft vereurteilt wurde, weil er Kriegsverbrechen offenlegte. Unter dem "National Defense Authorization Act" können Bürger ohne Gerichtsverfahren unbefristet gefangen gehalten werden. Nicht zuletzt weil dieses Gesetz auch Journalisten betrifft, hat Hedges die Obama-Regierung verklagt - und in erster Instanz Recht bekommen.
Mit Chris Hedges, Journalist, Pulitzer-Preisträger, leitender Wissenschaftler am The Nation Institute in New York, bis 2003 Korrespondent und Büroleiter für den Mittleren Osten der New York Times, Buchautor (zuletzt "Days of Destruction, Days of Revolt")
Chris Hedges spricht von "geopferte Zonen" in den USA, die einer schrankenlosen ökonomischen und ökologischen Ausbeutung unterworfen werden: ehemalige Industriestädte wie Camden in New Jersey, das heute zu den ärmsten und gewalttätigsten Städten des Landes gehört, oder die Kohleminen von West Virginia, wo Landschaft und Gemeinden gleichermaßen verwüstet werden. Die liberalen Institutionen, darunter die Demokratische Partei seit Clinton, hätten die Interessen der Bevölkerung verraten und an Unternehmensinteressen verkauft. Weitere Revolten wie die Occupy-Bewegung seien zu erwarten.
Zugleich seien die USA von einer Kultur der Gewalt geprägt. Das Gefängnissystem der USA mit 2,2 Millionen Inhaftierten - die meisten davon Afroamerikaner - sei seit der Clinton Ära massiv ausgebaut worden und diene dazu, die potentiell rebellische Klasse der Afroamerikaner zu brechen. Die Native Americans seien heute noch immer marginalisiert, mit Lebenserwartungen von zum Teil nur 48 Jahren.
Die Beschneidung der Bürgerrechte unter Präsident Obama sei noch extremer als unter George W. Bush, so Hedges. Mit der Ausweitung der Drohnenangriffe und den "Kill Lists" des Präsidenten könnten nun auch US-Bürger ohne Gerichtsverfahren getötet werden. Das Spionagegesetz werde benutzt, um unbequeme Whistleblower, die auf Missstände aufmerksam machen, aus dem Verkehr zu ziehen, wie zuletzt den ehemaligen CIA-Mitarbeiter Kiriakou, der zu 30 Monaten Haft vereurteilt wurde, weil er Kriegsverbrechen offenlegte. Unter dem "National Defense Authorization Act" können Bürger ohne Gerichtsverfahren unbefristet gefangen gehalten werden. Nicht zuletzt weil dieses Gesetz auch Journalisten betrifft, hat Hedges die Obama-Regierung verklagt - und in erster Instanz Recht bekommen.
siehe auch:
- Stéphane Hessel ist tot (Post, 27.02.2013)
- Wir geben ihnen Macht 1 (Post, 14.03.2013)
- Sighard Neckel: Die Refeudalisierung der Wirtschaftsgesellschaft (Post, 04.03.2013)
- Water Makes Money - Wie private Konzerne aus Wasser Geld machen (Post, 16.02.2013)
- Wenn Lobbyisten das halbe Gesetz schreiben (Post, 13.02.2013)