Mittwoch, 8. Oktober 2008

Ärzte und die Finanzkrise

Ein Allgemeinmediziner muß Geld zurückzahlen. Glücklicherweise nicht so viel, wie er dachte… (bei FR Online)

Vor einiger Zeit hatte ich ein zwanzigminütiges Telefonat mit einer Frau von der Kassenärztlichen Vereinigung. Diese teilte mir mit, ich müsse bei der Ziffer 35110 die Zeit mit eingeben.

Wenn ich ein Erstgespräch führe, rechne ich keine Probesitzung ab, das finde ich nicht in Ordnung. Ich brauche, um die Personalien aufzunehmen, ja eine Viertelstunde,
da kann ich keine Psychotherapiesitzung abrechnen. Also: zweimal Ziffer 35110 Verbale Intervention bei Psychosomatischen Krankheitszuständen, Dauer: mindestens 15 Minuten, macht 430 Punkte. Weil ich damit über die 10%-Grenze rutsche (nicht mehr als 10% Punkte aus Leistungen außerhalb eines Psychotherapie-Antragsverfahrens erbringen, sonst werde ich abgestaffelt), kriege ich dafür über den Daumen 7 EUR. (Daß die Patienten von Gesetzes wegen das Recht auf 5 Probestunden haben, wodurch ich bei einer Kurzzeittherapie von 25 Stunden schon bei 20% nicht genehmigungspflichtigen Punkten lande, meine Abstaffelung also schon ins System eingebaut ist, dient der Standortsicherung Deutschland.)

Damit ich also die Krankenkasse über die zweimal 3,50 EUR nicht übers Ohr haue, muß ich in mein Programm eintragen, wann ich mit den 15 Minuten angefangen habe. Und weil das Auswerteprogramm der KV in meiner Quartalsabrechnung die Zeitfelder in meinem Praxisprogramm nicht lesen kann, habe ich mit der Frau zusammen ausprobiert, was für ein Feld das sein soll (sie wußte nur: Feld, sagen wir mal 5504. Kann ich nix mit anfangen.): Aha, fanden wir nach einer Viertelstunde raus, es ist das Feld, in denen ich die Bemerkungen eingebe. Jetzt ist alles in Ordnung bei mir.

Was ist nicht in Ordnung? Nun, für die Hypo Real Estate sollte ein Rettungspolster von 26 Milliarden Euro geschnürt werden, und die Deutsche Bank, die sich daran beteiligte, schickte mal jemanden zur HRE zum Nachgucken. Und, siehe da: da war doch noch was! Ich weiß nicht genau wieviel, ich glaube mich erinnern zu können, daß es zusätzlich nochmal 25 Milliarden waren. Und keiner hatte was gesagt. Ist doch scheißegal, ob der Staat mit 25 oder doppelt so viel Milliarden in die Bresche springen muß. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Kotzen wäre: die Süddeutsche meldete noch am 29.9., der Finanzminister habe sich bei einer Sitzung des SPD-Präsidiums »überzeugt gezeigt, dass die Lage in Deutschland unter Kontrolle sei. ›Er hat den Eindruck erweckt, dass man das alles im Griff behalten kann‹, hieß es.« Was mich freut ist die Tatsache, daß sich Steinbrück nun vorgeführt fühlen muß. Zum damaligen Zeitpunkt war das im Geschnürt-Werden begriffene Rettungspaket noch 25 Milliarden Euro dick. Und weiter hieß es im SZ-Artikel: »Bundesbank und die oberste Finanzaufsicht BaFin hatten dem Finanzkonzern am Montagmorgen den Rücken gestärkt. Das geschnürte Rettungspaket zusammen mit einem Bankenkonsortium sichere die Marktfähigkeit des Immobilien- und Staatsfinanzierers.« Klingelt’s? Man holt erst den Staat mit ins Boot, und dann erklärt man ihm sachte, wofür er denn nun letztlich gerade zu stehen hat.

Und wer Steinbrück kennt, weiß, daß es um seine Magenschleimhaut nicht zum Besten steht. Aber es sollte lohnenswert sein, sich mal einige Minuten lang zu überlegen, wie die Leute von der Hypo Real Estate drauf sind!

Alle reden von Politikverdrossenheit. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich da noch sagen soll. In der Medizin wird auch noch das letzte Kubikmilimeterchen aus Marmeladenglas rausgekratzt, die Krankenkassen lügen ihren Mitgliedern die Hucke voll, Ärzte haften mit ihrem Privatvermögen für ihre Verschreibungen, und das Ergebnis ist, daß ich mit meiner Wehrlosigkeit dem systemimmanenten Abstaffelungsbetrug gegenüber letztlich auch noch diese Milliardenzocker subventioniere.


Und da ich schon mal dabei bin, ein Schmankerl aus einem Artikel (»DER NEUE PAUSCHALEN-EBM 2008: Die Kritik hält an«) im Deutschen Ärtzeblatt vom Januar 2008:

»Auch der neue EBM schafft ein altes Problem nicht aus der Welt: Die Psychologischen Psychotherapeuten [falsch: alle, auch die ärztlichen Psychotherapeuten] haben vor dem Bundessozialgericht erstritten, dass ihr Einkommen bei maximalem Einsatz mindestens dem Durchschnittseinkommen der Fachärzte [stimmt nicht: vergleichbarer Fachärzte] entsprechen muss. Nach einem Beschluss des Bewertungsausschusses ist es aber nicht möglich, dieses Mindesteinkommen zu überschreiten. Best findet, es solle auf Dauer keine Höchstgrenze geben: ›Das Bundessozialgericht hat nicht verboten, dass ein Psychotherapeut mehr verdienen darf.‹«

(Hervorhebungen und Bemerkungen von mir)

Motto: Psychotherapeuten wissen nix, können nix, haben aber für alles Verständnis.
Das erinnert mich an die Lorentz-Transformation: Die Formel (im Link ganz unten) verhindert (wow, eine Formel, die verhindert), daß die Lichtgeschwindigkeit erreicht werden kann.


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