Ich wurde also Nazi per Akklamation, wenn auch nicht unter Beifall; aber ich war ja auch kein römischer Feldherr auf dem Weg zum Imperator. Mich focht das, von einer sehr kurzen Phase des Erstaunens abgesehen, nicht weiter an. Mein Leben lang hatte ich mich stets eher auf der linken Seite des politischen Spektrums verortet, es war demnach im inzwischen fortgeschritteneren Alter durchaus angebracht, das Gehirn mal etwas auf Vordermann zu bringen. Dafür an dieser Stelle ein herzliches „Danke, Merkel!“
Das Nazi-Thema war also – so dachte ich – längst durch, zudem ja inzwischen heute jeder Nazi ist, der einen zusammenhängenden Satz formulieren kann und in diesem dann auch noch etwas Unbotmäßiges äußert; dennoch kam ich in der ablaufenden Woche ein wenig ins Grübeln. Die Älteren unter Ihnen werden sich erinnern – am vergangenen Sonntag ließ ich an dieser Stelle Erinnerungen an den Busenregisseur Russ Meyer freien Lauf. Und erwähnte den in einem Film auftretenden Tankwart und Garagisten Martin Bormann. Ein freundlicher, verständnisvoller älterer Mann mit einem etwas anrüchigen Namen. Aber sonst?
Ich dachte nach. Wann hatte ich den Film zum ersten Mal gesehen? Es musste in den 1970ern gewesen sein. Hatte sich da eventuell der Samen des Unaussprechlichen in meine noch junge Oberstube eingepflanzt? Ich sah mir den Film am letzten Sonntag noch einmal an. Und entdeckte Schlimmes: Auf der Stoßstange von Bormanns Abschleppwagen prangen unübersehbar zwei riesige H. Am Haken hängt ein demolierter, wie bei Tobruk entleibter VW Käfer, während in der darüber ablaufenden Titelschrift Mitwirkende mit deutschen Namen auftauchen: Knapp. Neuwirth. Brummer. Meyer natürlich Und wie heißt Bormanns Garage? Super Service!
mehr:
- Das Antidepressivum: Nazispuren auf dem Dachboden (Archi W. Bechlenberg, achgut, 14.10.2018)
Man hört immer wieder die Bemerkung, daß die Philosophie keinen Fortschritt mache, daß die gleichen philosophischen Probleme, die schon die Griechen beschäftigten, uns noch beschäftigen. Die das aber sagen, verstehen nicht den Grund, warum es so sein muß. Der ist aber, daß unsere Sprache sich gleich geblieben ist und uns immer wieder zu denselben Fragen verführt. Solange es ein Verbum «sein» geben wird, das zu funktionieren scheint wie «essen» und «trinken», solange es Adjektive «identisch», «wahr», «falsch», «möglich» geben wird, solange von einem Fluß der Zeit und von einer Ausdehnung des Raumes die Rede sein wird, usw., usw., solange werden die Menschen immer wieder an die gleichen rätselhaften Schwierigkeiten stoßen, und auf etwas starren, was keine Erklärung scheint wegheben zu können.
[Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen: Aus dem Nachlaß (1950/51), Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1977, S. 163, Im Big Typescript, Wiener Augabe, zu finden auf S. 286]