Iranische Mullahs haben in der Regel lange Bärte, wirken ungeheuer ernst, geben nichts Persönliches preis, sind im Rentenalter und zumeist bereit, alle Machtsäulen der Islamischen Republik Iran dogmatisch zu verteidigen, wenn nötig auch mit Gewalt.
Mohammed Ali Abtahi gehört nicht zu diesen Mullahs. Der Geistliche ist 51 Jahre alt, hat nur einen kurzen Bart, lacht gerne, spricht offen darüber, dass er mit wechselnden Diäten gegen sein Übergewicht kämpft und führt ein Institut für Interreligiösen Dialog. Mohammed Ali Abtahi war Präsident des iranischen Rundfunks und unter der Regierung des Reformers Mohammed Khatami Erster Vizepräsident des Irans, zunächst als Stellvertreter des Präsidenten, dann als Vizepräsident für parlamentarische Angelegenheiten.
Doch inzwischen ist er auf andere Weise berühmt geworden: Mohammed Ali Abtahi ist der bloggende Mullah. Seit mehr als fünf Jahren schreibt er täglich einen Blog. Sein Internettagebuch ist den Mächtigen in Teheran und der geistlichen Metropole Ghom zunehmend unheimlich. Kurz nach Beginn der Demonstrationen gegen die Unregelmäßigkeiten hei der Präsidentenwahl wurde der bloggende Mullah verhaftet.
Unbeliebt war Mohammed Ah Abtahi bei den Mächtigen im Lande schon vor der großen Rebellion. Jeden Tag ärgerte er sie mit Indiskretionen über Empfänge, über geheime Verbindungen und Absprachen, mit Insidergeschichten aus den Korridoren der Macht. Der bloggende Mullah ist gut vernetzt und hat seine Fühler überall. Seine Internetseite webneveshteha.com wurde immer beliebter, zumal der Mullah auch unkonventionelle Lebensberatung für jüngere Leute erteilte. Lange Zeit blieb er erstaunlich unbehelligt. Inzwischen ist sein Blog gesperrt. An einem grauen Morgen wurde er von Polizisten abgeholt.
Abtahi ist Mitglied der iranischen Partei Verband der kämpfenden Geistlichkeit und versteht sich als Bürgerrechtler. Bei den iranischen Präsidentschaftswahlen hatte Abtahi nicht den führenden Oppositionsführer Mir Hossein Mussawi, sondern dessen reformerischen Konkurrenten Mehdi Karroubi unterstützt. Inzwischen unterstützt er die Proteste für die Überprüfung der Wahlergebnisse. Für Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad gehört der bloggende Mullah zu den »Drahtziehern« der Unruhen.
Letzteres verwundert nicht, denn der bloggende Mullah hat vor allem theologisch gänzlich andere Auffassungen als der Staatspräsident, der einer radikalen islamischen Sekte angehört, und viele der anderen Mullahs um Ali Khamenei, den Religionsführer des Irans. Mohammed Ali Abtahi bringt den Gegensatz schnell auf den Punkt: »Wer erzwingen will, dass alle religiös werden, erzeugt nur Hass«, sagte er vor wenigen Wochen, noch vor den Unruhen. »Und wer Freiheit sabotiert, macht die Religion kaputt.« Das ist ein geistiger Generalangriff auf Theologen, die die Menschen in das Korsett ihrer engen Auffassungen von einer islamischen Republik zwingen wollen. ■ Michael Damm