Freitag, 21. Dezember 2018

Der geplatzte Traum von der perfekten Reportage

Relotius entstammt der Digital-Natives-Generation, in der Journalismus so verstanden wird: Handy hochhalten, Kamera einschalten und ab ins Netz

Da ich den "Spiegel" nur noch bei meinem Hausarzt lese, muss es in dessen Wartezimmer gewesen sein, wo ich in Kontakt mit Claas Relotius gekommen bin. Zumindest mit seinem in dem Nachrichtenmagazin erschienen Artikel über "Jaegers Grenze", eine Bürgerwehr in Arizona. Mich hatte die Geschichte interessiert, weil ich selbst vom Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko berichtet habe, freilich aus Texas. Der Rio Grande ist dort übrigens nur knietief, man kann ihn einfach zu Fuß durchwaten.

Der Artikel von Relotius war toll geschrieben, so empfand ich damals beim Lesen, mit vielen interessanten Details, anscheinend hatte der Reporter mehrere Tage mit der Miliz im Gelände verbracht. "Sieh an", war damals meine Reaktion, "der Spiegel hat es doch drauf!" Diese Dichte der Beschreibung war mir nicht gegeben. Und ich erinnere mich noch an das Gefühl des Verwundertseins, wie der Reporter es schafft, sich so einer Truppe anzuschließen.

Seit Mittwoch, dem 19. Dezember, ist klar, dass diese und viele anderen Geschichten von Relotius ganz oder in Teilen erfunden sind. Sagt jedenfalls die Spiegel-Redaktion, die von einem "Betrugsfall im eigenen Haus" spricht und davon, dass ihr Star-Reporter "in großem Umfang eigene Geschichten manipuliert" habe. Aufgeflogen ist die ganze Sache, weil ein Kollege, der Co-Autor der "Jaeger"-Geschichte, anhand von Fotos Lunte gerochen hatte. Denn die Bürgerwehr-Story ist mit Bildern des Fotografen Jonny Milano illustriert. Diese Fotografien erschienen aber bereits in 2016 in der New York Times und der bärtige Mann, der sich in der Spiegel-Story "Jaeger" nennt, wird dort mit seinem vollen Namen genannt: Chris Maloof. Und als Co-Autor Juan Moreno diesen Mann ausfindig macht und befragt, sagt dieser, einen Spiegelreporter namens Claas Relotius habe er nie gesehen.

mehr:
- Der geplatzte Traum von der perfekten Reportage (Rudolf Sturmberger, Telepolis, 21.12.2018)

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