Donnerstag, 22. Mai 2014

Gleichberechtigung in Deutschland – so war’s

Gestern abend brachte das ARD einen Film über den Kampf von Elisabeth Seilbert im von den Alliierten eingesetzten Parlamentarischen Rat, der ein Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland erarbeiten sollte.
Die konstituierende Sitzung des Rates – wie auch alle weiteren Sitzungen – fand am 1. September 1948 in der Pädagogischen Akademie, dem späteren Bundeshaus, in Bonn statt. Dem Rat gehörten 65 stimmberechtigte Mitglieder aus den westlichen Bundesländern sowie fünf nicht stimmberechtigte Mitglieder aus Berlin an.
Eine der vier »Mütter des Grundgesetzes« (im Rat saßen 61 Männer) war Elisabeth Selbert, deren Lebensgeschichte sich wie ein Kriminalroman liest:

Da der Besuch eines Gymnasiums nicht bezahlbar war, wurde sie schließlich Postbeamtenanwärterin im Telegrafendienst der Reichspost, wie sie auch ihren späteren Ehemann kennenlernte, der sie mit der Politik in Berührung brachte. Im Oktober 1920 ging sie als Delegierte zur ersten Reichsfrauenkonferenz nach Kassel. 1920 heiratete sie und setzte trotz zweier Kinder und beruflicher Tätigkeit ihre politische Arbeit fort. (alle weiteren Zitate aus Wikipedia)

Im Selbststudium bereitete sich Selbert auf das Abitur vor, das sie 1925 an der Luisenschule in Kassel als Externe nachholte. Danach studierte sie zunächst an der Universität Marburg als einzige Frau Rechts- und Staatswissenschaften. Kurz darauf wechselte Selbert an die Universität Göttingen. Hier war sie unter den etwa 300 Studenten eine von fünf Frauen. Selbert selbst störte der Männerüberhang angeblich wenig, aber ihre Professoren schienen manchmal überfordert. Elisabeth Selbert und ihre Kommilitoninnen wurden beispielsweise gebeten, den Hörsaal zu verlassen, wenn der Professor über Sexualdelikte sprach. Nach nur sechs Semestern schloss sie ihr Studium mit Auszeichnung ab.
Elisabeth Selbert promovierte 1930 mit dem Thema Zerrüttung als Ehescheidungsgrund. [Hervorhebung von mir] Bereits damals kritisierte sie das Schuldprinzip, das Frauen bei der Scheidung häufig rechtlos stellte. Sie trat für eine „Entgiftung“ des Scheidungsprozesses ein und forderte ein Zerrüttungsprinzip. Sie war damit ihrer Zeit weit voraus. Ihre Vorschläge wurden erst in der Bundesrepublik Deutschland mit der Eherechtsreform von 1977 aufgegriffen und umgesetzt.
In der Reichstagswahl 1933 kandidierte Selbert auf der hessischen Landesliste für den Reichstag. Der Einzug ins Parlament scheiterte aber wegen der Machtübernahme der Nationalsozialisten.

Zeit des Nationalsozialismus

Bereits in der Anfangszeit der nationalsozialisten Herrschaft verlor Adam Selbert seine Arbeit und wurde in „Schutzhaft“ genommen. Elisabeth Selbert legte 1934 das zweite Staatsexamen ab und stellte kurz darauf, von ihrem Mann gedrängt, den Antrag auf Zulassung zur Anwaltschaft.
Eile war geboten, denn die Nationalsozialisten versuchten, Frauen vollständig aus allen juristischen Berufen zu drängen. Der überzeugte Nationalsozialist Otto Palandt, der zuvor Präsident des Landgerichts in Kassel war, wurde Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes und damit zuständig für die Juristenausbildung und Zulassung zu juristischen Berufen. Am 22. Juli 1934 trat die neue Justizausbildungsverordnung und am 20. Dezember 1934 das Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung in Kraft. Es besagte, dass Frauen als Anwälte nicht mehr zugelassen waren, weil das einen „Einbruch in den altgeheiligten Grundsatz der Männlichkeit des Staates“ bedeute. Von 1935 an wurden nur noch Anträge männlicher Bewerber auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft genehmigt.
Auch Selbert sollte zunächst abgelehnt werden, wurde aber gegen den Willen des nationalsozialistischen Präsidenten, gegen das Votum der Rechtsanwaltskammer und gegen die Entscheidung des Gauleiters und des NS-Juristenbundes am 15. Dezember 1934 am Oberlandesgericht zugelassen. Es waren zwei ältere Senatspräsidenten, die sich für Selbert einsetzten und in Vertretung für den im Urlaub befindlichen Oberlandesgerichtspräsidenten ihre Zulassung unterschrieben. So konnte Elisabeth Selbert 1934 ihre anwaltliche Praxis eröffnen. Da ihr Mann bis 1945 erwerbslos blieb, ernährte sie nun allein die Familie.


Elisabeth Selbert und Friederike (Frieda) Nadig (beide SPD) setzten gegen anfangs heftigen Widerstand, auch aus eigenen Reihen, die Aufnahme des Art. 3 Abs. 2 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ in das bundesdeutsche Grundgesetz durch. (Wikipedia)


Wikimannia kritisiert:
In der Weimarer Verfassung waren Frauen gleichberechtigt und gleichverpflichtet. Heute sind sie nur noch gleichberechtigt.
Der Artikel 109 der Weimarer Verfassung, zweiter Satz, lautete wie folgt: 
Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.
Auf Betreiben von Elisabeth Selbert wurde dieser Text auf folgenden Wortlaut verkürzt:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. (Art. 3 Abs. 2 GG) 
Nun ist nur noch von gleichen Rechten, aber nicht mehr von Pflichten die Rede. Eine Mehrverpflichtung von Männern (siehe Unterhaltsmaximierungsprinzip) ist somit also nicht gegen das deutsche Grundgesetz. (Wikimannia)

Aber das soll die Leistung dieser Frau nicht schmälern! (Im Nachhinein – siehe die unselige Grünen-Pädophilie-Debatte – wissen wir’s natürlich immer besser!)

mehr über Elisabeth Selbert:
- bei Deutsche Biographie 
- bei 150 Jahre SPD
- bei Meinhard privat
- Die Mutter der Gleichberechtigung (ZEIT Online, 15.05.2009)

»Sternstunde ihres Lebens« in der ARD-Mediathek

Viele Dialoge können heute nur noch Kopfschütteln hervorrufen. Im Film befürchteten zwei Frauen »Sodom und Gomorrha«, wenn sich Selberts Vorstellungen durchsetzen würden.

- Rezension bei Deutschlandradio: Gleichberechtigung – Die Mutter des Grundgesetzes
- Rezension im SPIEGEL: Iris Berben als Mutter des Grundgesetzes: Der entscheidende Dreier
- Interview mit Iris Berben: „Trotzdem bewegt sich nichts“ (Tagesspiegel)