- Die Irrationalität in der Ukraine-Krise gefährdet unsere Demokratie (Gastkommentar von Alexander Unzicker bei Telepolis, 15.08.2014)
Laut Julian Nida-Rümelin lebt die Demokratie von der Vision, dass sich die Öffentlichkeit ein verlässliches politisches Urteil bilden kann (Interview). Wenn dies zutrifft, muss man sich Sorgen machen.
Denn die Meinungsbildung der Öffentlichkeit scheint nach ähnlichen Mustern wie beim Fernsehen zu verlaufen: ein spannender Plot und gute Schauspieler befördern Emotionen und Überzeugungen, Auslassungen oder logische Brüche im Drehbuch spielen dagegen eine untergeordnete Rolle. Nur: die Nachrichten sind auch zu so einer Art von Fernsehen geworden. Die Rede ist von der Ukraine. Es ist nicht eine Krise wie viele andere, ihr Kennzeichen ist eine beunruhigende Irrationalität der Akteure. Wo Verstand und Logik ausgeschaltet ist, ist unsere Demokratie in Gefahr.
Da widerspreche ich: Hier wäre eine genauere Analyse notwendig: Bei wem sind Verstand und Logik ausgeschaltet? Man erinnnere sich an die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs: Das ganze funktionierte nur über den im Volk entzündeten Hurra-Patriotismus.
Die Demokratie benötigt eine freie, unabhängige Presse als Vierte Macht. Nur durch die unabhängige und kritische Berichterstattung dessen, was unsere Oligarchen tun, bleiben die Selbstreinigungskräfte unseres politisch-wirtschaftlichen Systems gewahrt und funktionsfähig.
Mit Oligarchen meine ich in diesem Zusammenhang Personen, die aufgrund ihrer materiellen Ressourcen und/oder ihrer gesellschaftlichen Position eigene Interessen auf einer systemrelevanten Ebene um- und durchzusetzen imstande sind. Dass diese Personen – oder Gruppierungen – ein Interesse daran haben, ihr Tun zu verschleiern, ist klar. Dass sie deswegen ein Interesse daran haben, auf die Medien Einfluss zu nehmen (sprich: im Westen transatlantische Think-Tanks, in Russland staatlich kontrollierte Medien), ist nachvollziehbar – und natürlich.
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In dem Moment, in welchem gesellschaftlich einflussreiche Medien so stark beeinflusst werden, dass sie nicht mehr dazu imstande sind, gesellschaftliches Geschehen kritisch, mit Abstand und reflektiert zu berichten und es zu hinterfragen, vor allem in dem Moment, in welchem der Verlust dieser Fähigkeit von immer mehr Menschen wahrgenommen wird, in diesem Moment verlieren diese Medien ihre Glaubwürdigkeit und damit ihre Funktionen: die Funktion, eine stabile und verlässliche Diskussionsplattform zu bieten und, wie erwähnt, dadurch die Selbstreinigungskräfte unserer Gesellschaft lebendig zu halten.
Joseph Beuys - Ja Ja Ja Ne Ne Ne (1968) [1:04:55]
Veröffentlicht am 11.09.2012
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Eine Gesellschaft ist nur dann stabil, wenn es eine genügend große Gruppe an Menschen gibt, die an die Werte dieser Gesellschaft glauben, so sehr glauben, dass diese Werte für sie handlungsrelevant werden. Der Glaube an die Werte einer Gesellschaft nimmt in dem Maße ab, in welchem das Handeln gesellschaftlich wichtiger Funktionsträger nicht mehr nachvollzogen werden kann oder den gesellschaftlich propagierten Werten zuwiderläuft.
Man erinnere sich: 1903 veröffentlichte Konrad Duden seine »Rechtschreibung der Buchdruckereien deutscher Sprache«, den so genannten Buchdruckerduden, mit dessen Hilfe Schreibvarianten reduziert werden sollten. [Wikipedia]. Da die unterschiedlichen Schreibweisen eines Wortes im Orthographischen Wörterbuch noch recht zahlreich war, wünschen sich die Buchdrucker in »ihrem« Duden für jedes Wort nur eine Schreibweise. Auf einer Buchdruckertagung in Konstanz im Juni 1902 gaben sie »ganz unverhohlen ihrer Missstimmung über durch die neuen Regelbüchern nur noch vermehrte Unsicherheit der Rechtschreibung Ausdruck«. [Wikipedia]
Die Entstehungsgeschichte des Dudens soll ein Beispiel dafür sein, dass eine Gesellschaft verlässliche und bindende Regeln benötigt. In dem Maße, in welchem Regeln von den Menschen nicht mehr als verlässlich und für alle bindend wahrgenommen werden, kündigen die Menschen einer Gesellschaft ihre Solidarität auf. Gesellschaftliche Solidarität ist aber eine der Grundvoraussetzungen für die Demokratiefähigkeit einer Gesellschaft. Die Demokratiefähigkeit einer Gesellschaft ist abhängig von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Egoismus und gesellschaftlicher Solidarität. Dieses Verhältnis ist nicht Ergebnis eines rationalen Denkprozesses, dieses Verhältnis wird gelernt. Dafür benötigt man Vorbilder. Mit Peter Scholl-Latour ist jemand von uns gegangen, dem alle Mut bescheinigen. (Ulrich Wickert ist sogar so weit gegangen, ihn als »Mann« zu bezeichnen, dazu ausnahmsweise die BILD-Zeitung: Peter Scholl-Latour 85, 09.03.2009, außerdem beim Deutschlandradio) Gleichgültig, ob Scholl-Latour in seinen Einschätzungen richtig oder falsch lag, durfte man darauf vertrauen dass er 1. die Dinge so sagte, wie er sie meinte und 2. in einem halben Jahr noch die gleiche Meinung vertreten würde. Man durfte auch darauf vertrauen dass, wenn er in einem halben Jahr eine andere Meinung vertreten würde, er seinen Irrtum eingestehen würde. Wir brauchen solche Menschen. Nicht, weil sie Recht haben, sondern weil sie integer – und damit Orientierungspfeiler – sind. (Nicht umsonst wurde Scholl-Latour auch »letzter Welterklärer« genannt.)
Joseph Beuys - Sonne statt Reagan 1982 [2:41]
Hochgeladen am 09.10.2008
Joseph Beuys - Sonne statt Reagan 1982
(Sun instead Reagan)
Aus dem Land, das sich selbst zerstört
und uns den 'way of life' Diktiert
da kommt Reagan und bringt Waffen und Tod
und hört er Frieden, sieht er rot.
Er sagt als Präsident von USA
Atomkrieg ? - Ja bitte dort und da
ob Polen, Mittler Osten, Nicaragua
er will den Endsieg, das ist doch klar.
Doch wir wollen: Sonne statt Reagan
ohne Rüstung leben !
Ob West, ob Ost
auf Raketen muß Rost !
Wir wollen: Sonne statt Reagan
ohne Rüstung leben !
Ob West, ob Ost
auf Raketen muß Rost !
Er will die Säcke im Osten reizen
die auch nicht mit Atomen geizen
doch dein Krieg um hirnverbrannte Ziele
der läuft nicht Reagan - wir sind viele !
Hau ab mit deinen Nuklearstrategen
deinen Russenhassern, deinem Strahlenregen
Mensch Knitterface, der Film ist aus
nimm' die Raketen mit nach Haus !
Denn wir wollen: Sonne statt Reagan
ohne Rüstung leben !
Ob Ost, ob West
Kalten Kriegern die Pest !
Wir wollen: Sonne statt Reagan
ohne Rüstung leben !
Ob Ost, ob West
Kalten Kriegern die Pest !
Dieser Reagan kommt als Mann der Rüstungsindustrie
but the peoples of the States don't want it - nie !
und den wahren Frieden wird's erst geben
wenn alle Menschen ohne Waffen leben.
Wir wollen: Sonne statt Reagan
ohne Rüstung leben !
Ob West, ob Ost
auf Raketen muß Rost !
Sonne statt Reagan
ohne Rüstung leben !
Ob Ost, ob West
Kalten Kriegern die Pest !
Wir wollen: Sonne statt Reagan
ohne Rüstung leben !
Ob West, ob Ost
auf Raketen muß Rost !
Wir wollen: Sonne statt Reagan
Seit Monaten werden von »unseren« Politikern – oder Institutionen – an Putin Warnungen ausgesprochen, die auf noch nicht überprüften oder nicht überprüfbaren Vorfällen beruhen. Seit Monaten machen sich unsere Politiker damit lächerlich und unglaubwürdig. Und seit Monaten wird nur in den alternativen, aber nicht in den Leitmedien über diese reflexhaften Schuldzuweisungen und Warnungen diskutiert. (Ausnahmen: ZAPP, extra3, Neues aus der Anstalt) Politiker und Journalisten scheinen zum großen Teil frei zu sein von Schamgefühlen. Wenn ich in einer Fernsehsendung meinen Gesprächspartner dazu bringen will, einen Vorgang oder eine Situation auf eine bestimmte Art und Weise zu beurteilen, degradierte ich ihn zu einem Instrument meiner Überzeugung. (»Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden!«) Wenn ich mein Handeln reflektiere, müsste ich danach Scham empfinden. Scham kann ein wichtiges Korrektiv sein! Aber wo sehe ich Korrekturen?!
Ein zartes Pfänzchen regt sich möglicherweise beim SPIEGEL:
- Ukraine-Konflikt: Wenn Hysterie brandgefährlich wird (Christian Neef, 16.08.2014)
Kann eine mögliche Falschmeldung aus einem Konflikt einen Krieg entzünden? In der Ukraine-Krise scheint die Gefahr nach dem angeblichen Angriff eines russischen Militärkonvois größer denn je.
Nirgendwo in den letzten Monaten habe ich in der Art der Berichterstattung über die Vorgänge in der Ukraine bei unseren Leitmedien irgend eine Art von Selbstreflexion wahrnehmen können, obwohl es wahrlich genügend Anlässe dazu gegeben hätte. Wie vom Fließband werden in Wort und Bild immer die gleichen Beschreibungen und Interpretationen der Realität heruntergebetet. Ich habe keine Kalaschnikow und keinen Panzer gesehen, der nachweislich aus Russland in die Ukraine geliefert worden wäre.
- UN: Keine Beweise, dass Russland Waffen an Ostukraine liefert, crash-magazine online, 02.08.2014
- Verwirrspiel um den Bericht über den Absturz von MH17, Telepolis, 19.08.2014)
- Kriegspropaganda: Eine Kiewer Ente im deutschen Blätterwald (Telepolis, 19.08.2014)
Was ich gesehen habe, ist, dass ein ukrainisches Jagdflugzeug ein öffentliches Gebäude in Lugansk bombardiert, während die ukrainische Regierung behauptet, die Explosion habe im Gebäude stattgefunden. (Man google nach den Begriffen »Lugansk« und »Luftangriff«: Während jede Menge alternativer Medien die OSZE-Bestätigung des Luftangriffs vom 02.06.2014 melden, tut dies kein einziges unserer Leitmedien! Auf der OSZE-Internetpräsenz selbst, die wie mehrere Seiten am 3., 4. und 5. Juni meldeten, nach der Bestätigung nicht mehr erreichbar war, konnte ich die Bestätigung des Luftangriffs vom 03.06.2014 letztlich finden: Latest news from the OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine (SMM), based on information received until 18:00 hrs, 2 June (Kyiv time).)
Ich habe Bilder gesehen von einem »pro-russischen Separatisten«, der eine Stoffpuppe hochhält, mit der Schlagzeile »Rebellen verhöhnen die Opfer« (Tagesanzeiger, 30.07.2014) oder »Welt ächtet Putin« (oe24, 19.07.2014, BILD am gleichen Tag). Wie weit ist es mit unserer Medienkultur gekommen, dass sich bisher niemand dafür entschuldigt hat? Wie weit ist es mit unserer Medienkultur gekommen, dass die Kommentarfunktion eines Artikels einfach abgeschaltet wird? (SPIEGEL, FAZ) Wie weit ist es mit unserer politischen Kultur gekommen, wenn unsere Politiker Schuld auf dem Boden nicht nachgewiesener Meldungen zusprechen? Und wie weit ist es mit unserer politischen und medialen Kultur gekommen, wenn diese falschen Schuldzuweisungen nicht thematisiert werden?
Serenading the cattle with my trombone (Lorde - Royals) [4:14]
Veröffentlicht am 03.08.2014
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Ich bin auf die Fähigkeit unserer Kultur, Sachverhalte kritisch zu überprüfen, vernünftig über einen Sachverhalt zu reden und eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen stolz! Dies sind Errungenschaften der Aufklärung. Wir laufen zurzeit Gefahr, diese für unsere kulturelle Identität äußerst wichtigen Qualitäten mit Füßen zu treten! Wofür bezahlen wir einen solch hohen Preis?
Joseph Beuys, Ich kenne kein Weekend, roter Stempel auf Reclamheft mit Maggiwürze, 1971 |
siehe auch:
- Vor 155 Jahren: Sigmund Freud wird geboren (08.05.2011)
- Heute vor 67 Jahren: Uraufführung von Sartres »Huis Clos (Bei geschlossenen Türen)« (26.05.2011)
- Wir geben ihnen Macht 1 (14.03.2013)
- Realität ist, was wir glauben wollen (29.08.2013)
aktualisiert am 19.08.2014
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