- Marshmallow-Test reloaded – Unsere Willenskraft bleibt lebenslang gleich (Daniel Rettig, Alltagsforschung, 31.08.2011)
In den Sechzigerjahren besuchte der Walter Mischel eine Vorschule in Stanford. Im Rahmen eines heute legendären Experiments machte er den vierjährigen Kindern ein verlockendes Angebot: Mischel gab jedem ein Marshmallow, eine vor allem in den USA beliebte Süßigkeit aus weißem Zuckerschaum. Die Kinder hatten die Wahl: Sie konnten den Marshmallow entweder sofort verputzen oder warten, bis der Versuchsleiter wiederkommen würde – dann sollten sie zur Belohnung ein zweites Marshmallow erhalten.
Einige Kinder konnten der Versuchung nicht widerstehen und griffen sofort zu; andere warteten artig unter Aufbietung all ihrer physischen und psychischen Kräfte, vermieden es aber, herzhaft hineinzubeißen – und bekamen am Ende den doppelten Lohn. Etwa 14 Jahre später suchte Mischel dieselben Schüler erneut auf. Und siehe da: Der Marshmallow-Test hatte erstaunliche Vorhersagekraft.
Kinder, die damals hatten warten können, waren inzwischen zu selbstbewussten, empathischen Persönlichkeiten gereift. Sie konnten mit Rückschlägen gut umgehen und waren in der Lage, eine Belohnung aufzuschieben, wenn es sie dafür ihren Zielen näherbrachte. Die Sofortesser hingegen waren emotional instabiler, wechselhaft, weniger entschlossen und hatten in der Schule sogar schlechtere Noten – und das völlig unabhängig von ihrer Intelligenz.
Offenbar ist die Fähigkeit zum Gratifikationsaufschub, wie der Belohnungsverzicht in der Fachsprache auch genannt wird, nicht nur ein Indiz für Willensstärke – sondern auch eine Erfolgseigenschaft. Und zwar eine, die sich im Laufe des späteren Lebens nicht mehr verändert. So lautet das Fazit einer neuen, faszinierenden Studie (.pdf).
Vierzig Jahre später:
[…] Tatsächlich konnten die Psychologen 59 Personen gewinnen, die damals den Marshmallow-Test abgelegt hatten – vor über 40 Jahren!
Wieder testeten die Psychologen in mehreren Experimenten die Willensstarke der Teilnehmer. Diesmal allerdings nicht mit Süßigkeiten, denn die Testpersonen waren mittlerweile ja schon über 40 Jahre alt. Stattdessen setzten sie sich vor einen Monitor, auf dem verschiedene Gesichter gezeigt wurden.
Manche schauten glücklich, andere traurig, wieder andere blickten neutral drein. Die Herausforderung bestand nun darin, immer dann einen Knopf zu drücken, wenn ein fröhliches Gesicht auftauchte. Das Kalkül der Forscher: Menschen fühlen sich tendenziell stärker zu freundlicher Mimik hingezogen. Mit anderen Worten: Die Aufgabe erforderte zumindest ein gewisses Maß an Disziplin.
Ein Kinderspiel? Von wegen. Einige der Probanden taten sich dabei wesentlich schwerer als andere. Sie drückten bisweilen sogar den Knopf, selbst wenn das Antlitz auf dem Bildschirm nicht lächelte. Ahnen Sie es schon? Richtig geraten: Am meisten Schwierigkeiten hatten diejenigen Teilnehmer, die im Marshmallow-Test vor 40 Jahren gleich die erste Süßigkeit gemampft hatten, anstatt auf die zweite zu warten. 26 der Teilnehmer unterzogen sich danach noch einem Hirnscan. Dabei entdeckten Casey und Co. Unterschiede in den Hirnstrukturen, die mit Belohnungen zu tun haben.
Was lernen wir daraus? Um Regeln einhalten zu können, muß man dazu in der Lage sein, auf kurzfristige Bedürfnisbefriedigung verzichten zu können. Ich bezweifle, daß Aktiengesellschaften dazu in der Lage sind.
siehe dazu:
- Mehr Jobs,weniger Rendite (Post, 20.09.2007)
- Manipulation : Alles Wichtige zum Abgas-Skandal bei VW (ZEIT Online, 21.09.2015)
Rund elf Millionen Diesel-Fahrzeuge sind mit der Software ausgestattet, die Abgasmessungen beschönigt. VW-Chef Martin Winterkorn ist zurückgetreten. Ein Überblick
Wie wenig vorausschauend müssen Menschen zu handeln imstande sein, wenn sie über eine halbe Million Autos mit einer manipulierten Software versehen und glauben, daß dies nicht innerhalb einer absehbaren Zeitraums ans Licht kommt. Wie wenig verantwortungsvoll müssen Menschen strukturiert sein, wenn sie zum Zeitpunkt ihrer Regelübertretung nicht über die Folgen ihres Tuns für die von ihnen Abhängigen nachdenken?
Werden Regelübertretungen zur Regel, weil die Strafen für systemrelevante Organisationen so gravierend sind, daß das System nicht an Sanktionen interessiert sein kann?
Und wird die Systematmosphäre nicht gerade dadurch Kriminalitäts-fördernd?
- VW-Krise erfasst Braunschweiger Politik (Henning Noske, Braunschweiger Zeitung, 23.09.2015)
Braunschweig Die aktuellen Haushaltsplanungen haben keine Grundlage mehr. Oberbürgermeister Markurth stoppt die Haushaltsberatungen.
Es ist ein Paukenschlag und ein Rückschlag. Die schwere Krise um Volkswagen hat auch die Braunschweiger Politik erreicht – und dürfte wegen des drohenden Ausfalls von Gewerbesteuerzahlungen erhebliche Konsequenzen für den Haushalt der Stadt haben.
Was geschieht mit einer Gesellschaft, die immer häufiger Regelverletzungen in der herrschenden Elite wahrnimmt?
Wo werden hier unsere Werte verteidigt?
- Wozu hat Volkswagen eigentlich einen Aufsichtsrat? (ScienceFiles, 23.09.2015)
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