Samstag, 4. April 2020

Ukraine: Der IWF im Krieg Reich gegen Arm

Während in westlichen Ländern Bürger über den Entzug von demokratischen Rechten im Zuge der Corona-Krise klagen, geht es in der Ukraine um nicht weniger als den Verlust der letzten noch verbliebenen Errungenschaft, dem landwirtschaftlichen Boden, der sieben Millionen Kleinbauern und dem Staat gehört. Präsident Wolodymir Selenski nutzte die Bestimmungen der Corona-Quarantäne, unter denen Demonstrationen verboten sind, um ein Bodengesetz in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament durchzupeitschen, dass den Interessen der großen ukrainischen Agrar-Holdings entspricht und nach einem Referendum auch den Verkauf von landwirtschaftlicher Fläche an ausländische Banken ermöglicht. Von Ulrich Heyden, Moskau. 

259 von 450 Rada-Abgeordneten stimmten auf einer außerordentlichen Sitzung des Parlaments in der Nacht auf Dienstag für das neue Bodengesetz. Selenski hatte auf die Verabschiedung des Gesetzes gedrungen. Er folgt damit einer Forderung des IWF, der die Zahlung der nächsten Kredite in Höhe von acht Milliarden Euro von der Verabschiedung eines neuen Bodengesetzes abhängig machte. In der Nacht auf Dienstag wurde die Abstimmung in einer außerordentlichen Sitzung vollzogen, nachdem man ein Jahr lang über das Gesetz debattiert hatte. Die Bevölkerung wurde in die Debatte nicht mit einbezogen. Proteste von verschiedenen gesellschaftlichen Organisationen und auch von Nationalisten wurden überhört. Selenski hatte die Verabschiedung des Bodengesetzes damit begründet, dass die Ukraine der Staatsbankrott drohe, wenn der Kredit des IWF nicht kommt.

Kleinbauern werden übergangen

Nach dem nun verabschiedeten Bodengesetz wird das 2001 eingeführte Moratorium über den Verkauf von landwirtschaftlichem Boden im Juni 2021 aufgehoben. Bis zum Jahr 2024 dürfen nicht mehr als hundert Hektar an eine Person mit ukrainischer Staatsbürgerschaft verkauft werden. Ab 2024 können dann an eine Person oder Firma 10.000 Hektar verkauft werden.

Der größte Skandal an dem neuen Gesetz ist die schleichende Enteignung von sieben Millionen Kleinbauern. Dabei handelt es sich um ehemalige Arbeiter von Kolchosen, denen bei der Privatisierung der Kolchosen vier Hektar Land zugeteilt wurde.

Die Ukraine hat eine Fläche von mehr als 60 Millionen Hektar. 28 Million Hektar gehören den ehemaligen Kolchos-Arbeitern oder ihren Kindern.1 Zehn Millionen Hektar gehören dem Staat. Bei diesen Zahlen sind die Krim und der Donbass mitgerechnet.

75 Prozent der ehemaligen Kolchos-Arbeiter haben ihre Flächen an große Agro-Holdings verpachtet. Nach dem neuen Bodengesetz haben die Pächter – meist große Agrarholdings, Beamte und auch Mafia-Strukturen – ein Vorrecht auf den Kauf des gepachteten Bodens. Wenn der Pächter den Boden nicht kaufen will, kann er sein Recht auf den Kauf einem anderen Interessenten übergeben. Der eigentliche Besitzer des Bodens hat dagegen kein Einspruchsrecht.

Die Agro-Holdings zahlen den Kleinbauern zurzeit jämmerlich geringe Pachtgebühren von nur 47 Dollar Hektar pro Hektar. In Polen beträgt die Pachtgebühr für einen Hektar 235 Euro.

Bei einer 2017 vom Institut für Agrarwirtschaft durchgeführten Befragung waren nur zehn Prozent der Kleinbauern bereit, ihre Flächen zu verkaufen. Der Grund ist einfach. Der Boden sichert das Überleben seiner Besitzer gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

Wegen der faktischen Macht der Pächter sei absehbar, dass es beim Verkauf der Böden keine Auktionen geben werde, meint das ukrainische Internetportal Strana.ua. Und mit der Bezahlung des gekauften Bodens würden sich die neuen Land-Barone Zeit lassen.

mehr:
- Ukraine erfüllt eine Forderung des IWF und gibt ihr Ackerland zum Ausverkauf frei (Ulrich Heyden, NachDenkSeiten, 03.04.2020)
siehe auch:
Herrhausen befürwortete Schuldenschnitte – und wurde ermordet (Post, 01.12.2019)
Grossbanken sind stärker subventioniert als die Landwirtschaft (Post, 15.08.2019)
- IWF: Extrawurst für Pleite-Ukraine (Ralf Streck, Telepolis, 09.12.2015)
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