Es war einmal ein sehr aufgeweckter kleiner Junge in Australien, der als Fremder der konventionellen Gesellschaft aufwuchs. Als Jugendlicher fand er seine eigene Welt im Cyberspace, die seiner unersättlichen Neugier Raum bot. Als er von der großen Welt da draußen erfuhr und ihren Geheimnissen, entwickelte er sein ureigenes rigoroses Ethos: Seine Berufung war es, nach Fakten zu suchen und sie mit der Öffentlichkeit zu teilen. Sein moralischer Kompass entwickelte sich unabhängig von konformistischen gesellschaftlichen Konventionen. Wahres war wahr, Täuschung war falsch, Lügen der Mächtigen sollten enthüllt werden.
Julian Assanges Ursünde war die gleiche wie die von Galileo Galilei. Galileo sündigte, indem er den Menschen enthüllte, was die Elite bereits wusste oder zumindest erahnte, jedoch vor der breiten Masse geheimhalten wollte, um den Glauben des Volkes an die offizielle Wahrheit nicht zu erschüttern. Assange tat es ihm gleich, indem er WikiLeaks gründete. Dadurch wurde die offizielle Version der Wahrheit infrage gestellt. Alle Lügen sollten offengelegt werden. Die bei weitem heikelsten Ziele seiner weitreichenden Enthüllungen waren die Lügen, die Scheinheiligkeit, die unmenschliche Brutalität der Vereinigten Staaten in ihren Kriegen um die globale Vorherrschaft. In Assanges Augen war all dies schlicht falsch.
Zunächst erzielte WikiLeaks große Aufmerksamkeit und sogar öffentlichen Beifall. Julian Assange wurde berühmt. Er war ein Sonderling, sah aber nicht so aus. Julian war eine seltsame Erscheinung – groß, gutaussehend und markant aufgrund seines fast weißen Haars: ein charismatischer Sonderling.
Als er in Schweden ankam, war er beinahe ein Superstar. Die Schwedinnen versuchten, ihn in ihr Bett zu bekommen. Sie gaben damit an, Sex mit ihm zu haben: Er war als Liebhaber eine Trophäe. Doch der charismatische Sonderling kannte die sozialen Konventionen der eigentümlich schwedischen Formen züchtiger Promiskuität nicht. Diese Wissenslücke nutzten seine Feinde in einer völlig unvorhersehbaren Weise aus.
Ehe Julian Assange Schweden verließ, versuchte er auszubügeln, was wie ein schlimmes Missverständnis schien. Doch die schwedische Seite versäumte es, die Angelegenheit zu klären und er reiste nach London.
In London nahm sich die radikale Hautevolee aus der britischen Upper Class rasch seiner an, die Champagner- und Kaviar-Humanisten. Der naive charismatische Sonderling, der die gesellschaftlichen Normen nicht kannte, glaubte zweifelsohne, dass er unter Freunden war. Er gehörte keiner politischen oder sozialen Bewegung im Vereinigten Königreich an, er war abhängig von der Schickeria, die ihn eine Weile als interessanten Außenseiter betrachtete, als eines ihrer neuesten Projekte.
Julian Assange war vielleicht naiv, was die Gesellschaftsformen anging, er hatte aber ein ganz feines Gespür dafür, was die imperialen Mächte gegen ihn ausheckten. Die völlig ungerechtfertigte Forderung, ihn nach Schweden auszuliefern, damit er dort befragt werden solle – ungerechtfertigt, weil man abgelehnt hatte, ihn zu befragen, als er sich in Schweden aufhielt, und man später ablehnte, ihn in Großbritannien zu befragen [Hervorhebung von mir] – erschien Julian als offensichtlicher Kniff, mit dem Schweden ermächtigt würde, ihn an die Vereinigten Staaten auszuliefern. Schließlich erwies sich das Schweden der Post-Olof-Palme-Zeit als äußerst fügsam gegenüber den Wünschen Washingtons. Andere sahen das nicht so klar, mit Ausnahme des großartigen damaligen ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa. Correa bot Assange Asyl in der winzigen ecuadorianischen Botschaft in London. Assange, unkonventionell und achtlos, was die Gepflogenheiten angeht, doch mit einem klaren Blick für die Gefahr, die auf ihn lauerte, verletzte er die Kautionsauflagen und begab sich in die Botschaft.
Damit begann seine Entfremdung von den Kaviar-Humanisten. Zunächst verteidigte ihn die Schickeria noch. Schillernde Persönlichkeiten wie Jemima Khan und Amal Amamuddin (noch nicht Clooney) setzten sich für ihn ein und verloren dann das Interesse. Er war nicht von ihrer Welt. Er verstand es nicht, Kompromisse einzugehen, er war nun mal ein Sonderling, der sein Charisma zunehmend einbüßte, im Schatten der ecuadorianischen Botschaft verblassend. Schön und gut, Lügen anzuprangern und die Wahrheit zu sagen, aber man sollte es damit nicht übertreiben. Es ist reizvoll, sich für etwas einzusetzen, wenn man einen soliden gesellschaftlichen und finanziellen Hintergrund hat, auf den man zurückgreifen kann, und wenn man es versteht, das Spiel zu spielen, zugleich mit von der Partie und außen vor zu sein. Julian verstand sich nicht auf derartige gesellschaftliche Umgangsformen. Er war ehrlich, entschlossen, stur. Er war unfähig zu Heuchelei, nicht einmal dann, wenn es im eigenen Interesse gewesen wäre. Er wollte nicht wie Galileo abschwören.
mehr:
- Der Lynchmord an einem charismatischen Sonderling (Diana Johnstone, NachDenkSeiten, 11.11.2019 – Hervorhebung von mir)
siehe auch:
- Assange tat nur das, was ein guter Journalist tun sollte (Post, 10.11.2019)
- Die westlichen Völker können noch nicht einmal den Journalisten retten, der ihnen die Wahrheit gesagt hat (Post, 10.11.2019)
„Whoever in our government leaked that information is guilty of treason, and I think anything less than execution is too kind a penalty. (…) And anyone who had access to that level of information was not only a person who understood what their rules were, but they also signed, under oath, a commitment that they would not violate.“
(Wer auch immer aus unserer Regierung diese Informationen weitergegeben hat, hat sich des Hochverrats schuldig gemacht, und ich glaube, alles andere als die Hinrichtung wäre eine zu milde Strafe. … Und jemand, der Zugang zu diesem Grad von Informationen hatte, kannte nicht nur ihre Regeln, sondern hat — unter Eid — eine Verpflichtung unterschrieben, sie nicht zu verletzen.)
[Mike Huckabee, zit. in: Stefan Niggemeier, Bringt ihm den Kopf von Julian Assange!, BildBlog, 02.12.2010 – Hervorhebung von mir]
Dem Portal True Pundit zufolge, das sich auf eine anonyme Quelle beruft, fragte Hillary Clinton bei einem Brainstorming zum Umgang mit der Wikileaks zugespielten US-Diplomatenpost 2010, ob man Julian Assange nicht einfach "drohnen" könne? Der Quelle zufolge lachten die anderen Teilnehmer auf diese Bemerkung hin erst, verstummten dann aber, weil die damalige Außenministerin angespannt und aufgebracht anfügte, immerhin sei Assange ja ein "relativ weiches Ziel", das sich frei bewege und den USA eine lange Nase drehe, ohne Schaden befürchten zu müssen.
Unmittelbar nach dem Treffen soll Clintons damalige Chefplanerin Ann-Marie Slaughter [sic] an die Außenministerin, ihre Stabschefin Cheryl Mills, ihre stellvertretende Stabschefin Huma Abebin und ihren Berater Jacob Sullivan eine E-Mail mit dem Betreff "An SP memo on possible legal and nonlegal [Hervorhebung TP] strategies re Wikileaks" versendet haben, der ein Dokument mit dem Namen "SP Wikileaks doc final11.23.10.docx" beilag. Diese Email und das Word-Dokument sollen zu den gelöschten Daten gehören, die das FBI bislang noch nicht wiederherstellen konnte.
[Peter Mühlbauer, Clinton über Julian Assange: "Können wir den Kerl nicht einfach 'drohnen'"?, Telepolis, 04.10.2016 – Hervorhebungen von mir]
Hillary On Droning Julian Assange: I Was Just Joking! Probably… {5:09}
The Young Turks
Am 24.10.2016 veröffentlicht
Am 24.10.2016 veröffentlicht
A blog called “True Pundit” said there were reports of Hillary Clinton asking why the government couldn’t just assassinate Julian Assange via drone strike. Hillary Clinton’s denial is less than convincing. Cenk Uygur, host of The Young Turks, breaks it down. Tell us what you think in the comment section below. http://tytnetwork.com/join
"At a press conference in Harrisburg on Tuesday, Hillary Clinton said she does not recall ever floating the idea of blowing up WikiLeaks founder Julian Assange with a drone strike, and if she ever had, it was a joke. Assange claims that she wasn't joking, citing online reports...
"I don’t recall any joke,” Clinton said Tuesday afternoon. “It would have been a joke, if it had been said, but I don’t recall that.”...
Hillary Clinton, eyes downcast, stammering: If I talked about droning Julian #Assange, "it would have been a joke.””*
Read more here: http://www.realclearpolitics.com/vide...
Hosts: Cenk Uygur
Cast: Cenk Uygur
***
The Largest Online News Show in the World. Hosted by Cenk Uygur and Ana Kasparian. LIVE STREAMING weekdays 6-8pm ET. http://www.tytnetwork.com/live
"At a press conference in Harrisburg on Tuesday, Hillary Clinton said she does not recall ever floating the idea of blowing up WikiLeaks founder Julian Assange with a drone strike, and if she ever had, it was a joke. Assange claims that she wasn't joking, citing online reports...
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Der UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer hat seine Position zum Fall Assange noch einmal klar gestellt – doch keine Zeitung wollte den Beitrag drucken
Der Sonderberichterstatter des Hochkommissariats für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen, der Schweizer Nils Melzer, der zusammen mit zwei medizinischen Experten Julian Assange im Gefängnis besuchen konnte, hatte in seinem Gutachten am 31. Mai 2019 von der massiven "psychologischen Folter" gesprochen, der Assange seit Jahren ausgesetzt werde und ein sofortiges Ende der "kollektiven Verfolgung" des Wikileaks-Gründers gefordert. "In 20 Jahren Arbeit mit Opfern von Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung", so Nils Melzer, "habe ich noch nie erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammenschließt, um ein einzelnes Individuum so lange Zeit und unter so geringer Berücksichtigung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit bewusst zu isolieren, zu verteufeln und zu missbrauchen".
Klarer und deutlicher als in dem Statement des UN-Folterexperten kann man kaum benennen, welchem menschenunwürdigen Unrecht Julian Assange seit Jahren ausgesetzt ist, doch abgesehen von einigen alternativen Medien erregten diese Anklagen kein größeres Aufsehen. Sie verschwanden sofort wieder aus den Nachrichten und der britische Außenminister Jeremy Hunt verbat sich die "hetzerischen Anschuldigungen" des UN-Berichterstatters.
Zur Klarstellung seiner Position und seiner Argumente hatte Nils Melzer dann im Juni einen Artikel verfasst und ihn dem Guardian, der Times, der Financial Times, dem Sydney Morning Herald, dem Australian, der Canberra Times, dem Telegraph, der New York Times, der Washington Post, der Thomson Reuters Foundation und Newsweek zur Veröffentlichung angeboten. Keine dieser Zeitungen wollte ihn veröffentlichen und er erschien dann online auf medium.com (Demasking the Torture of Julian Assange).
[Mathias Bröckers, Präzedenzfall WikiLeaks, Telepolis, 01.07.2019 – Hervorhebung von mir]