Montag, 18. Mai 2009

Wo sind wir?

Was ist mit unserer Demokratie los? Da blogt jemand eine Satire-Seite:

Dann fühlt sich das Innenministerium auf den Schlips getreten (sollte man eigentlich aushalten können). Und dann löscht der Provider die Seite. Wie kommt’s? (Link zu ZEIT-Online)
Nun, das Bundesverwaltungsamt (BVA), zuständig für den Internet-Auftritt des Bundesinnenministeriums, hat sich schriftlich mit der Bitte an den Provider gewandt, die Satireseite umgehend zu sperren, da diese die Originalseite des Ministeriums »nachahme«.
Der Provider hat sein Vorgehen gerechtfertigt. Kann man ja auch gut nachvollziehen.
ZEIT-Online:
Der Gehorsam des Providers erspart dem BVA eine Überprüfung der rechtlichen Grundlage sogar. Zwar ist es verboten, Hoheitszeichen des Bundes zu missbrauchen, doch handelt es sich eher um eine bußgeldpflichtige Ordnungswidrigkeit. Außerdem steht und fällt der Vorwurf der »Nachahmung« mit der Tatsache, ob es sich bei der Seite um offensichtliche Satire handelt oder nicht. Ob die Satire wirklich zu subtil war, um von Jedermann als solche erkannt zu werden, dürfte im Auge des Betrachters liegen. Und im Zweifel hätte ein Gericht dies zu prüfen.
Der Fall zeigt, welchen Einfluss der Staat schon jetzt auf Provider hat. Rechtlich ist weder dem Provider noch dem BVA ein Vorwurf zu machen, auch wenn die Grundlage, auf die sich das Schreiben stützt, dünn ist. Allerdings dürfte das Prozedere all jenen als Bestätigung dienen, die befürchten, Sperrlisten für Kinderpornografie-Seiten seien nur der Wegbereiter für eine Zensur unliebsamer Inhalte.
[…]
Blogger Förster hat seine Seite inzwischen überarbeitet, und sie steht auch wieder im Netz. Allerdings bleibe ein übler Nachgeschmack, wie er schreibt:
Ihm sei es unverständlich, wieso »es Sperrlisten und neue Gesetze braucht, um unbestreitbar schwerstkriminelle Inhalte unzugänglich zu machen, wenn es ein paar Minuten dauert, harmlose Satireseiten mit wenigen Klicks am Tag vom Netz zu nehmen«. (ZEIT-Online)

Wo sind wir also? In einem Land, in welchem es möglich ist, innerhalb kürzester Zeit harmlose Satireseiten abzuschalten und Leuten wegen ein paar Cent zu kündigen (Lidl) und in dem es auf der anderen Seite anscheinend gewaltigen Aufwand braucht, schwerkriminelle Internet-Inhalte zu blockieren und sich die Heuschrecken eine goldene Nase verdienen.

Jetzt fragen wir uns: Wer ist schuld? (Bei uns ist ja immer jemand schuld. Das muß auch so sein, weil man sich sonst letztendlich selbst an die eigene Nase fassen müßte.) Leute sind schuld, die sowas aushalten und mitmachen: Uns geht’s gold (bei ZEIT-Online). Und bei uns in Hannover wollen unsere Politiker einen neuen Landtag bauen, der 45 Millionen Euro kosten soll. Er wird zwar nur ein halbes Dutzend Mal im Monat genutzt, aber wenn man der HypoRealEstate hunderte von Milliarden reinschüttet, kommt’s da auch nicht mehr drauf an. Die sind auch schuld. Und Obama ist auch schuld. Will Guantanamo zumachen und kriegt vom Kongreß kein Geld nicht für. Selbst schuld. Und Arnie Terminator, der ist auch schuld. Will das kalifornische Haushaltsloch stopfen, und die Leute sind dagegen. So geht’s nicht. Bessere Überzeugungsarbeit! 35 Millionen für die Kampagne, bei weitem zu wenig. Arnie, du bist auch schuld.

Ich warte auf die Fragen nach den niedrigen Wahlbeteiligungen. Genügend Wahlen haben wir dieses Jahr ja.

Sie leben vom Lösegeld der Piraten

In Somalia bringt die Seeräuberei einen beispiellosen Aufschwung und die einzige Chance auf einen guten Job

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Von Marc Engelhardt



Schneller Reichtum im Armenhaus: Für junge Somalis bleibt nur die Laufbahn als Pirat.











In der Einfahrt stehen Geländewagen, auf Hochglanz poliert. Wo früher nur windschiefe, strohbedeckte Fischerhütten die Küste säumten, blitzen heute weiß getünchte Villen in der gleißenden Sonne. An der staubigen Küste im Norden Somalias spielen die Kosten keine Rolle mehr: Neureiche Piraten wie Hassan Abdi haben Geld en masse. »Ich habe in wenigen Jahren Hunderttausende Dollar verdient», sagt der Mann. Abdi – dessen Name hier geändert ist – stammt aus Eyl. Das ist eines der berüchtigtsten Piratennester in Puntland, der Region rund ums Horn von Afrika.

In Puntland ist die Piraterie zum mit Abstand wichtigsten Wirtschaftssektor avanciert. Dreißig Millionen Dollar Lösegeld sollen Piraten hier im vergangenen Jahr gemacht haben. Der puntländische Haushalt beträgt etwa zwanzig Millionen.

In Eyl hat sich rund um das Kerngeschäft eine rege Dienstleistungsindustrie entwickelt. Sobald die Seeräuber – das sind selten mehr als zehn Mann – ein neues Schiff gekapert haben, läuft in der Gegend eine wohl geölte Maschinerie an, berichtet ein somalischer Journalist, der nur Abdullahi genannt werden möchte. »Männer ziehen Anzüge und schicke Schuhe an, werfen Laptops in ihre Landcruiser und fahren zum Hafen, um auf die ankommende Besatzung zu warten«, erzählt der Journalist. Die einen erklären sich flugs zu Verhandlungsführern, andere zu Finanzverwaltern. Im Dorf warten Köche darauf, das lukrative Catering für die Geisein zu übernehmen. »Wer schießen kann, übernimmt Wache: gut fünfzig auf dem Schiff, noch mal fünfzig davor.« Jede helfende Hand wird entlohnt, sobald das Lösegeld fließt. Nicht jeder wird reich dabei: Von den Millionensummen, die bezahlt werden, bekommen manche Helfer gerade mal einen Zwanzig-Dollar-Schein ab.

Ein Teil des Lösegelds, erklärt Abdullahi, geht für Schmiergelder drauf: »Da tauchen immer wieder Führer irgendwelcher Gruppen auf, und wenn der Piratenboss glaubt, dass sie eine Gefahr darstellen, bekommen sie etwas ab.« Islamistische Gruppen sind ebenso darunter wie Clanmilizen oder sogenannte Polizisten, die vom Staat schon lange nicht mehr bezahlt werden. »In Somalia wird ständig gekämpft. Wer heute ein Dorf kontrolliert, kann morgen schon wieder verjagt worden sein«, erklärt Abdullahi.

Puntlands Regierung unter Abdirahman Mohamud Farole hat bislang keinen Versuch gemacht, gegen die Piraten vorzugehen. »Die puntländische Regierung profitiert von der Piraterie, direkt und indirekt«, weiß ein Journalist, der für den puntländischen Sender Radio Garowe arbeitet. Auch er will seinen Namen nicht nennen. »Die Piraten zahlen eine Art Steuer an die Behörden, damit sie gar nicht erst versuchen, lästig zu werden«, sagt er. Dass Farole derzeit versucht, westlichen Gebern eine Sondereinheit zur Bekämpfung der Piraterie schmackhaft zu machen, sei eine Farce, sagt denn auch Andrew Mwangura, der ein Seefahrer-Hilfsprogramm in der kenianischen Hafenstadt Mombasa betreibt. »Die sagen: Gebt uns Geld. Und das verschwindet dann irgendwo. Aber wirklich etwas gegen die Piraten unternommen wird damit nicht.« Die 15 Millionen Euro, die Farole fordert, sollten besser zur Wiederherstellung der staatlichen Ordnung in Somalia eingesetzt werden, meint Mwangura.

Selbst wenn der Regierungschef es ernst meinen sollte: In der Bevölkerung hätte sein Plan nur wenig Rückhalt. Denn Männer wie Abdi kurbeln die Wirtschaft an. Sie geben Schnellboote in Auftrag, die von örtlichen Handwerkern aus Fiberglas hergestellt werden. Anstelle von Außenbordern bauen sie Lkw-Motoren ein, die eine Schiffsschraube antreiben. So kommen die Boote richtig auf Touren. Die Piraten kaufen Lebensmittel für die Geiseln und importieren Waffen und Khat, das Rauschkraut, das die Söldner bei der Stange hält. Und sie beschäftigen Hunderte Jugendlicher, die sonst keinen Job hätten.

Einen Teil seiner Lösegelder investiert Abdi in Häuser, Restaurants, Kneipen, Bordelle. Für all jene, die von diesem Aufschwung profitieren, ist Abdi ein Held, einer der dafür gesorgt hat, dass in einer von 18 Jahren Bürgerkrieg und Regierungslosigkeit gezeichneten Region eine Boomtown neben der anderen entsteht. Junge Bewerber stehen Schlange: Für junge Somalis, die nie einen funktionierenden Staat erlebt haben, ist das Piratentum derzeit der einzige Karriereweg. ■

Der Autor ist Journalist und lebt in Nairobi.

»Wir sind Helden«

Alles begann, als ich die Highschool abgeschlossen hatte, auf die Universität wollte und dafür kein Geld da war. Also wurde ich wie mein Vater Fischer in Eyl im Puntland, im Norden Somalias, auch wenn ich davon träumte, für ein richtiges Unternehmen zu arbeiten. Doch dazu kam es nie, weil 1991 die somalische Regierung zerschlagen wurde und das Land zerfiel. Als Fischer auf See wurden wir oft von fremden Booten und Trawlern angegriffen. Wir mussten fliehen, um unser Leben zu retten. So fing auch ich an, Schiffe zu entführen. Ich weiß, man hält uns für Piraten, die sich illegal Geld beschaffen. Wir aber betrachten uns als Helden, die der Armut entkommen. Mit den Entführungen begehen wir in unseren Augen kein Verbrechen, sondern fordern nur ein Wegegeld, da wir seit Jahrzehnten keine Regierung mehr haben, die unser Seegebiet kontrollieren könnte. Wir werden so lange weitermachen, bis es wieder somalische Autoritäten gibt, die unsere Hoheitsgewässer schützen und kontrollieren.

Asad Booyah Abdulahi, 42, Piraten-Anführer vor der Küste Somalias
(aus: »Der Freitag«, 23. April 2009)


aus Publik-Forum 9•2009

Wir lagen vor Madagasakar

Piraten: Symptom des Kapitalismus und romantischer Mythos
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Von Gerhard Armanski


Fast täglich werden Handelsschiffe von Piraten angegriffen. Am Horn von Afrika spitzt sich die Lage zu. 79 Schiffe wurden schon im ersten Quartal dieses Jahres vor Somalias Küste überfallen. Auch im Indischen Ozean häufen sich Überfälle auf Frachtschiffe, Tanker und sogar Yachten.

Piraterie ist von jeher eine gewaltsame Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums, der auf den Meeren transportiert wird. Sie nährt sich von den großen Seehandelsrouten, den Lebensadern des Kapitalismus. Das war schon bei den Piraten in der Karibik so. Zu ihrer Zeit wurden die Gold- und Perlenschätze, die den Kolonien in Südamerika abgepresst worden waren, nach Europa verschifft. Damals feierten die wilden Kerle des Kapitalismus in der Karibik Urständ. Mit zunehmendem Warenhandel blühte die Piraterie erst richtig auf. Die Zeit zwischen 1650 und 1730 galt den Piraten als goldene. Davon leben heute noch romantische oder ironische Verfilmungen, etwa mit Errol Flynn oder Johnny Depp.

Das weltbeste Piratenmuseum auf den Bahamas gibt Auskunft, wie es wirklich war. »Vaterlandslose Gesellen« schlossen mit den legendären Anführern damals regelrechte Verträge. Darin waren der Beuteanteil je nach Rang und die Entschädigung für Verwundungen genau festgelegt. Die zusammengewürfelten Mannschaften hatten kein langes Leben zu erwarten, Ärzte waren selten und sehr begehrt. Im Gegensatz zur Mär vergriffen sich die Piraten an Bord nie an »erbeuteten« Frauen; das hätte deren Wert als geldträchtige Geisel gemindert. Das Entermesser oder der Haken bildeten ihre bevorzugte Waffe. Häufig fuhr man unter falscher Fahne und ließ erst im letzten Augenblick die der Piraten steigen. Der heute bei Kinderfesten so beliebte Totenkopf war eher die Ausnahme; man bevorzugte fantasievolle Eigenprodukte um Tod und Gewalt, gekreuzte blutrote Messer oder einen Galgen, unter dem ein Schatzsack baumelte.

Mythische Träume: Ken Duken als Störtebeker



Im Zeichen des aufkommenden Merkantilismus aber wollten Engländer, Franzosen und Spanier keine ungesetzlichen Übergriffe auf ihre »ordentlich« erworbenen mobilen Reichtümer mehr dulden. Sie patrouillierten in der Karibik und griffen allmählich alle Piraten auf. In wenigen Jahren waren die Seewege »gesäubert«, die Piraten endeten am Galgen oder schlugen sich mit anderen Arbeiten durch. Ihre Geschichte ist damit aber nicht zu Ende. Die Piraten wurden zu mythischen Träumen. Die historische Wirklichkeit, die meist weit weniger edel war als ihre filmischen Abziehbilder, verwandelte sich zur »großen Erzählung«. Auf Kreuzfahrtschiffen singen Passagiere zum Abschied »Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord …« Das Genre spielt den wilden Mythos der Freiheit vor, wie sie der industriellen Gesellschaft verloren gegangen ist. Es mystifiziert ein soziales Außenseitertum, das Unabhängigkeit, Aggression und Sehnsucht nach grenzenloser Weite verbindet. Die andere Seite des Portlebens der Piraterie ist höchst real. Wie die Mafia wird sie zum Subsystem des Kapitalismus. Da haben wir nicht nur die aktuellen Überfälle auf Seetransporter, sondern auch die Produkt-, Internet- oder Wissenschaftspiraterie. Mit solchen Übergriffen kann das System leben, solange sie nicht überhandnehmen. Aber irgendwann hört der Spaß auf, und die »internationale Gemeinschaft« schickt sich an, in den verunsicherten Gewässern wieder Ordnung zu schaffen. ■

Gerhard Armanski, Historiker und Schriftsteller, ist häufig selbst auf den Weltmeeren unterwegs.
aus Publik-Forum, Nr. 9 • 2009