Die 61-jährige Ärztin Mechthild Bach hat sich umgebracht. Sie war des Totschlags in 13 Fällen angeklagt, und kürzlich erklärte der Vorsitzende Richter Wolfgang Rosenbusch, dass in zwei der Todesfälle auch eine Verurteilung wegen Mordes in Betracht komme. Damit drohte Bach eine lebenslange Haftstrafe eine erneute Untersuchungshaft. Ein Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof hätte aber noch fünf bis sechs Jahre Zeit in Anspruch genommen. Der erstinstanzliche Prozess war bis 2012 datiert.
Seit 2008 lagen 73 Verhandlungstage (23 im ersten und 50 im zweiten Prozess) hinter Kollegin Bach. Schon im ersten Prozess – damals noch wegen achtfachen Totschlags – mußten die an Borniertheit grenzenden Stellungnahmen eines Gutachters erstaunen, der bei mehreren Leber- und Hirnmetastasen noch eine Heilungschance zu sehen glaubte. Wegen Krankheit des Richters wurde der Prozess abgebrochen, da es keinen Ersatzmann gab. Im zweiten Prozess erhöhte sich die Anzahl der möglichen Totschlagsfälle um fünf auf dreizehn. Selbstverständlich hatte sie auch schon längst ihre Aprobation entzogen bekommen.
„Wir haben keine Hinweise darauf, dass das Vorgehen der Angeklagten dem Patientenwunsch entsprach“, sagte der Vorsitzende des Schwurgerichts, Wolfgang Rosenbusch. Vielleicht sollte der Mann mal ein Praktikum auf einer Onkologie-Station machen, dann kriegt er mit, daß ganz viele Patienten nicht wissen wollen was los ist. Dann kriegt er vielleicht auch mit, daß die verzweifelten Angehörigen gern dem Arzt die Schuld geben, wenn etwas im Gange ist, das sie nicht verstehen und nicht wahrhaben wollen. Dann kriegt er die Belastung des Personals mit, das täglich erlebt, daß der allergrößte Teil der Patienten die Station mit den Füßen voraus verläßt. "Es ist tragisch, dass sich Frau Bach in so einer aussichtslosen Situation gesehen hat", sagte der Präsident des Landgerichts Hannover, Dieter Schneidewind. Wenn man sich in Mechthild Bachs Situation befindet, ist jede andere Sicht der Dinge angesichts des Prozessverlaufs psychotherapeutisch behandlungsbedürftig.
Der Umgang mit sterbenden Menschen – und auch ihren Angehörigen – gehört zu den schwierigsten und belastendsten ärztlichen Aufgaben. Erst heute habe ich von einem Fall gehört, in dem eine Prostata-Biopsie wegen eines hohen PSA-Werts vorgenommen wurde und sich ein Krebsbefall der Prostata ergab. Eine sofortige Operation mit wahrscheinlicher Nervenläsion (Erektionsunfähigkeit, Inkontinenz) wurde angeraten, ohne daß sich einer der mit dem Fall beteiligten Fachärzte (Urologe, Chirurg, Onkologe) zu irgendeiner Aussage über die Prognose erweichen ließ. Vom Radiologen auf ein CT angesprochen hörte der Mann, dies sei nicht möglich, da sich die Prostata nun nach der Biopsie als entzündet darstellen würde und es nachher dann keine sichere Vergleichsmöglichkeit geben würde. Eine Knochenszintigraphie um einen eventuelle Metastasierung der Wirbelsäule festzustellen ist seit einem Monat noch nicht anberaumt.
Man muß immer zwei Seiten hören. Das ist, wie ich bei der Lektüre der Zeitungsmeldungen empfand, nicht geschehen. Sieben Jahre wurde gegen die Ärztin ermittelt, der erste Prozess abgebrochen, zum Schluß stand eine Mordanklage im Raum. Wer maßt sich hier an, die Buchstaben des Gesetzes so knallhart auf ein Gebiet anzuwenden, mit dem sich kaum jemand befassen will, und in welchem die rechten Winkel unseres normalen Alltags verbogen sind. Es ist wirklich am einfachsten, man schaut weg. Die Beschäftigung mit den neurotischen Anteilen von Dschungelcamp-Teilnehmern ist da wirklich befriedigender. Und diejenigen, die sich um vorzeitig vergehendes Leben kümmern und neben dem Kranken und seinen verzweifelten Angehörigen auch noch die Dokumentation und das Budget beachten müssen – und im Fall von Frau Bach auch noch profilsüchtige Gutachter (über die Staatsanwaltschaft will ich jetzt nicht spekulieren) – , die bleiben am besten in der unbeachteten Grauzone und mauscheln so lange vor sich hin, bis einem Sachbearbeiter die hohen Morphindosen auffallen. Vielleicht kommt einmal eine Zeit, da kriegen nicht Leute ein Denkmal hingestellt, die beim Sich-Einmischen zu Tode kommen, sondern auch Leute, die einfach ihre Arbeit machen und sich dabei zwischen sämtlichen Stühlen bewegen müssen.
Ein paar Kommentare in der
Ärztezeitung
Siehe auch den Artikel über die Bewältigung der Kosten im Gesundheitswesen auf ZEIT-Online (und auch die Kommentare)