Donnerstag, 3. Dezember 2009

Gruppendynamik – Glück en Gros

Gefühlszustände können mit Signalen wie der Mimik oder bestimmten Handlungsweisen von Mensch zu Mensch übertragen werden. Wie sich Glücklichsein in einem sozialen Netzwerk ausbreitet, erforschten amerikanische Wissenschaftler.

Zugrunde lag wieder einmal die Gemeinde Framingham mit ihrem Heart-Study-Kollektiv. 4739 Teilnehmer wurden zwischen den Jahren 1983 und 2003 beobachtet. Das Glück wurde auf einer Skala anhand von vier Kriterien festgemacht.

Man konnte „Cluster“ von glücklichen und unglücklichen Menschen in der Gemeinschaft feststellen. Es bestanden Verbindungen zwischen glücklichen Menschen über drei Stufen (zu den Freunden der Freunde von Freunden). Menschen im Zentrum eines solchen Netzwerks hatten die größte Chance, auch künftig glücklich zu sein.

Statistische Modelle führten zu dem Schluss, dass sich Glücklichsein in der Gemeinschaft ausbreitet und dass sich nicht etwa glückliche Menschen zusammenfinden. Ein Freund, der innerhalb einer Meile lebt und glücklich wird, erhöhte Chance anderer Menschen seiner Umgebung, glücklich zu werden, um 25%; beim nächsten Nachbarn sind es 34%. Keine solchen Interaktionen stellte man bei Menschen am selben Arbeitsplatz fest. – Nach diesen Ergebnissen ist Glücklichsein, ähnlich wie Gesundheit, ein kollektives Phänomen. WE

Fowler JH et al.: Dynamic spread of happiness in a large social network: longitudinal analysis of the Framingham Heart Study social network. BMJ 338 (2009) 23-28
Bestellnummer der Originalarbeit 091236


aus Praxis-Depesche 12/2009

Mein Unwort des Jahres: „Schweinegrippe”

Mein Unwort des Jahres 2009 heißt: „Schweinegrippe”! Die Diskussionen über das neue H1N1-Virus folgen offenbar immer weniger medizinischen oder naturwissenschaftlichen Überlegungen, sondern werden durch gesundheitspolitischen Aktionismus, Populismus, Weltanschauung und Medienrummel bestimmt.

Wenn früher ein Patient mit den Symptomen Husten, Schnupfen und Fieber in die Sprechstunde kam, wurde er mit der Diagnose „Virus infekt“ und der Rezeptur von palliativ wirkenden Medikamenten (plus Virustatikum bei nicht geimpften und gefährdeten Patienten und/oder bei Sekundärinfektion mit einem Antibiotikum) nach Hause geschickt mit der strikten Auflage, Kontakt zu anderen Personen möglichst zu meiden, sich körperlich zu schonen und nach einer Woche wieder die Arbeit aufzunehmen. Wenn heute ein solcher Patient kommt, blinkt auf Anordnung der Politiker und der Endemie-Experten die rote Warnleuchte „Schweinegrippe” – und Arzt und Arzthelferinnen laufen mit Mundschutz und Handschuhen verkleidet wie die Marsmenschen durch die Praxis. Meldungen an das zuständige Gesundheitsamt werden abgefasst – ohne dass sich an der Therapie irgend etwas ändert: abwartendes Beobachten ist angesagt!

Wenn in den typischen Wintermonaten jeden Tag drei bis vier Dutzend Patienten mit Husten, Schnupfen und Fieber in die Praxis kommen – wie soll ich denn dann wissen, wer das neue H1N1-Virus aquiriert hat und wer „nur normal” virusinfiziert ist? Schnelltestungen sind ungenau und sollen nicht mehr stattfinden – Rachenabstriche sollen Problemfällen vorbehalten werden. Ergebnisse treffen aus den überlasteten Labors ohnehin erst mit Verspätung ein.

Doch halt – solche Patienten sollen nach einer Empfehlung meiner KV oder entsprechender Experten nach Möglichkeit gar nicht erst in die Praxis kommen, sondern sollen per Hausbesuch (wie eigentlich?) herausgefiltert werden. Am besten also in Erkältungszeiten lieber gleich die Praxis schließen und mit einem rollenden Praxis-Ambulatorium durch die Straßen fahren! Wer denkt sich eigentlich solche Empfehlungen für den praktischen [tolles Wort, Kommentar von mir] Praxisalltag aus?

Schweinegrippe – Aktionismus, Populismus, gesundheitspolitische Schnellschüsse, Tummelfeld für Medizinexperten, Spielwiese für theoretisch zwar sinnvolle aber praktisch unbrauchbare und kaum realisierbare Vorgaben an uns Vertragsärzte? Mein persönliches Unwort des Jahres 2009 heißt Schweinegrippe! Bleibt nur zu hoffen, daß mein persönliches Unwort des Jahres nicht durch ein weiteres zu diesem Thema abgelöst wird, das da heißen könnte: „Impfung gegen Schweinegrippe”!

Dr. med. Michael Drews,
Facharzt für Allgemeinmedizin, Chirotherapie, Badearzt, Mölln i. Lbg.

aus Praxis-Depesche 12/2009