von Johannes Winter
Zenon von Kition (~334-262 v, Chr.)
Gleichmut statt Zorn
In unserem Alltag lassen wir uns oft von Affekten leiten: In der Liebe macht die Eifersucht rasend, bei der Arbeit treibt der Ehrgeiz, und wenn am Badesee die Mücken nerven, packt uns der Zorn. Der Begründer der Stoa, Zenon von Kition, hätte empfohlen, sich von derartigen Gemütserregungen loszusagen. Innere Freiheit bedeutet für Zenon, sich nicht von seinen Affekten beherrschen zu lassen, sondern vielmehr mit Gleichmut und Gelassenheit in die Welt zu blicken. Für diesen Gefühlszustand kannten die Stoiker den Ausdruck apatheia, der an das moderne Krankheitsbild der Apathie denken lässt. Doch ist die apatheia nicht mit kalter Teilnahmslosigkeit zu verwechseln: Gemeint ist eher eine gewisse "stoische Ruhe". Diese gewinnt ein Mensch, wenn er die Welt hinnimmt, Unabänderliches als solches anerkennt. Etwa die Mücken am See.
Michel de Montaigne (1533-1592)
Wider den Herdentrieb
Freiheit ist für Montaigne vor allem dies: geistige Unabhängigkeit. Nichts macht unfreier, als sich von der Masse im eigenen Denken beeinflussen, gar bestimmen zu lassen. Autonom im Geiste ist nur, wer dem Sog der Mehrheitsmeinungwidersteht: "Deshalb ist es nicht genug, sich von der großen Herde abgesondert zu haben; es ist nicht genug, den Ort zu wechseln, man muss sich von den Herdentrieben befreien, die in uns selbst sind: man muss sich losreißen und zu sich selbst zurückführen." Geistig unabhängig zu sein, heißt aber keineswegs, zeitlebens dieselben Positionen zu vertreten. Die Vorstellung unwandelbarer und notwendiger Einsichten lehnt Montaigne strikt ab. Vielmehr erkennt er im steten Wandel das Ordnungsprinzip des menschlichen Lebens und der menschlichen Freiheit schlechthin. "Nur Narren sind frei von Ungewissheit und Schwanken", so Montaigne in seinen "Essais" (1580-1588).
Immanuel Kant (1724-1804)
Freier Gehorsam
So paradox es sich anhören mag: Für Kant ist die Freiheit gebunden an einen Gehorsam gegenüber der Pflicht. Diese Pflicht aber ist keine, die dem Menschen aufgezwungen wird, sondern die ihm seine eigene Vernunft gebietet. Sie lautet: "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." Kants berühmter kategorischer Imperativ fordert, von etwaigen Vorteilen, situativen Gegebenheiten, Stimmungen und Neigungen gänzlich abzusehen und sich stets kritisch zu fragen: Was würde passieren, wenn die Maxime meines Handeins zum Gesetz verallgemeinert würde? In dieser Abstraktionsleistung und ihrer handelnden Umsetzung liegt für Kant das Wesen der menschlichen Freiheit.
John Stuart Mill (1806-1873)
Frauen zuerst
Der englische Philosoph war ein energischer Verfechter der individuellen Freiheit. "Über sich selbst, über seinen eigenen Körper und Geist ist ein Individuum souverän", schreibt Mill in seinem bahnbrechenden Werk "On Liberty" (1859). Niemand, weder der Staat noch die Gesellschaft mit ihren Sitten und Moralvorstellungen, habe das Recht, einem Menschen vorzuschreiben, wie er sein Leben gestaltet, welchen Ideen er anhängt, mit wem er sich verbündet; es sei denn, andere Menschen kämen dabei zu Schaden. Entsprechend forderte der Philosoph auch und insbesondere die Gleichstellung der Frau in allen Bereichen des Lebens: "Die gegenwärtige rechtliche und moralische Unterwerfung der Frau", so Mill, "ist das bedeutendste und wahrscheinlich letzte bestehende Relikt des primitiven Zustands der Gesellschaft."
Herbert Marcuse (1898-1979)
Freiheit durch Technik
Eine Gesellschaft, die den Imperativen der Marktwirtschaft gehorcht, kann nach Herbert Marcuse den Bedürfnissen des Einzelnen nicht gerecht werden – und so gibt es in ihr auch keine individuelle Freiheit. "Wäre das Individuum nicht mehr gezwungen, sich auf dem Markt als freies ökonomisches Subjekt zu bewähren", wäre dies "eine der größten Errungenschaften der Zivilisation", schreibt Marcuse in "Der eindimensionale Mensch" (1964). "Das Individuum wäre frei, Autonomie über ein Leben auszuüben, das sein eigenes wäre." Eine wichtige Funktion spricht Marcuse in diesem Zusammenhang der Technik zu: Erst wenn sie uns harte, körperlich ruinöse Arbeit abnimmt und uns ein Dasein jenseits der bloßen Bedürfnisbefriedigung ermöglicht, sind wir frei, unser Leben zu gestalten. Die Technik, so Marcuse, "bleibt die wahrhafte Basis aller Formen menschlicher Freiheit".
Ludwig Wittgenstein (1889-1951)
Raus aus dem Fliegenglas
Für Ludwig Wittgenstein ist das Philosophieren als Tätigkeit insgesamt ein Projekt therapeutischer Selbstbefreiung. In seinem posthum erschienenen Werk "Philosophische Untersuchungen" (1953) schreibt er programmatisch: "Was ist dein Ziel in der Philosophie? – Der Fliege den Weg aus dem Fliegenglas zeigen." Die meisten philosophischen Probleme sind für Wittgenstein nichts als Scheinprobleme, die aus einer unreflektierten Verwendung unserer Sprache resultieren. Die Philosophie ist aus dieser Sicht ein fortwährender "Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache". Um sich von diesen Verhexungen zu befreien, rät Wittgenstein zu einer möglichst präzisen, reichhaltigen und alltagsbezogenen Untersuchung unserer Redemuster. Er würde zum Beispiel raten, sich vor Augen zu führen, dass es nicht das Gleiche ist, "an etwas zu glauben" (z. B. Gott) oder "zu glauben, dass etwas der Fall ist" (z. B. dass die Erde rund ist). Das Ziel der sprachlichen Therapie ist klar: Freier leben, weil man sich gewissen Fragen und Zweifeln nicht mehr stellen muss und stattdessen etwas wirklich Sinnvolles tun kann.
Jean-Paul Sartre (1905-1980)
Wähle dich selbst
Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt", lautet einer der wohl berühmtesten Sätze aus Sartres Schrift "Der Existenzialismus ist ein Humanismus" (1946). Einen unfreien Menschen gibt es für Sartre schlichtweg nicht. Der Mensch ist nicht festgelegt auf ein bestimmtes Sein, weder durch seine Gene noch durch widrige Umstände; er selbst macht sich zu dem, der er ist. Selbst im Gefängnis wäre er nicht unfrei, denn immerhin hätte er noch die Freiheit, sich zu seiner Situation zu verhalten. Die Freiheit ist mithin kein Gegenstand der Wahl, sie ist so unhintergehbar wie das Faktum unserer Geburt. "Tatsächlich sind wir eine Freiheit, die wählt, aber wir wählen nicht, frei zu sein", so Sartre. Verlieren können wir unsere Freiheit also gar nicht – wohl aber können wir vor ihr fliehen. Ein unaufrichtiger Mensch - ein "homme de mauvaise foi" – weigert sich, Verantwortung zu übernehmen, welche unmittelbar aus seiner Freiheit resultiert.
aus Philosophie Magazin 6/2013