Mrs Raab wants to go home.
Zornig und zärtlich: Zoltán Jókay hat alte Menschen fotografiert. Das Sprengel Museum in Hannover zeigt seine Bilder
Eine alte Dame schaut aus dem Fenster. »Frau Raab will nach Hause« steht neben dem Foto. Würdevoll treten die alten Menschen dem Betrachter entgegen, auf 64 schlichten Tafeln im Sprengel Museum Hannover. Doch die Klarheit ist trügerisch. Viele der Abgebildeten waren längst wunderlich, verwirrt oder von Einsamkeit und Armut gezeichnet, als Zoltán Jókay sie kennenlernte. Der Fotograf wollte sie nicht als Opfer darstellen; seine Bilder sollen nicht Mitleid wecken, sondern Respekt und Sympathie: »Sie sind, was wir sein werden; und wir sind, was sie waren«, sagt er über die Porträtierten, »wir sitzen eigentlich in einem Boot.«
Das Schlimmste am Alter ist die Einsamkeit, sagt Zoltán Jókay:
Der Fotograf hat alte Menshen im Heim oder in ihrer Wohnung portratiert und zu jedem der Bilder einen kurzen Text geschrieben
»Frau Weiss lebt immer noch in ihrer Wohnung. Sie weiß nicht mehr, welches Jahr ist, sie weiß nichts mehr von Jahreszeiten, Wochen und Tagen. Frau Weiss ist verloren und ihre Erinnerungen sind vergangen«
Über das, was im Alter auf uns zukommen wird, weiß Jókay Bescheid. Um Geld zu verdienen, ließ sich der mehrfach ausgezeichnete Fotograf vor einigen Jahren zum »Demenzbetreuer« umschulen. Seitdem besucht er mehrmals in der Woche Menschen mit Demenz. Als billige Hilfskraft soll er das leisten, wofür ein unmenschliches System Altenpflegern keine Zeit ein räumt: den Menschen zuhören, mit ihnen sprechen, ihnen Gesellschaft leisten.
»Frau Schauseil hat mir gerne von ihrer Lebensweise erzählt. ›Joschi, ganz gleich wohin ich dieser Tage gehe … ‹, so begann sie stets. Als ich sie das letzte Mal besuchen wollte, war ihre Tür versiegelt und sie selbst war gestorben.«
»Demenz ist furchtbar«, sagt Jókay, »aber sie müsste nicht so schlimm sein, wenn man sich liebevoll um diese Menschen kümmern würde«. Wenn Jókay über die Zustände in der Pflege spricht, wird er zornig. »Die Pfleger können nichts dafür«, sagt er, »das ist ein krankes System.«
»Alles war besser, als mein Mann noch gelebt hat.«
Seine Fotos zeigen nicht das System und dessen Missstände, sondern Menschen voller Würde und Originalität; man ahnt, dass der Fotograf sie längst liebgewonnen hat. Schmerz und Trauer scheinen in den Texten auf, die Jókay den Bildern beigestellt hat: »Als mein Mann noch gelebt hat, war alles besser« – in dem schlichten Satz liegt die ganze Tragik des Alters. Es hat lange gedauert, bis Jókay seine Klienten fragte, ob er sie fotografieren dürfe. Weil er schüchtern sei, behauptet er: »Gute Fotografen sind oft schüchtern.« Aber vielleicht brauchen Bilder dieser Qualität auch einfach viel Zeit, Nähe und Vertrautheit? Gerade arbeitet Jókay an einer Porträt-Serie von unbegleiteten Flüchtlingskindern. »Das könnten unsere Kinder sein«, sagt er zornig. »Und wie behandeln wir die?«
Andrea Teupke
➤Das Sprengel Museum Hannover zeigt »Mrs. Raab wants to go home« bis zum 16. März 2014
aus Publik Forum Nr. 2 ⎮ 2014
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