Als ich an meiner Doktorarbeit geschrieben habe, kursierte der Begriff der »kleinsten veröffentlichbaren Einheit«. Auf deutsch: wieviele Beobachtungen/Versuche muß ich machen, um das in einer Zeitschrift unterzukriegen. Auch habe ich gehört, daß es für einen bestimmten Bereich (ich möchte da nicht genauer werden) nur weniger als ein halbes Dutzend von Leuten gibt (in meinem Fall drei), die über die Veröffentlichung eines sogenannten »Papers« in einer deutschen Fachzeitschrift (und das bedeutet oft: im gesamten deutschsprachigen Raum) zu bestimmen haben. Mit diesen Leuten mußte man sich gut stellen. Natürlich, weil die Karriere von der Anzahl der Veröffentlichungen abhängt. Und nicht nur das: auch die Position in der Schlange der Verfasser ist wichtig. Also soundsoviel Veröffentlichungen mit Stellung an erster Stelle, soundsoviel Veröffentlichungen mit Namensnennung an zweiter Stelle usw. Was das für das Klima in einer Universitätsabteilung für Auswirkungen hat, ist klar.
In meiner Studentenzeit nahm ich im Rahmen eines Praktikums täglich um 14 Uhr an einer Besprechung aller zur Fachrichtung gehörenden Ärzte teil (auch hier möchte ich nicht genauer werden). Dies fand an einem etwa sechs bis sieben Meter langen Eichentisch statt, an der Kopfseite saß der Chef. Wenn der sich eine Zigarette aus dem Kittel fummelte, stürzte mindestens ein Drittel der etwa 25 anwesenden Ärzte auf ihn zu und hielten ihm – klack, klack, klack – ihre brennenden Feuerzeuge vors Gesicht, unter denen er sich das passende aussuchen konnte. Ich war völlig konsterniert ob dieses kriecherischen Verhaltens. Später konnte ich das dann nachvollziehen.
Wenn ich mit einem Doktortitel rumlaufe, fragt kein Mensch danach, wie sehr ich mich dafür krumm gelegt habe. Doktorarbeiten in Mathematik und Physik sind generell schwierig, Doktorarbeiten in Medizin, wenn man es drauf anlegt und einen wohlmeinenden Chef hat, teilweise sehr leicht zu bekommen.
Als ich bei der Bundeswehr war, war ich Zeitnehmer beim 5000-Meter-Lauf. Ein altgedienter Oberfeldwebel keuchte mit letzter Kraft durchs Ziel: leider 25 Sekunden zu langsam. Als ich dies dem aufsichtführenden Leutnant meldete, guckte der mich mit nach oben gezogener Augenbraue an: wieviel? Nach dem dritten Nachfragen begriff ich und nannte eine Zeit, knapp unter der geforderten: der altgediente »Oberfeld« konnte freudestrahlend sein silbernes Sportabzeichen an die Brust heften, und alles war in Ordnung.
Das Verbiegen von Regeln gehört zum täglichen Spiel, und das Zauberwort von uns Psychotherapeuten lautet »Elastizität«. Jeder muß für sich allein entscheiden, wie elastisch er ist. Und jede Gesellschaft muß für sich entscheiden, wieviel Elastizität für sie zu- bzw. abträglich ist. Doof ist’s immer nur, wenn’s raukommt.
Links zu
Raphael’s Pflock: Guttenberg und Zehnpfennig (Guttenberg hat sogar schon in der Einleitung abgeschrieben)
Wissenslogs: Guttenberg Roadkill, Artikel und Diskussion
GuttenPlag Wiki mit Links zu Plagiatsnachweisen (bis jetzt 17.2., 20:55h 48 Stellen) und Diskussion
Vom Blog für wissenschaftliche Redlichkeit dachte ich anfänglich, er sei nur im Kielwasser der Guttenberg-Affäre Nr. 3 (oder schon 4) gegründet worden, anscheinend gibt es ihn aber schon seit Juni 2010: Artikel und Diskussion
eigene Links:
Nachdem sich die Anzahl der wahrscheinlich nachweisbaren Plagiat-Stellen 12 Stunden später auf 76 erhöht hat, hier noch drei Fundstellen aus zu Guttenbergs vita:
»Nach dem Abitur am Ignaz-Günther-Gymnasium in Rosenheim 1991 leistete Guttenberg im Gebirgsjägerbataillon 233 in Mittenwald seinen Grundwehrdienst ab. Er bekleidet den Dienstgrad Stabsunteroffizier der Reserve. Anschließend begann er in Bayreuth und München ein Studium der Rechts- und Politikwissenschaften, wobei er das Studium der Rechtswissenschaften mit dem ersten juristischen Staatsexamen beendete. Aufgrund des fehlenden zweiten Staatsexamens ist zu Guttenberg kein Volljurist.
…
Guttenberg war laut eigener Aussage ab 1994 in die Leitung der familieneigenen Beteiligungsgesellschaft Guttenberg GmbH in München „eingebunden“, die bis 2004 Anlageberatung für den Besitz seiner Familie betrieb. Später war er deren geschäftsführender Gesellschafter. Nach Angaben der Creditreform hatte die Guttenberg GmbH „ca. drei Beschäftigte“ und machte im Jahr 2000 einen Umsatz von „25.000 Euro geschätzt“.
Von 1996 bis 2002 gehörte er dem Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG an, von der seine Familie 26,5 % der Stammaktien hielt. Im März 2002 verkaufte er diese Anteile für 260 Millionen Euro[16] an die HypoVereinsbank, kurz bevor er die politische Laufbahn einschlug.« (Wikipedia, abgerufen am 17.02.2011)
und noch ein Artikel: Nachrichtenspiegel online
==========
Da die Qualität der Kommentare auf dem GuttenPlag Wiki BILD-Zeitungs-Niveau erreicht hat und anscheinend sogar Gesetzestexte im guttenPlag bei den Plagiatstellen mitgezählt werden, tut mir Herr zu Guttenberg inzwischen schon leid. Einige GuttenPlag-Kommentatoren witzeln, Genfer Hotels ließen vorsichtshalber schon die Badewannen rausreißen. Es soll auch ein Bild des toten Barschel geben, in das zu Guttenbergs Kopf hineinkopiert wurde. Hier hört’s wirklich auf! Und den wissenschaftlichen Dienst des Bundestags zu nutzen finde ich – wenn schon nicht sauber so doch – naheliegend und legitim.
Ein Kanzler zu Guttenberg mit einem Patchwork-Doktor ist mir lieber als ein feister Gabriel, eine miesepetrige Merkel oder sonstwer aus der Bonner Riege. Ich hoffe, daß er bis dahin an Reife zulegt. Dazu sollte er den Artikel der ZEIT als Arbeitsgrundlage nehmen und nicht zu sehr american-like nach dem Beifall der Medien schielen. Ich kann ihm nur die Daumen drücken, daß er in der Wahl seiner Berater ein konservatives Händchen hat.
»Wir sind einem Betrüger aufgesessen« bei der Tagesschau
»Jeder andere wäre abgestürzt« (Interview mit Ulrich Sollmann) bei der Tagesschau
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen