Donnerstag, 27. Dezember 2012

Ein kleiner Traum oder Gottes größtes Geschenk

Ausschnitt aus »Die Seinebrücken«

Es war einmal ein Traum, und dieser Traum lebte bei Gott. Gott träumte, er selber wohne mitten unter den Menschen und alle hätten endlich begriffen, dass er nichts mehr wünschte als gelungenes, geglücktes und entfaltetes Leben für alle Lebewesen.
Aus Liebe zu seiner Schöpfung wurde Gott erfinderisch und träumte von einem Garten des Lebens, in dem allein die Liebe herrscht. Krankheit, Not und Elend waren verschwunden, und es gab keinen Krieg, keinen Streit und keine Boshaftigkeiten mehr. Gott träumte, er selber werde jede Träne von den Augen der Weinenden und Leidenden trocknen.
Allein, dieser Traum Gottes war beinahe zu schön, um wahr zu sein. Dies spürte keiner deutlicher als der Traum selbst. Wenn er sich mit der Lebenswirklichkeit auf der sichtbaren Welt verglich, wurde er traurig, weinte und haderte mit Gott: „Was bist du nur für ein Gott? Du wohnst in deinem Himmel und lässt die Welt sehen, wie sie zurechtkommt. Du träumst die buntesten Träume von einem glücklichen Leben, aber auf der Erde geht es ganz anders zu. Machst du es dir nicht zu einfach mit deiner Welt?” – „Auch ich sehe das alles”, antwortete Gott ihm. „Du tust mir unrecht, wenn du glaubst, dass es mich nicht trifft. Es tut mir weh, was aus meiner Welt geworden ist. Aber meine Geschichte mit dieser Welt und den Menschen ist noch lange nicht zu Ende, kleiner Traum.” – „Aber sieh doch”, entgegnete ihm der Traum, „die Augen so vieler Menschen sind stumpf und leer geworden, als ob die Träume in ihnen gestorben seien. Was bin ich schon für diese Welt? Ein kleiner Traum, der nicht weiter ernst genommen wird.”
Ausschnitt aus
»Die Seinebrücken«
„Die Welt wird verwandelt von der Phantasie der Liebenden”, antwortete Gott. „Sie wird nur dann wirklich lebendig, wenn die Liebe in den Herzen der Menschen erwacht. Das muss ganz klein und still anfangen wie ein Funke Sehnsucht oder ein kleiner Traum. Ein Traum, ja ein Traum vermag die Menschen wohl aus ihrer Erstarrung und Mutlosigkeit zu reißen!”
In diesen Worten brach mit Macht die liebevolle Lebenskraft Gottes durch. Der Traum wurde angesteckt von der Lebenssehnsucht Gottes. Er wollte Wirklichkeit werden in dieser Welt, die so anders war. „Du wirst es nicht leicht haben”, antwortete er ihm. – „Die Menschen können deinen himmlischen Körper mit ihren irdischen Augen nicht erkennen. Du wirst für sie unsichtbar sein und nur aus ihren Herzen zu ihnen sprechen können. Viele Menschen aber glauben der Stimme ihres Herzens nicht mehr und meinen, was man nicht sehen könne, existiere deshalb nicht und könne niemals Wirklichkeit werden. Daher ist es wichtig, dass du einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen findest, bei denen du wohnen und lebendig werden kannst. Dann wirst du nicht länger unsichtbar sein für die Welt, du wirst Hand und Fuß bekommen. Geh jetzt, kleiner Traum, und lebe.”
So machte sich der kleine Traum auf seine große Reise. Jahrtausend um Jahrtausend wanderte er unermüdlich durch die Welt und gelangte auch in eines der ältesten Bücher der Menschen, das sie bis heute heilig halten. „Nun kann ich nicht mehr sterben”, dachte der kleine Traum, „nun werde ich endlich leben,”
Aber es kam alles anders. Denn jetzt war er in dicken Büchern und wohlklingenden Reden gefangen, und gelehrte Menschen stritten sich darüber, wie er denn nun zu verstehen sei. Über alle Auslegung vergaßen die Menschen jedoch nur allzu schnell, dass dieser Traum nicht zuerst in lehrreichen Büchern und auf Papier geschrieben sein wollte, sondern ins Herz jedes einzelnen Menschen.
Manchmal ließen sich Menschen in dunklen Stunden ihres Lebens von diesem Traum anstiften und versuchten, seinen Lichtern zu folgen. Am Tage aber schoben sie ihren Traum von einer menschlicheren, gerechteren Welt schnell wieder beiseite. „Träume sind Schäume!” sagten sie dann entschuldigend.
So wanderte der Traum weiter und weiter. Aber soviel er auch suchte, er fand keinen Menschen, der ihm Vertrauen schenken wollte. Da wurde er immer trauriger, und große Müdigkeit kam über sein Herz. Er schrie zu Gott: „Die Menschen bringen mich ums Leben, noch bevor sie mir eine Chance gegeben haben. Sie wollen mich nicht, sie haben keinen Platz für mich in ihrer Welt.”
Gott aber nahm den traurigen Traum zu sich und tröstete ihn. „Warum trauen sie dir nicht? Warum glauben sie lieber ihrer Angst und nicht daran, dass am Ende das Gute und die Liebe siegen werden?”
Gott war sehr nachdenklich geworden. Vielleicht meinten die Menschen, er nähme sie nicht ernst genug? Vielleicht musste er ihnen noch weiter entgegenkommen, ja, vielleicht sollte er ihnen ein Beispiel geben? „Wenn die Menschen dir nicht Hand und Fuß geben, dann werde ich es selber tun! Einer muss doch anfangen und die Welt aufbrechen für die Weite und Wirklichkeit des Himmels, sonst ersticken sie am Ende in der Enge ihrer Angst. Ich werde den Menschen ein großes Geschenk machen: Ich gebe ihnen ein Leben für die Welt, damit sie endlich begreifen, dass die Phantasie der Liebe größer ist als die Angst und stärker als das Leid und lebendiger als der Tod.”
So nahm eine neue Geschichte ihren Anfang, als der Lebenstraum Gottes in dem kleinen Kind eines jungen Liebespaares auf der Erde zu atmen begann.



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