Freitag, 14. März 2014

In memoriam Dr. Eyad al-Sarraj, Psychiater und Menschenrechtsaktivist, 1944-2013

Für mentale Gesundheit und Menschenrechte 

In memoriam Dr. Eyad al-Sarraj, Psychiater und Menschenrechtsaktivist, 1944-2013

Gaza, im Januar 1988 im Shifa-Hospital. Dort trafen wir Dr. Eyad al-Sarraj. Er begleitete uns und erklärte mit sanfter Stimme den harschen Anblick der verwundeten jungen Menschen und die Vernachlässigung und den Schmutz des Shifa-Regierungskrankenhauses. Nach eineinhalb Stunden in seiner Wohnung war die Stimmung gut und kooperativ. Es war Eyad, der den Prozess und den Wandel in unserer Gruppe bewirkte. Plötzlich hatten wir einen palästinensischen Doktor zum Freund. 

Zwei Monate später, in Neve Tzedek in Tel Aviv, fand die Gründungskonferenz der Vereinigung Israelischer und Palästinensischer Ärzte für Menschenrechte (AIPPHR) statt. Der Saal war voll von Ärzten aus Israel, dem Gazastreifen, Ost-Jerusalem, der West Bank und den Golanhöhen. Eyad sagte: "Ich bin ein palästinensischer Arzt aus Gaza, und ich bin stolz, an der Gründung dieser Ärzte-Organisation für Menschenrechte teilzuhaben. Ich rufe Sie alle auf, daran mitzuwirken." Die Organisation wurde am gleichen Tag gegründet. Danke, Eyad!

Er sammelte Gelder und kehrte nach Gaza zurück, mit der Möglichkeit, seinen Traum zu verwirklichen: ein Zentrum für psychische Gesundheit in Gaza. Das war nicht einfach in einer Gesellschaft, in der es keine Infrastruktur und kein professionelles Personal gab. Ich beteiligte mich zusammen mit anderen Kollegen als Freiwillige beim Gaza Zentrum für Mentale Gesundheit (GCMH) an der Ausbildung von therapeutischem Personal. 

Wir stellten Kontakte zur psychologischen Abteilung der Universität Tel Aviv her und schufen einen Rahmen für Supervision und Ausbildung. Dieses Netzwerk arbeitete weiter, bis die Armee den Studenten aus Gaza nicht mehr erlaubte, für ihre Studien nach Tel Aviv zu kommen. 

Eyad gehörte nicht zu irgendeiner politischen Partei in Gaza. Er war nicht einverstanden mit der verbreiteten Meinung: Zuerst bekämpfen wir die Besatzung, und erst danach kämpfen wir für Unversehrtheit zu Hause. Die palästinensische Behörde mochte seine Meinung oder seine politische Unabhängigkeit nicht. Eyad wurde während der Zeit des Vorsitzenden Yasser Arafat 1995/96 dreimal verhaftet. Die Inhaftierung durch die eigenen Leute deprimierte ihn. Er brauchte eine lange Zeit und viele Gespräche, um wieder er selbst zu werden. Währenddessen machte das GCMH Fortschritte. Eyad kümmerte sich besonders um Kinder und Jugendliche. Er verstand deren schwierige emotionale Situation, in der die traditionelle Institution der Familie unmittelbar vor ihren eigenen Augen zerstört worden war, indem der Vater seinen Platz in der Familie verlor, entweder infolge der Schläge und Erniedrigung durch israelische Soldaten vor den Augen der Familie oder durch den Mangel und die Arbeitslosigkeit, die den Eltern aufgezwungen wurden. 

Eyad kämpfte für die Frauen in Gaza und schuf ein spezielles therapeutisches Netzwerk für sie. Das war keine leichte Aufgabe in einer traditionellen Gesellschaft im beschleunigten Prozess der Rückkehr zur Religion. Auf der ganzen Strecke unseres gemeinsamen Weges war Eyad ein untrennbarer Teil des Kampfes gegen Folter. Eyads publizierte Artikel über seine psychologische Sichtweise als Ergebnis seiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Gaza ernteten große internationale Aufmerksamkeit. Eyad sagte vor dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen aus – nach der Operation "Vergossenes Blei" (der israelischen Armee, Anmerkung des Übersetzers) 2009. Sein Zeugnis war wichtiger Teil des Goldstoneberichts

2008 wurde das Gaza Center for Medical Health von der israelischen Armee bombardiert. Die Zerstörungen waren schwer und es war schwer für Eyad, ihnen ins Auge zu sehen. Ich traf ihn einige Zeit nach der Bombardierung. Ich sah, dass er krank war. Einige Jahre vergingen für Eyad in seinem Kampf gegen die maligne Leukämie, an der am 17. Dezember 2013 in einem Krankenhaus in Israel verstarb. 

Eyad wurde in Beersheva geboren und floh als kleiner Flüchtlingsjunge nach Gaza – er sah sich selbst als stolzer Gaza-Bürger. Er war nicht religiös und war nicht mit irgendeiner politischen Partei verbunden, sondern sein Wunsch war es, mit all der Großzügigkeit zu helfen, die ihn charakterisierte. Ich vermisse dich sehr, lieber Freund, einen Menschen, mit dem zu sprechen und Gedanken auszutauschen solch eine einzigartige Erfahrung war. Unsere Welt ist anders und ärmer ohne ihn. 

Dies ist eine gekürzte und übersetzte Fassung des Nachrufs von Dr. Ruchama Marton. Übersetzung Matthias Jochheim (IPPNW, Deutschland). Den vollständigen Nachruf in englisch finden Sie unter: www.phr.org.il/default.asp?PageID=190&ltemID=1844 


Dr. Ruchama Marton ist Präsidentin der "Physicians For Human Rights Israel" und Trägerin des alternativen Nobelpreises
ippnw-forum nr 137, märz 2014



Eyad al-Sarraj war Träger des Olof-Palme-Preises 2010 und des Martin-Ennals-Award 1998







Eyad El-Sarraj, Psychiatrist Who Fought for Palestinians’ Rights, Dies at 70 (New York Times)
Zum Tode von Dr. Eyad al-Sarraj (medico international)
Palestinians honour Gaza psychiatric pioneer (Aljazeera, Gruß übrigens an meine Freunde von der NSA!)





 








Ruchama Marton ist Gründerin der Physicians for Human Rights Israel und Trägerin des Emil-Grünzweig-Menschenrechtspreises 1999