In diesem Sommer jährt sich zum 10. Mal ein Ereignis, das in meinem persönlichen Leben tiefe Spuren hinterliess. Es war gleichbedeutend mit einer Zäsur. In diesem Sommer 2006 debattierte die Schweiz heftig um die Revision des Asyl- und Ausländergesetzes. Dieses Gesetz war zwar in den Grundzügen schon vorher in wesentlichen Teilen aufgegleist worden. Verschärft und vertreten wurde es aber durch den damaligen Bundesrat Christoph Blocher. Dieser Umstand war sicher auch ein Grund dafür, wie heftig dieser Abstimmungskampf geführt wurde. Fast alle Medien, viele Kulturschaffende und unser eigenes linksgrünes Umfeld kämpften erbittert gegen diese Vorlage, wetterten gegen einen «Lügenbundesrat», der Probleme aufbauschte und Fremdenfeindlichkeit schürte
Ich war damals ein aktives Mitglied der Grünen Partei und überzeugtes Mitglied der Gewerkschaft VPOD. Ich war aber auch Lehrer an einem Oberstufenzentrum der Stadt Biel und als solcher konfrontiert mit den vielen realen Problemen, welche uns Teile der zweiten und zum Teil dritten Generation der Migranten in der Schule bescherten. Es war eine schwierige Zeit. Unsere auf Toleranz und Verständnis eingestellten Schulen waren teilweise überfordert mit dem flegelhaften Verhalten von Teilen dieser Schülergeneration. Massive Unterrichtsstörungen, unzählige nervenaufreibende Gespräche mit den Eltern dieser Jugendlichen, der Auftritt immer zahlreicherer Institutionen, welche einbezogen werden mussten oder wollten, führten unter anderem zu einer enormen Fluktuation im Lehrkörper.
Die Schweizer zogen weg oder suchten sich eine Privatschule
Die tiefer eingestuften Realklassen füllten sich mit fremdsprachigen Schülerinnen und Schülern, die Schweizer Eltern nahmen ihre Kinder aus diesen Klassen, zogen in andere Wohngegenden oder suchten sich eine Privatschule. Darunter auch mir bestens bekannte linke Persönlichkeiten, welche in Sonntagspredigten das Hohelied der Toleranz und des Willkommens sangen, ihre eigenen Kinder aber nicht als Klempner einer schief gelaufenen schulischen Integration sahen und sie nicht in den Brennofen multikultureller Schwärmereien schicken mochten.
Ich sass mit Kurt, Bruno und Peter, alles solide linke Lehrerkollegen in der symbolträchtigen Rotonde, das Restaurant des ehemaligen Volkshauses. Wir standen vor einem schwerwiegenden Entscheid. In zahlreichen Vorgesprächen war es uns längstens klar. Wir würden alle für diese Gesetzesrevision stimmen. Unsere Erfahrungen aber auch unsere nüchternen Analysen liessen uns eigentlich keine Wahl. Die hysterische Kampagne unserer linksgrünen Freunde hatte nichts mit dem vorliegenden Problem zu tun. Am meisten aber bekümmerte uns die Erosion der Bildungsqualität und damit verbunden die Tatsache, dass sich mit dieser Entwicklung ein nachhaltiger Schulerfolg für unsere Migrantenkinder unmöglich einstellen konnte. Kein Lehrer hat es gerne, wenn seine Schüler nichts lernen.
Wir hatten deshalb beschlossen, unseren Dissenz öffentlich zu machen und verfassten dazu eine Art Erklärung. Diese schickten wir dem VPOD-Lehrermagazin, unserem Verbandsblatt. Ich selber hatte einen wesentlichen Teil meiner linken gewerkschaftlichen Tätigkeit mit der Herausgabe dieser Zeitung verbracht und war lange Zeit Mitglied der Redaktion. Wir erhielten keine Antwort. Darauf schickten wir den Artikel der WOZ, quasi als Diskussionsbeitrag. Auch hierauf gab es keine Antwort. Die Zeit drängte und ich war beleidigt.
mehr:
- Zum 10-jährigen meines Austritts aus der linken Bewegung (Alain Pichard, Achgut.com, 23.06.2016)
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Donnerstag, 23. Juni 2016
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