Montag, 2. Mai 2011

Private Verrücktheit

In seiner Vortragsreihe über »Liebe und Haß« kam Prof. Kernberg auf die Persönlichkeitsstörungen zu sprechen, die er auf unbewältigte Reifungsschritte in der frühen Kindheit zurückführt aufgrund ungünstiger Persönlichkeitseigenschaften der Eltern. Reste nicht bewältigter Reifungsschritte finden sich überall und werden in Liebesbeziehungen, die zum Regredieren ja einladen, teilweise miteinander gelebt. So finden sich für Außenstehende seltsam anmutende Beziehungsaspekte in fast jeder Beziehung. Diese »schrägen« Umgangsformen in Beziehungen nennt Kernberg »Private Verrücktheit«.

Ich saß also im Lindauer Stadttheater auf der Empore und versuchte, während ich den teilweise doch recht komplizierten Denkvorgängen des Vortragenden zu folgen versuchte, nicht einzuschlafen – es war die erste Veranstaltung am Morgen und in Lindau gibt es immer viel zu diskutieren – manchmal bis spät in die Nacht.


Neben mir saß ein Psychotherapeuten-Paar, er tief in seinen Sitz gerutscht, die langgestreckten Beine übereinandergeschlagen, die Hände vor seinem Bierbäuchlein ineinandergefaltet, dem Vortrag folgend, sie mit nach vorne gebeugtem Oberkörper, eifrig auf einen Notizblock mitschreibend. Vor mir versuchte ein recht junger Therapeut, die wichtigsten Sätze in sein iPod einzutippen – nun ja…

Als nun der neben mir sitzende Therapeut den Begriff der »Privaten Verrücktheit« hörte, brummelte er diesen zweimal in seinen Bart, beugte sich dann zu seiner Frau hinüber und wies sie an: »Private Verrücktheit, schreib das mal auf!«

siehe auch:

- Otto Kernberg „Liebesbeziehungen” (A. Gerlach, S. Ross, G. Fuss, Fachforum zum Themengebiet Sexualität, AP Dortmund e.V.)
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, sich der sexuellen Hemmung des Partners, seiner Eingeschränktheit oder seinen Zurückweisungen entgegenzustellen, anstatt ihn wütend abzulehnen, zu entwerten oder sich seiner sexuellen Hemmung in masochistischer Weise zu unterwerfen. Dies ist ein Zeichen für stabile genitale Identifizierung!

Die Entwicklung der Fähigkeit zur integrierten Objektbeziehungen oder Ganzobjektbeziehungen setzt das Erreichen der Ich-Identität und ebenso der Stufe intensiver Objektbeziehungen voraus; dadurch wird es möglich, intuitiv einen Menschen zu wählen, der den eigenen Wünschen und Zielen entspricht.

Außerdem sind an dem reifen Wählen des Menschen, den man liebt und mit dem man sein Leben verbringen will, reife Ideale, Wertvorstellungen und Ziele beteiligt, die über die Befriedigung der Bedürfnisse nach Liebe und Intimität hinaus dem Leben mehr Sinn verleihen.