Ich muß gestehen, auch ich war erstmal empört. Aber man kann’s mit ein bißchen guten Willen auch so sehen: Bei ZEIT Online
Übrigens:
»Wie jedem Mitglied des Bundeskabinetts steht der Gesundheitsministerin ein Dienstwagen zu. Wie jedes Mitglied der Regierung darf sie den ausdrücklich privat nutzen, und ausdrücklich im In- wie im Ausland. Wie jeder andere Dienstwagenbenutzer muss sie bloß die privaten Kilometer als geldwerten Vorteil versteuern. Schmidt führt Fahrtenbuch. Für das vorige Jahr verzeichnet es 6111 Privatkilometer, ordentlich verrechnet und aus der Privatkasse gezahlt.« (aus ZEIT Online)
Also: unter Saure-Gurken-Zeit ablegen
VON MARC ENGELHARDT
Otjivero. Die Sonne scheint für alle an diesem Morgen in Otjivero, einer 1200-Einwohner-Gemeinde gut 100 Kilometer östlich von Namibias Hauptstadt Windhuk. Sana Gaueroman wärmt sich in ihren Strahlen, während sie vor der Krankenstation des Dorfes darauf wartet, dass ihre zweijährige Tochter Paloma zur Polioimpfung aufgerufen wird. „Eigentlich hätte sie die schon kurz nach der Geburt bekommen sollen, aber das konnte ich mir nicht leisten“, gesteht die arbeitslose Mutter. Vier namibische Dollar kostet die Impfung, 32 Euro-Cent. Aber die hatte Gaueroman nie übrig.
Das hat sich geändert. In Otjivero fließt das Geld – garantiert. Jeder Bürger erhält monatlich 100 Namibia-Dollar (acht Euro). Reich ist man damit nicht, aber leben kann man davon. Tun muss man dafür nichts, es gibt keine Bedingungen. Wer in Otjivero lebt, bekommt das Geld. So einfach ist das.
Kaum jemand konnte es glauben, als im Januar 2008 Bischof Zephania Kameeta, eine Art namibischer Desmond Tutu, im schäbigen Otjivero auftauchte, um den Geldsegen zu versprechen. Der auf dem Dorfplatz versammelten Menschenmenge rief der 62-Jährige irgendwann zu: „Ich bin nicht den langen Weg aus Windhuk hierhergekommen, um zu lügen, dafür bin ich zu alt.“ Die Leute staunten. Richtig ernst genommen, sagt Kameeta, hätten die meisten ihn aber wohl erst, als Monate später die Zählung der Bürger begann. „Das ganze war eine Nacht-und-Nebel-Aktion, selbst die Helfer haben wir erst unmittelbar vor der Abfahrt aus Windhuk informiert“, erinnert sich Dirk Haarmann, der gemeinsam mit seiner Frau Claudia das Projekt zum Grundeinkommen in Otjivero im Auftrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche Namibias begleitet hat.
Die Geheimnistuerei sollte verhindern, dass Außenstehende in Otjivero einströmen. Denn nur wer am Stichtag registriert wurde und jünger war als 60 Jahre, bekommt das Geld: genau 930 Menschen. Außer Rentnern, die staatliche Grundversorgung erhalten, kriegt jeder die 100 Dollar, vom Säugling bis zum Familienvater, vom Bettler bis zum Kaufmann. „Das Grundeinkommen befreit die Menschen vom täglichen Existenzkampf“, erklärt Haarmann. „Hunger macht ökonomisch keinen Sinn“, glaubt der ordinierte Theologe, der aus dem rheinischen Mettmann stammt. „Nur wer nicht hungert, wird wirtschaftlich aktiv und kann sich selbst aus der Armut befreien.“ Damit stützt er den Bericht einer staatlichen Kommission, die der Regierung schon vor sechs Jahren die Einführung des Grundeinkommens für jeden Bürger als Beitrag zum Ausgleich sozialer Schieflagen empfohlen hat. „Aber die Regierung hat gezögert und gezögert, bis Kirchen, Gewerkschaften und Verbände gesagt haben: Jetzt wollen wir einfach mal einen Feldversuch wagen.“ Es ist das erste Modellprojekt seiner Art weltweit. Der Ende Juni vorgelegte Abschlussbericht legt den Schluss nahe, dass es ein spektakulärer Erfolg war.
Finanziell, so hat Haarmann ausgerechnet, wäre die flächendeckende Einführung des Grundeinkommens kein Problem. Namibia hat eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen Afrikas. Hier liegen die Diamanten in der Wüste herum, die deshalb mit hohen Zäunen abgesperrt ist in Areale, die Sperrgebiete heißen. Deshalb ist die Schere zwischen Arm und Reich kaum irgendwo größer als hier: Zwei Drittel der Namibier leben unterhalb der Armutsgrenze. Maximal vier Prozent des Bruttosozialprodukts wären nötig, so glaubt Haarmann, um die Lage grundlegend zu ändern. Finanziert werden soll das Grundeinkommen über Steuern, die Reiche stärker belasten, und über Einsparungen: Weil jeder das Gleiche bekommt, ist keine Überprüfung nötig und kein bürokratischer Überbau. Das macht die Sache für den Staat attraktiv.
Kein Schlaraffenland, aber ein besserer Ort: Otjivero, das Hoffnungsdorf in Namibia. rtr
Einer der Profiteure in Otjivero ist John Thomason, der in der Morgensonne seine einjährige Tochter Hildegard auf dem Arm hält. „Ich kann jetzt einen alten Pick-up abbezahlen.“ Sein Hof ist übersät mit Ersatzteilen, mit Autos kennt Thomason sich aus. Doch das nötige Kapital fehlte ihm bisher. „Wenn Leute in die Stadt wollen, dann lade ich sie auf die Ladefläche und fahre sie die 50 Kilometer.“ Zehn Namibia-Dollar verlangt er für die Hin- und Rückfahrt, bis zu zwölf Personen bekommt Thomason locker zusammen: Wegen des Grundeinkommens gibt es nun auf einmal zahlende Kunden. Wenn Thomas seine Kosten abrechnet, bleibt genug zum Leben und um das Schulgeld für seine Kinder zu bezahlen. Früher hat der 43-Jährige wie die meisten in Otjivero gar keine reguläre Arbeit gehabt. Seine Frau hat auf einem schmalen Streifen staubiger Erde versucht, ein bisschen Gemüse anzubauen.
Otjivero war nicht nur arm, sondern als Hort von Ganoven und Taugenichtsen verschrien. „Ein Pfarrer hat mich gewarnt: Dieses Dorf ist ein Krebsgeschwür, geht da nicht hin“, erinnert sich Haarmann. Inzwischen, berichten die Dörfler stolz, seien die Farmer der Umgebung sogar bereit, Leute aus Otjivero als Erntehelfer oder Handlanger einzustellen. „Das wäre früher nicht möglich gewesen“, frohlockt Steven Eigowab.
Eigowab ist Chef des 18-köpfigen Komitees, das die Dorfbewohner kurz nach der Zählung gewählt haben. Die Idee hatten sie selbst. Das Komitee half mit, bei der ersten Geldausgabe Ordnung zu schaffen: Sonst wären viele der Wartenden bei dem Ansturm auf die Kasse wohl zertrampelt worden. Inzwischen weiß jeder, dass genug Geld für alle da ist. Das zweite Problem ist delikater: die richtige Verwendung der Hilfen. „Wir wollen nicht, dass alle ihr Geld gleich am Ausgabetag versaufen.“ Genau das nämlich werfen die Kritiker dem Projekt vor: Den Untätigen werde Geld in den Rachen geworfen. Anstatt Arbeit zu belohnen, werde Faulheit finanziert. Und tatsächlich feierten die 13 Kaschemmen am Abend des ersten Ausgabetags das Geschäft ihres Lebens. Wegen Trunkenheit und ,ungebührlichen Verhaltens? nahm die Polizei ein paar Bewohner mit in die Ausnüchterungszelle. Andere trugen einige Tage später stolz ein neues Handy oder anderes Konsumgut zur Schau.
Das hat sich gegeben. Der Abschlussbericht für die namibische Regierung zieht nun eine fast begeisterte Bilanz: Der Prozentsatz mangelernährter Kinder ist von 42 auf 10 Prozent gefallen; die Zahl der Kinder, die aus finanziellen Gründen nicht zur Schule gehen, sank um 42, die Kriminalitätsrate um 47 Prozent. Das für die Nachhaltigkeit des Projekts aber vielleicht wichtigste Ergebnis ist dieses: Die Menschen haben das Grundeinkommen vermehrt. Das Durchschnittseinkommen aus Beschäftigung, selbstständiger oder angestellter, stieg von 118 namibischen Dollar auf 152 – ohne das Grundeinkommen. Mit solchen Zahlen, so hofft Kameeta, wird man die Regierung von einer Ausweitung des Grundeinkommens überzeugen können.
aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 2. Juli 2009